zum Hauptinhalt
Mehr Spaß im Grünen: Laufen in der Natur wirkt vor allem positiv auf die Psyche.

© Christin Klose/dpa

Sport und Immunsystem: Wir sind zum Laufen geboren

Durch regelmäßige Bewegung trainiert man das Immunsystem - wichtig nicht nur in Corona-Zeiten. Ein Besuch im Berliner Zentrum für Sportmedizin in Charlottenburg.

Lebensnotwendig ist es immer, aber selten dürfte unser Immunsystem so sehr im Fokus stehen wie jetzt. In Zeiten, in denen wir im Schnelltempo lernen, was eine Pandemie ist. Sind diejenigen, die eine Covid-19-Erkrankung überstanden haben, gegen das Virus immun? Dauerhaft oder nur für eine gewisse Zeit? Lässt sich aus den Antikörpern, die sie entwickelt haben, ein Wirkstoff gewinnen? Kann der Test auf diese Antikörper ermitteln, wie viele bereits angesteckt gewesen waren? Solche Fragen spielen plötzlich nicht nur im Wissenschaftsdiskurs, sondern auch in der täglichen Nachrichtenlage eine riesige Rolle. Kein Wunder. Gerade führt uns ein winziges Virus eindringlich vor Augen, wie sehr alles, was wir tun, auf natürlichen Grundlagen beruht. Ohne Immunsystem würden wir eine schlechte Laune der Natur nicht einen Tag überstehen. Alle Lebewesen sind ständig Einflüssen der Umwelt ausgesetzt, Attacken von Erregern wie Bakterien, Viren oder Pilzen. Eine Krankheit wie Aids führte (und führt, wenn sie nicht therapiert wird) zum Tod, weil das HI-Virus das Immunsystem soweit schwächt oder zerstört, dass andere Erkrankungen leichtes Spiel haben.

Keine schlechte Idee also - in diesen Wochen wie überhaupt -, das Immunsystem zu stärken. Sport bietet sich da an. Ob sich die positiven Effekte körperlicher Betätigung auch auf zellulärer Ebene niederschlagen - da, wo tatsächlich der „Krieg“ zwischen angreifenden und abwehrenden Zellen stattfindet - ist Gegenstand aktueller Forschung. Auf jeden Fall aber wirken sie auf der allgemeinen Ebene. „Sport fördert insgesamt die Durchblutung sämtlicher Organe, also auch der Haut, die quasi die erste Immunbarriere des Körpers ist“, erklärt Robert Margerie, Facharzt für Innere Medizin sowie Sport- und Ernährungsmediziner am Berliner Zentrum für Sportmedizin. „Es werden mehr rote und weiße Blutkörperchen gebildet, die Hormonsituation verbessert sich genauso wie die Atmung.“ Und kräftigere Atmung führt wiederum zu vermehrter Schleimbildung. Die ist in Corona-Zeiten zwar eher negativ konnotiert, stellt aber grundsätzlich eine wichtige Reinigungsfunktion dar.

Für die wichtigsten Breitensportarten braucht es nicht viel

Nun könnte man denken, es sei angesichts geschlossener Fitnessstudios und Vereinen, die nicht trainieren dürfen, gerade recht kompliziert, Sport zu treiben. Stimmt aber nicht. Für die wichtigsten Breitensportarten braucht es nicht viel. Laut Deutscher Gesellschaft für Sportmedizin kam eine Studie des Marktforschungsinstituts GIM 2018 zum Ergebnis: Radfahren und Laufen stehen an erster Stelle regelmäßiger sportlicher Betätigung in Deutschland, gefolgt von Krafttraining und Schwimmen.

Joggen also. Ist am einfachsten umzusetzen und macht ja jetzt gefühlt sowieso jeder und jede Zweite. Welche Tipps hat der Experte? „Der Mensch hat lange Beine, wir sind zum Laufen geboren“, sagt Robert Margerie. Er selbst läuft Ultramarathons, mit Strecken über 42 Kilometer, etwa auf Madeira oder bei der Brocken-Challenge im Harz, die über 80 Kilometer lang ist. Aber während Margerie das erzählt, schränkt er schon ein: Es gehe überhaupt nicht darum, dass das jede und jeder tun muss. Ganz im Gegenteil. „Sie sind vom U-Bahnhof Olympiastadion bis hierher gelaufen? Da haben Sie schon viel getan.“ Rund 30 Minuten rasches Gehen am Tag, in niedrigem bis moderatem Tempo, drei- bis fünfmal die Woche, das sei bereits messbar gesundheitsfördernd.

