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Gartenturm. Der „Bosco Verticale“-Turm in Mailand, 2015.

© AFP / Giuseppe Cacace

Stadt der Zukunft: Wie viel Offenheit trauen wir uns zu?

Die Stadt wird für die Menschen zunehmend zu einem Identifikationsort. Die Frage nach ihrer Zukunft ist eine Frage nach der Zukunft der Demokratie.

Keiner weiß, wie die Stadt der Zukunft aussieht. Aber wir wissen, was an der Stadt von heute nicht funktioniert, wir beobachten, wie sie sich verändert – und daraus lassen sich Mutmaßungen für die Stadt der Zukunft ableiten. Dabei geht es – verkürzt ausgedrückt – um vier miteinander verknüpfte Themenfelder: Dichte, Infrastruktur, Eigentum, Sicherheit.

Beginnen wir mit der Dichte. Immer mehr Menschen ziehen in große Städte. Diesem Bevölkerungszuwachs können Städte auf zweierlei Weise begegnen: Sie können sich in der Fläche ausbreiten, also an den Rändern ausfransen, und gleichzeitig die bestehenden Flächen baulich verdichten. Wir können also davon ausgehen, dass die Stadt der Zukunft größer und dichter sein wird.

Die zunehmende Dichte wird auch dazu führen, dass wir unsere Vorstellung von „Eigentum“ überdenken müssen. Vieles, was wir heute im privaten Raum machen, werden wir in Zukunft vielleicht in halb öffentliche oder gemeinschaftliche Räume auslagern, um so Platz zu sparen. Die Kalkbreite in Zürich ist dafür ein schönes Beispiel. In diesem genossenschaftlich organisierten Wohnblock nutzen die Bewohner gemeinschaftliche Küchen und andere soziale Begegnungsräume.

Wie werden wir uns in der Stadt der Zukunft bewegen?

Die Verdichtung der Stadt wirkt sich aber auch auf eine andere Qualität aus, die bislang zumindest viele europäische Städte auszeichnet: Das Vorhandensein von Freiraum – also öffentlichen Plätzen und vor allem Grünräumen. Sie tragen zur Lebensqualität in der Stadt bei und übernehmen außerdem wichtige ökologische und klimatologische Funktionen. Eine Herausforderung der Stadt der Zukunft wird deshalb sein, wie sie sich verdichtet, ohne Freiraumqualität zu verlieren. Eine Möglichkeit ist dabei, neue Grün- und Freiräume zu erfinden. In der Stadt der Zukunft werden vielleicht die Dächer öffentliche, miteinander verknüpfte Freiflächen sein und die Fassaden begrünt. Besonders hohe Gebäude werden in Zwischengeschossen Grün- und Freiflächen aufweisen – wie zum Beispiel das mit vielen Architekturpreisen beehrte Hochhaus „Bosco Verticale“ in Mailand.

Völlig unklar ist noch, wie wir uns in der Stadt der Zukunft bewegen werden. Es zeichnet sich aber ab, dass das Auto nicht mehr das vorherrschende Verkehrsmittel sein wird. Am wahrscheinlichsten ist die intelligente Vernetzung von verschiedenen Verkehrsmitteln. Der Fahrradverkehr bekommt mehr Platz und wird mit dem öffentlichen Personennahverkehr besser verknüpft. Der motorisierte Individualverkehr erfolgt nicht mehr im zum Statussymbol aufgeladenen, mobilen Privateigentum, sondern in kleinen Leihkapseln, die sich autonom durch die Stadt bewegen. Das CarSharing der Gegenwart ist dafür ein kleiner, noch zaghafter Vorbote. Wenn die verschiedenen Arten, sich durch die Stadt zu bewegen, sinnvoll miteinander vernetzt werden, so die Hoffnung, fallen weniger Wege an. Und die bestehenden Flächen für Mobilität können besser genutzt werden – alleine schon, weil die ganzen Parkplätze wegfallen, man für die autonomen Kapseln weniger und zudem schmalere Straßen benötigt.

Wie wird das individuelle Verhalten kontrolliert?

Der gewonnene Platz, so eine Überlegung, kann in einer dichter werdenden Stadt für neue Freiflächen genutzt werden. Park statt Parkplatz könnte ein Slogan dafür sein. Die für diese Effizienzsteigerung nötige Steuerung beruht aber auf einer neuen Infrastruktur. Die Stadt der Zukunft benötigt neue Formen von Sensoren, um die Bewegungen in der Stadt zu messen, autonome Kapseln zu lenken und die Bewegungsflüsse in der Stadt optimal zu steuern – die Stadt der Zukunft wird intelligent und „smart“. Auch hier stellt sich eine grundsätzliche Frage, die mit „Eigentum“ zu tun hat.

Wird diese neue Infrastruktur von der öffentlichen Hand entwickelt oder erwarten wir, dass die Industrie diese Innovationen entwickelt und vorfinanziert. Einer der Kritikpunkte an der „Smart City“ ist, dass in ihr viele Technologien zum Einsatz kommen, die man auch zur Überwachung und Kontrolle nutzen kann.

Dieser Punkt führt zum letzten Themenpunkt: Sicherheit. Ganz praktisch ist die intelligente Infrastruktur der Smart City anfällig für Störungen und muss deshalb besonders geschützt werden. Aber die Frage nach der Sicherheit in der Stadt der Zukunft stellt sich vor dem Hintergrund sich häufender Terroranschläge auch ganz grundsätzlich. Wer hat Zugang zur Stadt der Zukunft? Und wie wird das individuelle Verhalten kontrolliert? Bislang ist die europäische Stadt von Offenheit gekennzeichnet. Sie lässt unterschiedliche Lebensstile zu, und ihre Größe ermöglicht – anders als die Enge einer dörflichen Struktur – verschiedene Facetten des Selbst im Schutz der urbanen Anonymität ausleben zu können. Doch die Angst vor Terroranschlägen führt nun dazu, dass der Ruf nach „Sicherheit“ lauter wird – und damit auch Formen der Freiheit, die bislang eine Qualität von Stadt waren, verloren zu gehen drohen.

Wie wollen wir „Demokratie“ leben?

Die Frage nach der Zukunft der Stadt ist aber auch eine Frage nach der Zukunft der Demokratie. In einer Zeit, in der sich die Bindekraft vom Nationalstaat mehr und mehr auflöst, kommt der Stadt als Identifikationsort und als politische Entität eine immer größere Bedeutung zu.

Nicht ohne Grund werden Fragen nach Beteiligungskultur und neuen demokratischen Fragen vor allem auf kommunaler Ebene diskutiert und erprobt – schließlich ist Stadt der Ort, an dem die großen politischen Herausforderungen konkret umgesetzt werden müssen. Es wird in der menschengerechten Stadt der Zukunft also auch darum gehen, wie wir „Demokratie“ leben wollen und können. Und aus heutiger Sicht heißt das vor allem: Wie viel „Offenheit“ trauen wir uns zu?
Der Autor ist Architekt und Professor für Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg

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