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Die Impfung mit Astrazeneca ist in Deutschland ausgesetzt.

© THOMAS KIENZLE / AFP

Seltene Nebenwirkungen der Astrazeneca-Impfung: Die Impfpause richtet Schaden an – und gefährdet Menschenleben

Unter der verordneten Pause für das Covid-19-Vakzin von Astrazeneca leiden das Impfprogramm und Menschen, die eigentlich geschützt werden sollen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Patrick Eickemeier

Angesichts der Risiken der Astrazeneca-Impfung gegen Covid-19 und der Risiken des Ungeimpft-Seins inmitten einer Pandemie sahen sich manche vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt. Doch das geflügelte Wort müsste anders lauten, um der Situation gerecht zu werden: Es ist eher die Wahl zwischen der Pest und einer Impfung gegen die Pest.

Einige europäische Regierungen nehmen ihren Bürgern die Entscheidung jetzt ab, so auch die deutsche. Als Vorsichtsmaßnahme würden auf Empfehlung des für Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) Impfungen mit dem Präparat ausgesetzt.

Das teilte das Bundesgesundheitsministerium am Montag mit. Das PEI will sieben Fälle von Blutgerinnseln im Gehirn unter 1,6 Millionen Geimpften genauer untersuchen. Die mögliche Komplikation trat nach der Impfung zwar immer noch selten, aber häufiger auf als unter Ungeimpften.

In der vergangenen Woche hatte Dänemark als erstes Land die Impfungen mit dem an der britischen Universität Oxford entwickelten und vom britisch-schwedischen Pharmaunternehmen Astrazeneca auf den Markt gebrachten Impfstoff ausgesetzt.

Andere folgten schon vor Deutschland: Norwegen, Italien und die Niederlande. Auch in diesen Ländern soll zunächst Berichten über schwere Fälle von Blutgerinnseln nachgegangen werden, bevor entschieden wird, ob der Impfstoff weiter zum Einsatz kommen soll.

Das Imageproblem von Astrazeneca

Der Impfstoff von Astrazeneca hat ein Imageproblem, das schon mit Meldungen über eine schwere Erkrankung eines der etwa 30.000 an der klinischen Erprobung Teilnehmenden begann. Und als die Entwickler:innen der wartenden Weltöffentlichkeit die durchweg positiven Ergebnisse dieser Studie mitteilten, machten sie es ihr nicht leicht, die guten Nachrichten auch zu verstehen.

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In der Studie war einem Teil der Probanden versehentlich nur eine halbe erste Dosis des Impfstoffs gegeben worden. Es zeigte sich, dass die Impfung bei ihnen wirksamer war als bei den Probanden, die die volle erste Dosis erhalten hatten: 90 Prozent Effektivität gegenüber 62 Prozent. Um den positiven Zufallsfund zu berücksichtigen, berechnete und berichtete man eine mittlere Wirksamkeit von etwa 70 Prozent bei allen Probanden. So weit, so kompliziert.

Kurz vor der Astrazeneca-Meldung waren Pressemitteilungen der Hersteller von mRNA-basierten Impfstoffen veröffentlicht worden, die jeweils über 90 Prozent Wirksamkeit angaben. Der Astrazeneca-Impfstoff erhielt sein „Dritte-Wahl“-Label.

In Deutschland zementierte die Ständige Impfkommission den schlechten Ruf, indem sie zunächst empfahl, nur Jüngere mit dem Produkt zu impfen, weil ihr die Datengrundlage zu dünn war, um die Wirkung auf Ältere sicher zu beurteilen. Später empfahl sie den Impfstoff für alle Altersgruppen.

Nach neuen Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Deutschland und Europa hält das Paul-Ehrlich-Institut weitere Untersuchungen für notwendig.
Nach neuen Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Deutschland und Europa hält das Paul-Ehrlich-Institut weitere Untersuchungen für notwendig.

© Ronny Hartmann/dpa

Diese Umentscheidung ist nun erst einmal hinfällig. In Deutschland wird vorläufig niemand mehr mit dem Astrazeneca-Impfstoff immunisiert. Dabei ist unbestritten, dass er schwere Verläufe und Todesfälle verhindert.

Dass jetzt, da die Zahl der Geimpften von Zehntausenden in die Hundertausenden und Millionen geht, mögliche Komplikationen verzeichnet werden, war zu erwarten. Es verhält sich bei den anderen eingesetzten Impfstoffen auch so. Entscheidend ist aufzuklären, ob diese Fälle wegen der Impfung auftreten.

Es sei noch zu früh, um zu entscheiden, ob Impfstoff und Blutgerinnsel zusammenhängen, heißt es in einer Mitteilung der dänischen Gesundheitsbehörde, auch das PEI zieht diesen Schluss noch nicht.

Verzögerungen der Impfprogramme haben Folgen

Die dänische Behörde hat ihren Impfkalender aber bereits überarbeitet. Für den Fall. Ohne das Mittel von Astrazeneca wird die Bevölkerung des Landes etwa vier Wochen später vollständig geimpft sein. Wie es sich in Deutschland verhält, konnte der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf einer eilig am Montagnachmittag einberufenen Pressekonferenz nicht sagen, es wurde noch nicht abgeschätzt. Es könnten sich aber ähnliche Verzögerungen ergeben.

In Europa sterben derzeit wöchentlich etwa 4000 Menschen an oder mit Covid-19. Bei zunehmender Verbreitung neuer Varianten und steigenden Inzidenzen muss davon ausgegangen werden, dass diese Zahl zunimmt – solange die Menschen keinen Impfschutz haben. Verzug der Impfprogramme bedeutet mehr Krankheits- und Todesfälle durch Covid-19.

Entscheidend ist aufzuklären, ob die berichteten Blutgerinnsel wegen der Impfung auftreten. Wenn der Zusammenhang belegbar werden sollte, muss ohne Astrazeneca weitergeimpft werden, selbst wenn nur Einzelne unter Millionen betroffen wären.

Doch aufgrund des Verdachts Impfungen auszusetzen, gefährdet Menschen, denen Impfstoff vorenthalten wird, und auch Menschen, die künftig verunsichert Impfangebote ausschlagen. Das PEI geht dieses Risiko ein. Selbst wenn es das Mittel zur Weiterverwendung empfehlen sollte, der Schaden an der Impfbereitschaft ist angerichtet. Darunter werden voraussichtlich mehr Menschen zu leiden haben als an seltenen Nebenwirkungen.

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