Man sollte seinen individuellen Laufstil und die Grenzen eigener Belastbarkeit kennen - wer möchte, kann sie auch hier im Zentrum für Sportmedizin bei einer Untersuchung herausfinden. Was, ganz nebenbei, noch einen weiteren Effekt hat. Hier wird nämlich nicht nur der Körper, sondern auch der Geist trainiert. Weil Besucher gezwungen sind, über ihr Verhältnis zu faschistischer oder präfaschistischer Architektur nachzudenken. Das Zentrum für Sportmedizin ist Teil des Deutschen Sportforums, welches wiederum zum Olympiagelände gehört. Es wurde ab den 1920er Jahren und dann vor allem in der Nazizeit entwickelt. Stramme symmetrische Säulen, goldene Adler auf hohem Podest, Originalskulpturen von Arno Breker: Überall wird der - natürlich deutsche - athletische Körper verehrt, die Anlage ist von der Abwertung alles Fremdländischen, von antisemitischem Geist durchzogen, auch wenn es nirgendwo direkt ausbuchstabiert wird. Abreißen? Oder kann man das ertragen, weil es heute nur noch eine interessante Hülle ist, Teil der Geschichte, wie sie sich eben ereignet hat? Weil das Deutschland von 2020 grundlegend anders ist, trotz Björn Höcke und Andreas Kalbitz? „Sport spaltet nicht, er verbindet und integriert“, sagt Robert Margerie.

Zurück also zu Schönerem, zurück zum Laufen. Wo tut man das am besten? Natürlich eignen sich Parks oder Flussufer mehr als stark befahrene Straßen, doch eher aus psychologischen Gründen: In der Natur unterwegs zu sein ist ein sinnliches Erlebnis und motiviert stärker. Weltrekorde allerdings werden in der Regel auf Asphalt erzielt, weil die Geschwindigkeit auf glattem Untergrund höher ist. Aber wer keinen Weltrekord im Sinn hat, läuft besser auf Waldboden: Der Widerstand ist höher und damit auch der Trainingseffekt.

Radfahren: Ein Ziel gibt es immer

Radfahren wird laut GIM-Umfrage mit 42 Prozent sogar von noch mehr Menschen regelmäßig ausgeübt als Laufen. Auch das ist nachvollziehbar, lässt sich doch keine andere Sportart so nahtlos in den Alltag integrieren: Man übt sie quasi nebenbei aus, ein Ziel gibt es immer, und sei es das Büro. „Radfahren ist fast immer möglich und schonender als Laufen, da der Sattel das Körpergewicht trägt“, erklärt Robert Margerie. Deshalb ist es auch für Übergewichtige oder Menschen mit Knie- und Hüftbeschwerden geeignet. Allerdings ist die Unfallgefahr höher. Ein zweischneidiges Schwert sind die vor allem im Alterssport immer beliebter werdenden E-Bikes. Nützen oder schaden sie mehr? Wahrscheinlich muss man schauen, wo jemand herkommt. Ist jemand vorher nur Auto gefahren und hat sich gar nicht bewegt, ist ein E-Bike sicher besser als nichts. Ist sie oder er allerdings zuvor normal Rad gefahren, schmälert das natürlich die positiven gesundheitlichen Einflüsse deutlich. Ganz abgesehen davon, dass man auch seine Ökobilanz ruiniert, wenn man vom emissionsfreien Radfahren auf Stromantrieb umsteigt.

Und Schwimmen? Trainiert sicher den Körper am umfassendsten von allen Breitensportarten und ist noch schonender, erfordert aber auch das meiste technische Wissen und ist gerade jetzt schwierig umzusetzen, da Bäder geschlossen und Seen häufig noch zu frisch sind. Davon abgesehen plädiert Robert Margerie vehement dafür, dass Kinder so früh wie möglich schwimmen lernen - „auch, weil es einfach lebensnotwendig ist, sie ertrinken sonst, wie man ja an den schrecklichen Bildern von Flüchtlingskindern sieht.“

Übrigens geht die Gleichung, dass Breitensport das Immunsystem stärkt, während Leistungssport es eher schwächt, nicht ohne Weiteres auf. „Leistungssportler haben ihre Belastbarkeit oft über Jahrzehnte angepasst“, sagt Robert Margerie und nennt den Amerikaner Dean Karnazes als Extrembeispiel, der 2006 die „North Face Challenge“ bewältigt hat: 50 Marathonläufe an 50 aufeinanderfolgenden Tagen in 50 US-Bundesstaaten. Er hatte exzellente Blutwerte, sein Leistungsvermögen nahm sogar zu. Kritisch sieht Margerie vielmehr die Überambitionierten, die sich zu viel zutrauen, ohne die nötige Vorbereitung zu haben. Die ihren 50. Geburtstag feiern wollen und einmal im Leben den Berlin-Marathon laufen.

Also: Das Immunsystem trainiert man am besten durch niedrigintensiven bis moderaten Sport. Regelmäßigkeit, nicht Einmaligkeit zählt. Es gibt weitere Möglichkeiten, das Immunsystem zu stärken. Etwa durch vernünftige, ausgewogene Ernährung, die kein überflüssiges Fett entstehen lässt, das den Körper quasi ständig in Alarmbereitschaft versetzt. Und durch ausreichenden Schlaf, also nicht dauerhaft unter sechs Stunden pro Nacht. „Im Schlaf regenerieren sich alle Systeme wie Verdauung, Atmung, Herz am besten“, erklärt Robert Margerie. Es ist also wie immer im Leben, egal ob beim Sport, in der Musik oder eben bei der Gesundheit: Man sollte die Pausen nicht unterschätzen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false