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Das Gebäude des Science Centers Experimenta in der Abenddämmerung.

© Roland Halbe/Experimenta

Science Center Experimenta in Heilbronn: Spektakuläre Hülle, viel Wissenschaft dahinter

Das Science Center Experimenta in Heilbronn lockt Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Labore, Lern- und Werkräume. Immer dabei sind hilfreiche Expertenteams.

Heilbronn boomt. Die vom Krieg arg mitgenommene, weitgehend zerstörte Neckarstadt hat sich zum potenten Industriestandort entwickelt und erfreut sich überdurchschnittlicher Prosperität. Und sie ist darüber hinaus Sitz der Dieter Schwarz-Stiftung (Lidl, Kaufland), die sich in großem Stil mäzenatisch engagiert. Derzeit wird erörtert, ob sich Heilbronn künftig Universitätsstadt nennen darf, gibt es doch im von der Stiftung finanzierten Bildungscampus seit kurzem eine Dependance der TU München.

Der TU-Ableger ist der Kern des Hochschulclusters nordwestlich der Innenstadt, in dem unter anderem auch die Hochschule Heilbronn, die German Graduate School of Management and Law, die Duale Hochschule Baden-Württemberg und die Akademie für Innovative Bildung angesiedelt sind. Ein Startup-Zentrum soll Schüler und Studierende für unternehmerisches Denken begeistern und Existenzgründungen fördern.

Vom Nawi-Labor in die Experimentierküche

Der Lust und Neugier auf Wissenschaft und Forschung ist nun das jüngste Heilbronner Projekt gewidmet, das Science Center Experimenta. Vor 13 Jahren wurde ein Ölsaatspeicher auf der Kraneninsel, ein Backsteinbau von 1936, zu einem Wissenschaftszentrum umgebaut. 2009 fügten die Berliner Architekten Studioinges mit viel Geschick einen modernen, im Material angepassten Erweiterungsbau hinzu.

Doch Stifter Dieter Schwarz hatte weitergehende Vorstellungen, 2013 wurde ein Architektenwettbewerb für Deutschlands größtes Wissenschaftszentrum ausgelobt, den das Berliner Büro Sauerbruch Hutton gewann. Neben dem Bestandsbau, mit diesem durch eine unterirdische Passage verbunden, schraubt sich der Neubau in die Höhe, ein Stapel von sechs gegeneinander verdrehten fünfeckigen Geschossen. Im Bestandsbau verblieben die Verwaltung und die „Forscherwelten“ mit naturwissenschaftlichen Laboren, Experimentierküche, mit vielen Angeboten für Kindergarten- und Schulklassen, immer betreut von hauseigenen Pädagogen. Hinzu kommt ein „Maker Space“, wo junge Leute Elektronik, Videos oder handwerkliche Arbeiten bis hin zu Textilien entwickeln können.

Durch die Passage geht’s hinüber zur neuen Experimenta. Dort startet der Rundgang in den „Erlebniswelten“ des „Science Domes“, einem erstaunlichen Rundkino mit 170 Plätzen, das sich während der Vorstellung samt Auditorium dreht und sich zu einer Bühne hin öffnet. Wissenschaft wird hier als Show vermittelt, nicht virtuell, sondern mit veritablen Menschen. Weiterhin stehen drei Säle für Wechselausstellungen zur Verfügung, im Erdgeschoss dann das große Foyer, der Shop und das Restaurant mit Neckarblick.

Dachterrasse mit Observatorium

Beengt geht es im Experimenta wirklich nicht zu. Rolltreppen führen nach oben, jeweils in die Stockwerksfoyers, die Ausblicke in alle Himmelsrichtungen bieten. Diese spiralförmige, vertikale Gebäudeorganisation kennt man zum Beispiel vom Museum aan de Stroom in Antwerpen. Sie führt den Besucher intuitiv durchs ganze Haus, bis hinauf zur Dachterrasse mit dem Observatorium, ein Kalvarienberg der Wissenschaft, mit Stationen bis in den Himmel.

Die taghellen Foyers sorgen zwischen den Abteilungen für Entspannung, wenn man voller Eindrücke aus den Ausstellungsräumen wieder heraustritt. Während in Antwerpen die Erschließungsspirale gläsern, die Schauräume mit Sandstein verkleidet sind, sind es in Heilbronn transparente gegen helle, opake Fassadengläser, die das Prinzip ablesbar machen. Tiefrot und orange, wie man es bei den für kräftige Farben bekannten Sauerbruch Hutton eigentlich erwartet, glüht das dezent-graue Gebäude nur am Abend von innen heraus.

Foyers und Ausstellungsräume umringen das haushohe Atrium, in dem ein turmartiger, siebeneckiger Kern hängt. Beim Blick nach oben ringen schiefwinklige Flächen und Formen, Stützen und Streben auf verwirrende, fast dekonstruktivistische Art miteinander.

Mehr als ein kurzweiliges Experimentsammelsurium

Im Turm untergebracht ist in jedem Geschoss ein Studio zur vertieften Beschäftigung mit den Inhalten. „Entdeckerwelten“ mit den Themen „Stoff-Wechsel“, „Kopf-Sachen“, „Welt-Blick“ und „Forscher-Land“ sind zu erkunden. Materialien und Elemente, Wahrnehmung, Naturphänomene, alles spielerisch aufbereitet und präsentiert, mit vielfachen, oft verblüffenden, jedenfalls unterhaltsamen Experimenten interaktiv zu erleben. Kinder bauen in einer Wasserlandschaft und spielen Wasserkraft, Erwachsene tüfteln und testen ihr Wissen. Die Fantasie und Ideen der interdisziplinären Ausstellungsmacher machen Staunen. Auch wer den ganzen Tag bleibt, wird sich nicht langweilen.

Die Dieter Schwarz-Stiftung sieht die Experimenta als logischen Einstieg in den Bildungscampus. Schon das signifikante Gebäude mit seinem technizistischen Habitus lockt die jungen Menschen an den Ort, wo sie spielerisch an Wissenschaft und Forschung herangeführt werden (um dann vielleicht nebenan weiter zu studieren). Deshalb nicht nur ein kurzweiliges Experimentsammelsurium, wie es andere Häuser auch zu bieten haben, deshalb zusätzlich die Labore, Lern- und Werkräume und die üppige Personalausstattung vom Techniker und Wissenschaftler bis zum Werkmeister, Pädagogen und Schauspieler. Hier spielt niemand verständnislos an einem Experiment herum und geht frustriert zum nächsten. Hier stehen Menschen parat, die erklären und weiterhelfen.

Der Autor hat das Science Center Experimenta auf Einladung der Dieter Schwarz-Stiftung besucht.

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