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Lebensgefährlich. Nicht nur das Atmen fällt im beißenden Nebel schwer. Der Smog schränkt auch die Sicht der Autofahrer ein.

© AFP

Smog in China: Frische Luft durch Chemie

Peking erstickt im Smog. Flüssiger Stickstoff könnte der Stadt zu besserer Luft verhelfen, glauben einige Forscher. Doch es gibt Kritik.

Wenn im Winter eiskalte Luft nach Peking einsickert und gleichzeitig der Wind einschläft, bleiben die Abgase aus Industrie, Haushalten und Verkehr über der Stadt hängen. Schließlich wabern trübe Schwaden um die Häuser, den Menschen tränen die Augen und kratzt der Hals. Es stinkt nach Kohle und Schwefel. Das Kunstwort „Smog“ (smoke und fog, also Rauch und Nebel) beschreibt die Situation, verharmlost sie aber: Der beißende Nebel ist lebensgefährlich. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, dass in jedem Kubikmeter Luft nicht mehr als 25 Mikrogramm Feinstaub schweben sollten – in Peking wurden in diesem Januar mehr als 670 Mikrogramm gemessen.

Damit daraus wieder Luft zum Atmen wird, erwägen Forscher ein Experiment. Die chinesische Naturwissenschaftsstiftung lässt ein „Geoengineering“ erforschen: Flüssiger Stickstoff könnte den Smog ausfrieren.

Spezialisten für solche Luftschadstoffe vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz halten das nicht für erfolgversprechend und warnen vor den Risiken. „Niemand weiß, was genau passiert, wenn man ein solches Experiment in einer riesigen Stadt wie Peking macht“, sagt Andrea Pozzer. Der aus Italien stammende Atmosphären-Chemiker und seine Forschungsgruppe analysieren das Verhalten von Schwebstoffen in der Luft in Computermodellen. Er weiß, dass unerwartete Nebenwirkungen auftreten können und plädiert für einen Test im kleinen Rahmen.

Sichtweite unter 30 Zentimeter

Metropolen wie London schlugen sich vor Jahrzehnten mit viel höheren Smogwerten als in Peking herum, sagt er. Trotzdem haben diese Städte das Problem inzwischen im Griff. In der britischen Hauptstadt sank die Sichtweite vom 5. bis 9. Dezember 1952 zum Teil auf weniger als dreißig Zentimeter. Selbst in den Notaufnahmen der Krankenhäuser konnten die Patienten nicht mehr von einer Wand zur anderen schauen. Rund 4000 Menschen starben durch den Smog, die meisten durch Erkrankungen der Atemwege. Weitere 8000 Tote gab es in den folgenden Wochen durch die Spätfolgen einer der schlimmsten von Menschen ausgelösten Umweltkatastrophen.

Die Ursachen sind zumindest in der kalten Jahreszeit sehr ähnlich – egal ob der Smog früher in London und im Ruhrgebiet die Straßen verdunkelte oder heute in asiatischen Großstädten auftritt. Während einer Hochdruck-Wetterlage entsteht eine Schicht kalter Luft, die ein paar hundert Meter hoch auf dem Boden liegt. Schlafen in dieser Situation die Winde ein, die sonst Luft in die angrenzenden Regionen oder in die Höhe blasen, sammeln sich die Abgase aus Industrieschornsteinen, Kraftwerken und Autoabgasen in dieser Kaltluftglocke.

In London waren nach dem Zweiten Weltkrieg die elektrisch betriebenen Straßenbahnen durch Dieselbusse ersetzt worden. Weil die hochwertige Kohle exportiert wurde, heizten Privathaushalte und große Kraftwerke gleichermaßen mit billiger Kohle, die viel Schwefel enthielt. „Dieser verbrennt zu Schwefeldioxid, das in der Luft zu Schwefelsäure weiter oxidiert wird, aus der dann Sulfate entstehen“, sagt Frank Drewnick vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie. Dazu kommt Ruß aus den Verbrennungen und in Peking manchmal herangewehter Wüstenstaub, sowie Nebel aus einer hohen Luftfeuchtigkeit.

Der so entstandene Smog war in London 1952 so dicht, dass abgesehen von der U-Bahn der Verkehr praktisch stillstand. Selbst im Inneren eines Theaters musste die Oper „La Traviata“ nach dem ersten Akt abgebrochen werden, weil die Zuschauer die Bühne nicht mehr sahen. „Damals waren einige tausend Mikrogramm Schwebstoffe in der Luft“, vermutet Drewnick.

Vor allem Babys und Alte sind betroffen

Auch wenn im Peking unserer Tage die Werte erheblich niedriger sind, reizen dort ähnliche Schadstoffe Augen und Atemwege der Einwohner. Vor allem Babys und ältere Menschen sind dieser Belastung nicht gewachsen – damals wie heute. Chinesische Wissenschaftler haben daher in Computermodellen untersucht, ob sie flüssigen Stickstoff mit einer Temperatur von minus 196 Grad Celsius versprühen sollten, um den Smog zu bekämpfen. Aus riesigen Tanks würde der Stickstoff mindestens zehn Meter in die Höhe gepumpt und als feiner Nebel in die Luft entlassen. In der extremen Kälte sollten sich Eiskristalle auf den Schwebstoffen bilden und diese zu Boden fallen lassen. Der Smog würde erst einmal ausfrieren. Einige Stunden lang könnten die Haupstädter aufatmen, berechneten die Forscher. Der Gürtel noch kälterer Luft würde den Feinstaub zusätzlich von der Straße fernhalten. Damit die Menschen in Peking keine Kälteverbrennungen durch den Stickstoff erleiden, müsste er allerdings langsam und in ausreichender Höhe verteilt werden

Gegen ein solches Geoengineering sprechen nicht nur mögliche Nebenwirkungen. „Selbst wenn alles funktioniert, bräuchte man gigantische Energiemengen für die Herstellung des Flüssigstickstoffs, um die Luft über Peking vorübergehend zu klären“, meint Drewnick. Die Kosten dafür lassen sich kaum schätzen. „Es wäre einfacher, die Menschen mit Atemschutzgeräten zu versorgen.“

Langfristig gibt es ohnehin erprobte Maßnahmen, um den Smog die Grundlagen zu entziehen: In London darf keine besonders schwefelhaltige Kohle mehr verbrannt werden. Filter und Katalysatoren halten Schadstoffe aus Kraftwerken, Industriebetrieben und Automotoren zurück. Auch China macht längst erste Schritte auf diesem Weg. Und für kurzfristige Groß-Experimente mit extrem energieaufwendigem Flüssigstickstoff fehlt vermutlich auch der aufstrebenden Wirtschaftsgroßmacht das nötige Geld.

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