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Echo der Kollision. Die Computeranimation zeigt wie Gravitationswellen beim Verschmelzen zweier schwarzer Löcher entstehen. Solchen Wellen wurden nun erstmals gemessen.

© Abb.: S. Ossokine, A. Buonanno (AEI)/ W. Benger (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Sensation in der Physik: Forscher messen erstmals Gravitationswellen

Einstein hatte sie vorhergesagt - und hatte recht. Die Ligo-Detektoren haben erstmals Gravitationswellen nachgewiesen. Lesen Sie hier, wie die Entdeckung gelang und was sie bedeutet.

Seit Monaten kursierten Gerüchte, nun ist es offiziell: Physiker der Ligo-Kollaboration haben erstmals Gravitationswellen gemessen. Sie berichteten davon am Donnerstag vor Journalisten sowie in den „Physical Review Letters“. Albert Einstein hatte diese Wellen, die Menschen weder sehen, hören noch fühlen können, vor 100 Jahren vorhergesagt. Es gab einige Hinweise darauf, dass er recht hat, der unmittelbare Beweis stand jedoch aus. Nun wurde er offenbar erbracht. Wie ein zusätzlicher Sinn, der es ermöglicht, die Umwelt besser wahrzunehmen, bieten Gravitationswellen Astronomen eine neue Möglichkeit, das Universum zu erforschen und beispielsweise Schwarze Löcher und Supernovae genauer zu erkunden. Ligo-Direktor David Reitze zog einen Vergleich zu Galileo, der vor 400 Jahren erstmals ein Teleskop auf den Himmel richtete: „Ich glaube, wir tun heute etwas ähnlich Wichtiges. Wir eröffnen eine neue Ära.“

Was sind Gravitationswellen?
In seiner Allgemeinen Relativitätstheorie von 1915 verknüpfte Einstein Raum und Zeit zur „Raumzeit“. Massereiche Objekte wie Schwarze Löcher verformen diese Raumzeit. Um das zu veranschaulichen, wird gelegentlich der Vergleich mit einem Gummituch bemüht, das von einer schweren Kugel eingedellt wird. Kreisen zwei sehr massereiche Objekte umeinander, schlägt das Gummituch Wellen. Oder, etwas physikalischer ausgedrückt: Bei der beschleunigten Bewegung großer Massen wird ein Teil der Energie in Form von Gravitationswellen abgestrahlt.

Wie will man das beweisen?
Passiert eine solche Welle, auch als „Kräuselung der Raumzeit“ bezeichnet, die Erde, so ändert sich der Abstand zwischen zwei Objekten minimal. Berechnungen zufolge wir eine einen Kilometer lange Strecke nur um den Tausendstel Durchmesser eines Protons (10 hoch minus 18 Meter) gestaucht. Um solche minimalen Abweichungen zu messen, haben Forscher verschiedene Detektoren gebaut. Dazu gehören „aLigo“ (Advanced Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory) in den USA, „Virgo“ in Italien und „Geo600“ bei Hannover. Die Geräte haben je zwei „Arme“. Das sind Vakuumröhren, in die Laserlicht geschickt wird. Jeweils am Ende befinden sich Spiegel, die das Licht zum Zentrum zurückwerfen. Dort überlagern sich die Lichtwellen exakt gegenläufig: Wellenberg der ersten Welle trifft auf Wellental der zweiten – sie löschen sich aus. Ändert sich für eine Laserwelle die Wegstrecke, ist die perfekte Überlagerung dahin. An der Fotodiode des Empfängers ist es nicht länger dunkel, ein Signal wird registriert. Das könnte ein Hinweis auf eine Gravitationswelle sein. Allerdings gibt es noch viele weitere Störungen, zum Beispiel durch Temperaturschwankungen oder seismische Erschütterungen. Um diese auszuschließen, werden umfangreiche Simulationen erstellt, die zeigen, welches Signal eine Gravitationswelle in den Messungen erzeugen sollte.

So werden Gravitationswellen gemessen.
So werden Gravitationswellen gemessen.

