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Das Schwerlastschiff „Xin Guang Hua“ ist Ende Februar zu seiner Reise über den Pazifik ausgelaufen. Geladen hat es die Startplattform „Odyssey“.

© Gene Blevins/imago

Sea-Launch-Projekt: Ein Weltraumbahnhof auf dem Meer

Ein Schiff transportiert die Plattform über den Pazifik: „Odyssey“ soll Raketen vom Äquator aus starten, die den Schwung der Erde mitnehmen.

Wenn das Schwerlastschiff „Xin Guang Hua“ aus dem Hafen ausläuft, ist das immer spektakulär. Kürzlich verließ der unter der Flagge Hongkongs fahrende Gigant begleitet von vier Schleppern das südkalifornische Long Beach und nahm Kurs auf den Fernen Osten Russlands. 255 Meter lang und 68 Meter breit ist der Riese – und doch schien die Fracht gefährlich groß, fast zu groß für die weite Fahrt über den Pazifischen Ozean.

Gewöhnlich transportiert die „Xin Guang Hua“ Tausende von Tonnen schwere Offshore-Plattformen für die Ölindustrie in die Fördergebiete vor der Küste. Auf den ersten Blick sah es auch diesmal so aus. Auf den zweiten Blick fielen jedoch Unterschiede in den Aufbauten auf. Diese Fracht ist ganz besonders: Es handelt sich um die „Odyssey“, eine Startplattform für Trägerraketen, einen schwimmenden Weltraumbahnhof gewissermaßen.

Vier Jahre lang hatte dieses mobile Baikonur oder Cape Canaveral eingemottet und bewacht von einer kleinen Crew in Kalifornien vor sich hingedämmert.

Satelliten stehen "fest" an einem Punkt

Was sich da jetzt auf den Weg nach Russland macht, das galt in den 90er Jahren einmal als das ambitionierteste Projekt der Kosmos-Industrie nach der internationalen Raumstation ISS. Das Projekt hieß Sea Launch – ein Raketenstart nicht auf dem Land, sondern von einer Plattform auf dem Meer. Von der „Odyssey“ wurden vor drei Jahrzehnten Satelliten auf besonders hohe, sogenannte geostationäre Umlaufbahnen gebracht. Sie werden vor allem für die Telekommunikation – von der Fernsehübertragung über das GPS bis hin zum künftigen autonomen Fahren auf der Straße – gebraucht. Solche Satelliten stehen praktisch „fest“ über einem bestimmten Punkt auf der Erde. Tatsächlich kreisen sie synchron mit der Erdrotation. Dafür ist die gewaltige Höhe von 36 000 Kilometern über der Erdoberfläche erforderlich. Zum Vergleich: Die ISS fliegt in einer Höhe von 400 Kilometern.

Weltweit jedes Unternehmen, das sich mit diesen neuen Kommunikationstechnologien befasst, schien ein potenzieller Kunde für die „Odyssey“ zu sein. Versprochen wurden Starts, die bis zu 20 Prozent billiger wären als die von Baikonur, Cape Canaveral oder Courou. Der Grund: Die „Odyssey“ kann im Pazifik vom Breitengrad null, vom Äquator aus, eingesetzt werden. Hier gibt die Erde mit ihrer Rotation der startenden Rakete sozusagen noch maximalen Schwung mit, was höhere Nutzlasten bei gleichem Energieeinsatz möglich macht.

Im Jahr 1999 startete das Projekt

Luft- und Raumfahrtunternehmen sowie ein Werftkonzern waren an dem Projekt beteiligt, zu dem auch noch die „Sea Launch Commander“, das Schiff mit der Steuerzentrale gehört. Größter Gesellschafter war seinerzeit die Weltraum-Tochter des Boeing-Konzerns mit 40 Prozent, Anteile hielten darüber hinaus das russische Raketentechnik-Unternehmen Energija, zwei ukrainische Firmen – ein Konstruktionsbüro und der Hersteller der Raketen – sowie die norwegische Kvaerner-Werft (heute Aker Solution).

Im März 1999 startete die erste Rakete, 29 weitere folgten in den nächsten Jahren. Doch ihr zehnjähriges Jubiläum erlebte die „Odyssey“ nicht. Zu wenige nutzten den Weltraum-Dienstleister, die Betreiber hatten sich verrechnet. Vielen potenziellen Kunden schien ein Start auf dem Meer zu riskant. 2009 meldete die Boeing-Tochter, die nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen zwei und 3,5 Milliarden Dollar in das Projekt gesteckt hatte, Insolvenz an. Interessenten an der Konkursmasse gab es durchaus einige, doch 2014 wurden die Plattform und das Kommando-Schiff erst einmal in Long Beach eingemottet.

Erst war es kommerziell schwierig, dann auch politisch

Inzwischen war nämlich auch ein gewisser Elon Musk auf dem Markt für Weltraumstarts aufgetaucht. Sein Dienstleister, SpaceX, blieb mit seinen Angeboten noch einmal beträchtlich unter den Offerten der Konkurrenten. Zu den kommerziellen Schwierigkeiten kamen nun aber auch noch politisch unüberwindbare Hindernisse. Im Februar 2014 hatte Russland die Krim annektiert und mit der Beteiligung am Krieg in der Ostukraine begonnen. In der Folge endete auch die Zusammenarbeit Russlands und der Ukraine in der Weltraumindustrie. Die einzige Trägerrakete, die für Sea Launch verwendet werden konnte, war aber eine ukrainisch-russische Koproduktion.

Wladislaw Filjew gilt als Kopf des Unternehmens

Vor vier Jahren übernahm die in der Schweiz registrierte Firma S7 Space das, was von diesem ehrgeizigen Projekt noch übrig geblieben war. Kopf des Unternehmens ist nach Informationen der russischen Wirtschaftsplattform rbc.ru ein Veteran der geheimen militärischen Weltraumprojekte Russlands: Wladislaw Filjew. Der trete sehr selten öffentlich auf, schreibt rbc.ru.

Vor gut zwei Jahren jedoch habe er seinen Einstieg in die Geschäftswelt auf einem Kongress kurz begründet: Er wolle die Kosmonautik jetzt aus der Perspektive des Geldes betrachten, sagte er in einem Vortrag. Doch Experten halten Filjews Geschäftsmodell für riskant. Zum einen braucht er eine neue Trägerrakete, die mit der Technik Elon Musks konkurrenzfähig ist. Da ist derzeit nichts zu sehen. Ein neuer russischer Träger, „Sojus 5“, soll erst 2024 in die Erprobung gehen.

Zum anderen sind vor dem Transport der „Odyssey“ alle aus den USA und der Ukraine stammenden Bauteile ausgebaut worden. Filjew muss die Plattform also erst wieder „aufrüsten“ lassen.

Und schließlich gibt es im Jahr nur 20 bis 25 große Satellitenstarts. Von denen bräuchte das S7-Unternehmen drei bis vier, meinen Experten. Nichtsdestotrotz hat Filjew bereits ankündigen lassen, er habe Bestellungen für 50 Trägerraketen aufgegeben und die Option auf 35 weitere. Jetzt erwartet er im Osten Russlands erst einmal seine Plattform.

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