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Eine Gruppe von Männern geht durch eine Gasse in der Altstadt von Jidda.

© Ulrike Freitag/ZMO

Seuchenabwehr im Osmanischen Reich: Wie die Cholera Mekkas Hafenstadt modernisierte

Jidda, das Tor zu den heiligen Städten des Islam, wurde im 19. Jahrhundert von der Cholera heimgesucht. Die Seuchenabwehr brachte einen Modernisierungsschub.

Das Stadtviertel Karantina, gelegen im Süden von Jidda, genießt einen denkbar schlechten Ruf. Das Viertel gilt als Zentrum des lokalen Drogenhandels, es ging hervor aus einer Hüttensiedlung, die überwiegend von afrikanischen Migranten bewohnt war.

Ein weiterer Grund für das Stigma dürfte auch sein, dass hier im späten 19. Jahrhundert eine Quarantänestation für Mekkapilger errichtet wurde. Diese gab dem Viertel seinen Namen, der auch die offizielle Umbenennung in Petromin (nach den dort später eröffneten Mineralölanlagen) überdauert hat.

Seit die Cholera 1831 mit Pilgern und Händlern aus Indien Jidda und damit auch die heiligen muslimischen Stätten in Mekka und Medina erreichte, war die Krankheit für gut 80 Jahre ein regelmäßiger Gast in der Region Hedschas im heutigen Saudi-Arabien.

Auf dem Höhepunkt der besonders schlimmen Pandemie 1865 starben rund 30.000 Menschen während der Pilgerfahrt. Seit 1817 hatte sich die Krankheit über Handelsrouten in Südostasien, Nahost, Europa und Ostafrika verbreitet, die zweite Welle der Pandemie ab 1826 erreichte auch die USA.

Die Cholera war nicht die erste globale Epidemie – im Mittelalter verbreitete sich die Pest und im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert die Pocken in nicht unähnlicher Weise. Dennoch zeigt die Cholera in besonderer Weise, wie die Etablierung der europäischen Imperien, der Welthandel sowie die Beschleunigung der Seefahrt durch die Dampfschifffahrt und besonders die Eröffnung des Suezkanals 1869 die globale Ausbreitung von Seuchen beförderte.

Buchcover mit dem Titel "A History of Jeddah" von Ulrike Freitag.
Cover des Buchs von Ulrike Freitag zur Stadtgeschichte von Jidda, das soeben in der Cambridge University Press erschienen ist.

© Promo

Erst in den 1860er Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass sich die Seuche durch Ansteckung verbreitete – und damit nicht nur Hygiene, sondern auch Quarantänemaßnahmen helfen konnten, sie einzudämmen. Seit 1851 tauschten sich Mediziner und Gesundheitspolitiker über neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus. Die bakteriellen Ursachen der Cholera allerdings waren bis 1855 unbekannt und Forschungsergebnisse setzten sich erst in den 1880er Jahren durch.

Parallel versuchten die Teilnehmer der Konferenzen, sich über praktische Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung zu verständigen. Dabei wurden Theorien von Ansteckung einerseits, und krankmachenden Dünsten (Miasmen) andererseits als Begründung für verschiedene Strategien gewählt: Ansteckung konnte man mit Quarantäne bekämpfen, wohingegen die Anhänger der Miasma-Theorie zwar Hygienemaßnahmen guthießen, aber Quarantäne ablehnten.

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Kein Wunder, dass insbesondere Briten, die ihre Handelsinteressen gefährdet sahen, letzterer Theorie zuneigten. Ihre Interessen waren betroffen von allen Maßnahmen, die im Kontext der Herrschaft über Indien, Aden und Ägypten den Transport von Soldaten oder Handelsgütern eingeschränkt hätten.

Für die Osmanen stand ihr Ruf in der islamischen Welt auf dem Spiel

Umgekehrt war das Osmanische Reich, das 1866 selbst eine Konferenz in Konstantinopel organisierte, davon überzeugt, dass sich die Seuche mit Quarantäne einschränken ließ. Für die Osmanen stand mit der Sicherstellung einer einigermaßen sicheren und gesunden Pilgerfahrt immerhin das Ansehen in der gesamten islamischen Welt auf dem Spiel.

Insofern unterstützte die Regierung Bemühungen, Quarantänestationen am Nord- und Südende des Roten Meeres einzurichten. Während jene im Norden schon 1868 einsatzfähig waren, dauerte es bis 1882, bis die Station auf den heute zum Jemen gehörenden Kamaran-Inseln funktionierte.