© Nature, Ligo, Cnrs, AFP, TSP

Gab es schon früher Hinweise auf Gravitationswellen?
Ja, es gab mehrere indirekte Nachweise. So haben die US-Astrophysiker Russell Hulse und Joseph Taylor durch Beobachtungen des Doppelpulsars „PSR 1913+16“ nachgewiesen, dass die Umlaufbahnen der beiden Objekte im Lauf der Zeit immer enger wurden, folglich Energie abgegeben wurde. Berechnungen zeigten, dass dieser Energieverlust ziemlich genau dem Anteil entsprach, der laut Theorie für die Erzeugung von Gravitationswellen benötigt wird. Die beiden Physiker wurden dafür 1993 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Auch andere Sternenpaare wurden genauer untersucht, stets zeigten sie eine enger werdende Rotation und einen Energieverlust, der mutmaßlich Gravitationswellen zur Folge hatte.

Warum haben die Detektoren bisher nichts gefunden?
Die Apparate arbeiten am technischen Limit. Die Apparate arbeiten am technischen Limit. Allein die Aufhängung der Spiegel ist eine Wissenschaft für sich. Auch das Vakuum in den Armen muss sehr rein sein, damit die Lasermessungen nicht gestört werden. In den vergangenen Jahren wurden wichtige Fortschritte erzielt, um die Apparate zu verbessern. Viele Technologien, die am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) in Hannover und Potsdam entwickelt und am deutsch-britischen Detektor „Geo600“ getestet wurden, haben die Wissenschaftler an ihre Kollegen des Ligo-Observatoriums in den USA weitergegeben.

Ligo besteht aus zwei Detektoren in Livingston (Louisiana) und Hanford (Washington), die jüngst erneuert wurden und seit Mitte 2015 als „Advanced-Ligo“ (aLigo) betrieben werden.

Mit einer Armlänge von je vier Kilometern haben sie die größte Empfindlichkeit und sind am ehesten prädestiniert, Gravitationswellen zu messen, die von verschmelzenden schwarzen Löchern ausgesendet werden. Das muss aber sehr schnell gehen, denn bei einer Kollision solcher Schwergewichte ist die Frequenz der Wellen zunächst zu gering als dass der Detektor diese „hören“ kann. Erst kurz vor dem Verschmelzen nimmt sie soweit zu, dass aLigo überhaupt etwas bemerken kann. Und schon nach dem Bruchteil einer Sekunde ist die Chance wieder vorüber. Gleichwohl sind zwei umeinander tanzende schwarze Löcher am besten für die Suche nach Gravitationswellen geeignet, weil sie ein besonders klares Signal im Detektor hinterlassen. Der Virgo-Detektor nahe Pisa wird derzeit erneuert, nur Geo600 ist in Betrieb. Da diese Anlage kürzere Arme hat, ist sie auf Gravitationswellen mit höherer Frequenz spezialisiert, wie sie beispielsweise bei Sternexplosionen entstehen. Gefunden hat sie bisher noch nichts.

Wie kamen die Forscher nun der Gravitationswelle auf die Spur?
Es war eine absolute Überraschung, sagen die beteiligten Wissenschaftler. Nach dem 200 Millionen Dollar teuren Umbau der Ligo-Wellenfallen wurden diese getestet und sollten am 18. September 2015 offiziell in den Wissenschaftsbetrieb gehen. Doch schon am 14. September um 11.51 Uhr (MESZ) schlug das System Alarm. „In den USA war es noch Nacht und die Kollegen schliefen, zwei unserer Mitarbeiter begannen sofort mit der Analyse“, zitiert die Max-Planck-Gesellschaft Bruce Allen, Direktor am AEI. „Wir konnten es kaum glauben, das Signal war so stark und sah so perfekt aus, dass wir uns fragten, ob das überhaupt sein kann.“ Wieder und wieder wurde gerechnet, wurden mögliche Fehler untersucht. Es hätte auch eine Falschmeldung sein können. Bei aLigo werden regelmäßig manipulierte Signale in den Rechner geschickt, die eine Gravitationswelle vortäuschen. Auf diese Weise sollen Aufmerksamkeit von Maschinen und Menschen getestet werden. Das sei aber nicht der Fall gewesen, berichtet Allen. „Am Ende war uns klar: Das Signal kommt aus dem Weltraum.“

Woher die Welle kam - und was Forscher damit herausfinden wollen

Woher kam die Welle?
Anhand des Signals haben die Forscher die Herkunft rekonstruiert. „Es war für eine halbe Sekunde in den beiden Detektoren messbar“, sagt Alessandra Buonanno, AEI-Direktorin in Potsdam und auf die Simulation von Gravitationswellen spezialisiert. Aus den Welleneigenschaften schließen die Physiker auf folgendes Szenario: Zwei schwarze Löcher mit 29 beziehungsweise 36 Sonnenmassen umkreisen einander, bis sie miteinander verschmelzen. Das neu entstandene schwarze Loch muss sich noch etwas zurechtruckeln, währenddessen „schwingt es wie eine Glocke“, erläutert Buonanno. In diesen kurzen Augenblicken wird viel Energie frei, die in Form von Gravitationswellen davonjagt. Das zeigt sich an der Masse des neuen schwarzen Lochs, es hat nur noch 62 Sonnenmassen statt 65.

Der Ort des Geschehens ist den Berechnungen zufolge 1,3 Milliarden Lichtjahre entfernt. Da die Gravitationswellen vermutlich mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind, muss die Kollision bereits vor 1,3 Milliarden Jahren stattgefunden haben – erst jetzt hinterließ sie ihre Spuren im Detektor.

Welchen Nutzen haben Gravitationswellen?
Forscher erhoffen sich eine völlig neue Perspektive auf das Universum. Bisher nutzen sie Licht- und Radiowellen, die ferne Objekte aussenden. 99 Prozent des Kosmos geben aber gar keine elektromagnetische Strahlung ab, sagt Karsten Danzmann, Direktor am AEI in Hannover. Die Schwerkraft hingegen wirke überall. Diese zusätzliche Informationsquelle wollen die Wissenschaftler erschließen, dazu müssen sie Gravitationswellen erfassen.

Schwarze Löcher wären spannende Studienobjekte. Kurz bevor sie miteinander Verschmelzen bewegen sie sich sehr schnell und haben zugleich enorme Masse. Gilt Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie in diesem Extremfall immer noch? Diese Frage ließe sich mit den Wellen beantworten. Andere Wissenschaftler würden gern wissen, ob schwarze Löcher wirklich perfekt runde Objekte aus reiner, leerer und verbogener Raumzeit sind, wie es die Theorie vorhersagt. Bisher haben Astronomen nur die Umgebung der Schwerkraftmonster beobachtet wie zum Beispiel das erhitzte Gas in ihrer Nähe. Die Vorstellung von den schwarzen Löchern selbst ist möglicherweise gar nicht zutreffend.

Ebenso unklar ist, ob Gravitationswellen tatsächlich mit Lichtgeschwindigkeit durchs All jagen. Theoretiker nehmen an, dass Gravitation durch bestimmte Teilchen – genannt Gravitons – übertragen wird. Sollten diese eine Masse haben, müssten die Wellen langsamer als das Licht sein. Das ließe sich überprüfen, indem Astronomen zum Beispiel das Verschmelzen zweier Neutronensterne beobachten. Dabei werden Gammastrahlen und Gravitationswellen frei. Die Forscher können messen, ob diese Signale wie erwartet gleich schnell auf der Erde ankommen, oder ob die Gravitationswellen doch etwas langsamer sind.

Womit soll die Gravitationswellenastronomie betrieben werden?
Mit Detektoren wie aLigo oder Geo600. Je nach Bauweise sind die Anlagen auf Wellen in einem bestimmten Frequenzbereich spezialisiert. Darüber hinaus soll 2034 das Observatorium „eLisa“ ins All gebracht werden. Drei Satelliten werden im Abstand von mehreren Millionen Kilometern positioniert, so dass ein Detektor mit viel größeren Armen entsteht, als es auf der Erde möglich ist. Dieser kann deutlich tiefere Frequenzen wahrnehmen. Die einzelnen Detektoren würden sich damit ergänzen. Wenn beispielsweise zwei schwarze Löcher miteinander verschmelzen, würde ein Satellitenobservatorium das wesentlich früher feststellen. Die Forscher könnten dann ihre erdgebundenen Detektoren sowie Teleskope auf das Schauspiel ausrichten, um es im Detail zu studieren.

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