[Lesen Sie auch unseren aktuellen Text zur Geschichte der Seuchen: Wie Viren die Menschheitsgeschichte prägten]

Wie aber wirkten sich die Seuche und die Quarantänemaßnahmen in den Handelsstädten am Roten Meer aus? Jidda war einer der wichtigsten Handelshäfen und, im Seuchenkontext noch wichtiger, der Hafen, an dem die meisten Pilger an Land gingen. Heute ist die Stadt eine pulsierende Metropole von gut dreieinhalb Millionen Einwohnern, damals hatte sie rund 15.000 Einwohner, die sich auf etwas weniger als einem Quadratkilometer in der von einer Stadtmauer umgebenen Altstadt drängten. Zu den Vororten, die größtenteils von Fischern und Beduinen, aber auch von Migranten und Sklaven besiedelt waren, gehörte auch die eingangs erwähnte Hüttensiedlung afrikanischer Einwanderer. Während der jährlichen Pilgerfahrt schwoll die Zahl der Menschen um einige zehntausende, gelegentlich gar um Hunderttausend an. Sie wurden überwiegend in Privathäusern untergebracht.

Ein Porträtbild von Ulrike Freitag.
Ulrike Freitag ist Direktorin des Leibniz-Zentrums Moderner Orient (ZMO) in Berlin und Professorin für Islamwissenschaft an der FU Berlin. Von ihr ist soeben eine umfassende Stadtgeschichte von Jidda erschienen: A History of Jeddah. The Gate to Mecca in the Nineteenth and Twentieth Centuries. Cambridge University Press 2020, 404 Seiten, ca. 45 US-Dollar bzw. 22 USD (E-Book).

© Rolf Schulten/ZMO

Die heute als Unesco-Welterbe anerkannten Häuser der Altstadt hatten häufig vier bis sechs Stockwerke. Während der Pilgersaison zogen sich ihre Bewohner in die oberste Etage zurück und vermieteten die übrigen Räume zu hohen Preisen an die Besucher. In Jahren mit besonders vielen Pilgern fanden diese auch in Kaffeehäusern, auf Terrassen und Bänken in der Stadt sowie in Zeltlagern innerhalb und außerhalb der Mauern Zuflucht.

Das heutige Bild der Altstadt mit vielen prächtigen fünf- bis sechsstöckigen Häusern geht vermutlich auf das späte 19. Jahrhundert zurück, als die Zahl der Pilger durch die Dampfschifffahrt deutlich anstieg. Dies schuf erhöhten Bedarf an Unterkünften, welche ihrerseits eine willkommene Einnahmequelle für die lokale Bevölkerung waren.

Die osmanischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie umfassten ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Ein Teil davon betraf die Quarantäne: Bevor die Station von Kamaran ihren Dienst aufnahm, entstanden Quarantänelager außerhalb der Stadtmauern. Die Pilgerquartiere wurden ab den späten 1860ern kontrolliert und die Bewegungsfreiheit von Pilgern auf bestimmte Stadtviertel und Camps außerhalb der Stadt beschränkt.

Überwachung muslimischer Aktivisten unter dem Deckmantel der Seuchenkontrolle

Schrittweise entstanden ab 1861 Krankenhäuser für Pilger, nachdem es zuvor staatliche medizinische Einrichtungen nur für das Militär gegeben hatte. Zu Zeiten besonderer Cholera- und Pestepidemien, etwa 1896, entstanden auch provisorische Zusatzeinrichtungen zur Versorgung der Kranken. Zeitweilig wurden auch Quarantänestationen zwischen den Städten Jidda und Mekka eingerichtet.

Diese Maßnahmen stießen nicht nur auf das Unverständnis von Pilgern, die fürchteten, nicht rechtzeitig nach Mekka zu gelangen. Auch einheimische Händler klagten darüber, dass ihre Waren verderben und die Bevölkerung unzureichend versorgt werde.

Weil ausländische Konsuln ebenso wie eine osmanische Sanitätskommission, der ausländische Experten angehörten, diese Maßnahmen propagierten, sahen die Gegner einen weiteren Grund zum Widerstand. Der Versuch, in Mekka Gepäck und Kleidung von Pilgern zu desinfizieren, führte zur Zerstörung der Geräte. Der britische Vizeonsul (ein Inder) wurde ermordet, wohl aufgrund des nicht ganz unbegründeten Verdachts, dass westliche Konsuln nicht nur um die Gesundheit ihrer Kolonialbevölkerung besorgt waren. Vielmehr waren sie auch darauf bedacht, unter dem Mantel der Seuchenkontrolle muslimische Aktivisten im Blick zu behalten.

Im ehemaligen Sanitätsgebäude am Hafen entsteht ein Museum

Eine weitere wichtige Maßnahme war die Verfüllung einer der beiden Lagunen, an denen Jidda lag. Deren übelriechendes Wasser wurde teilweise für die Verbreitung der Seuchen verantwortlich gemacht. Auf dem gewonnenen Land entstand ein Stadtviertel, das in die Altstadt integriert wurde.  Aber auch am Hauptlandeplatz – von einem wirklichen Hafen kann man zu jener Zeit noch nicht sprechen, da Schiffe auf Reede ankern mussten und durch kleine Boote entladen wurden –  wurde Land gewonnen.

Hier entstanden in zwei Schritten 1879 und 1890 neue Anlagen. Diese umfassten Gebäude für die Sanitätsinspektion und Passkontrolle neu Einreisender – ebenso wie neue Hafenanlagen, Lagerhallen, Zollgebäude, das Post- und Telegrafenamt sowie die Stadtverwaltung. Das mehrfach erneuerte Gebäude der Sanitätsinspektion wird gerade in ein Mueum umgebaut.

[Ulrike Freitag: A History of Jeddah. The Gate to Mecca in the Nineteenth and Twentieth Centuries. Cambridge University Press 2020, 404 Seiten, ca. 45 US-Dollar bzw. 22 USD (E-Book).]

Die primäre Sorge um die Erkennung und Behandlung von Seuchen wirkte sich also auch auf die städtische Infrastruktur aus, indem sie diese modernisierte: Die Einrichtungen auf dem erweiterten Hafengelände dienten ebenso wie die neuen Krankenhäuser sowohl den Besuchern als auch der lokalen Bevölkerung.

Einen ähnlichen Effekt hatten Maßnahmen im Bereich der Marktstraße. Diese wurde einer grundlegenden Reinigung unterzogen, wobei der entfernte Müll zur Aufschüttung der Lagunen verwendet wurde. Die Stadtverwaltung veranlasste, dass der Markt zum Schutz gegen die starke Sonneneinstrahlung überdacht und die Häuser neu mit Kalk geweißt wurden. Das städtische Schlachthaus verlegte man nach außerhalb der Stadt.

Straßenszene in Jidda.
Eine Straßenszene in der Altstadt von Jidda.

© Ulrike Freitag/ZMO

Am grundlegendsten für das spätere Wachstum der Stadt war vermutlich das Bemühen um eine verbesserte Wasserversorgung. Jidda, das über keine natürlichen Quellen verfügte, war von gelegentlichen Regenfällen im Winter abhängig. Das Wasser wurde in Zisternen großer städtischer Häuser aufgefangen, zusätzlich wurde ablaufendes Regenwasser aus den Bergen im Hinterland mit Erdwällen in unterirdische Zisternen geleitet.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gab es wiederholte Versuche, Wasser von Quellen in den Bergen in die Stadt zu leiten. Beduinen, die Wasser in Schläuchen in die Stadt brachten, blockierten oder zerstörten die Leitungen. Stadtbewohner, denen die Zisternen außerhalb gehörten und die um ihre Einnahmen aus den Wasserverkäufen fürchteten, unterstützen sie darin. Auch erhebliche staatliche Investitionen konnten dies nicht ändern.

In diesem Kontext wurde 1907 erstmalig eine Meerwasserentsalzungsanlage aus Großbritannien importiert und in Jidda installiert – auch wenn es anfänglich gegen diese Neuerung Widerstand gab. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass schon die Osmanen auf eine Technologie setzten, die heute mindestens 50 Prozent des saudischen Trinkwassers bereitstellt.

Insgesamt veränderten diese Maßnahmen das Stadtbild von Jidda und trugen zu einem erheblichen Modernisierungsschub bei. Auch wenn dies Teil eines größeren osmanischen Modernisierungsprojekts war, wären ohne die Notwendigkeit, Seuchen zu bekämpfen, wohl kaum ähnlich umfangreiche Mittel in die Erneuerung einer trotz ihrer Bedeutung als Hafen recht peripheren Stadt geflossen.

Ulrike Freitag

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