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Versuch der Versöhnung. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier besuchte kürzlich in Ruanda die Gedenkstätte Kigali Genocide Memorial Center - hier im Gespräch mit dem Direktor Honore Gatera.

© Michael Kappeler/dpa

Schwieriger interkultureller Dialog: Auch mal schweigen können

Völkerverständigung - das geht mitunter besser, wenn die Menschen die Sprache der Fremden nicht verstehen, meint ein Jerusalemer Philosophieprofessor auf einer Tagung in Berlin. Außenminister Steinmeier sprach über die Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda.

Als die Spanier und das Volk der Arawak im Jahr 1492 zum ersten Mal aufeinandertrafen, geschah etwas Seltsames: Beide verstanden kein Wort von dem, was die anderen sagten. Dennoch konnten sie sich verständigen, sie tauschten zum Beispiel Waren aus. Später dagegen eskalierte die Gewalt, obwohl es Übersetzer gab. Für Gabriel Motzkin, Philosophieprofessor der Hebräischen Universität Jerusalem, zeigt diese Geschichte, dass Menschen nicht unbedingt in einen sprachlich ausgefeilten Dialog treten müssen, um eine Verbindung aufbauen zu können. „Manchmal kommen wir sogar besser miteinander aus, wenn wir uns kaum verstehen, dafür aber respektieren.“ Israelis und Palästinenser seien im Alltag zum Beispiel oft netter zueinander, wenn die Palästinenser schlecht Hebräisch sprächen.

Wie ist ein Dialog zwischen konträren Kulturen möglich?

Motzkin sitzt am Montagnachmittag auf dem Podium der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; Goethe-Institut und Uni München haben zur Konferenz „Dialog & die Erfahrung des Anderen“ geladen. Eineinhalb Tage lang diskutieren internationale Intellektuelle, wie ein Dialog zwischen Kulturen und konträren Lebensvorstellungen als gleichberechtigte Verständigung stattfinden kann. Dialog – das klingt nach gegenseitigem Verständnis und der Chance, im Gespräch vom Anderen zu lernen. Schon Platon brachte in Dialogform Grundbegriffe hervor, die bis heute die europäische Philosophie prägen. Dialog erscheint uns als Grundbedingung der Demokratie.

Tatsächlich sieht es in Zeiten von „Pegida“ und dem IS, von Ukraine-Krieg und Montagsdemonstrationen so aus, als ob viele Verständigungsprozesse gescheitert wären. Ist es überhaupt sinnvoll, miteinander zu sprechen, wenn die Gräben zu tief sind? Auf welcher Basis wird verhandelt, wenn Identitäten multikulturell, doch verschwommen sind? Und inwiefern können Dialogteilnehmer gleichberechtigt sein?

Dialog nach dem Völkermord

Mit diesen Fragen setzt sich Außenminister Frank Walter Steinmeier als Eröffnungsredner auseinander. Gerade ist er aus Ruanda zurückgekommen. Dort sei er auf eine Gesellschaft gestoßen, die nach dem Völkermord versuche, durch Dialog zusammenzuwachsen: „Solche Verständigungen sind existenziell für das Überleben von Gesellschaften. Deswegen muss Dialog oder zumindest das Verstehenwollen auch Maßstab für Außenpolitik sein“, sagt Steinmeier. Allerdings könne dies nicht immer die erste Antwort sein. Manchmal sei militärisches Eingreifen unvermeidbar. „Im Vorfeld können wir aber Voraussetzungen für einen gerechten Dialog schaffen, indem wir kulturelle Identitäten schützen.“ Denn wer sich seiner selbst unsicher sei, könne auch das Gegenüber nicht verstehen. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, glaubt sogar, Kulturinstitutionen könnten durch Ideenaustausch dort Verständigung erwirken, wo Politik versage. „Es scheint vermessen, gewaltvollen Problemen mit Dialog beikommen zu wollen. Dennoch müssen wir so oft wie möglich das Gespräch suchen, solange die Grundprinzipien Vielfalt, Gleichwertigkeit und Interkulturalität gewahrt bleiben.“

Dialoge können auch Mittel der Unterdrückung sein

Grundprinzipien finden, mit denen ein Austausch auf Augenhöhe möglich wird: Wie lässt sich das von Jürgen Habermas, dem Vater der Diskursethik, formulierte Ideal von der Chancengleichheit der Gesprächsteilnehmer umsetzen? Denn ein Dialog kann, je nach Machtverhältnis, auch unterdrücken. So spielten schon Platons Dialoge meist zwischen Schülern und Lehrer. Und gerade in der postkolonialen Welt, betont Lehmann, hätten Menschen sehr verschiedene Voraussetzungen, sich einzumischen und gehört zu werden. Dazu stellt Motzkin klar: „Das Wichtigste am Dialog ist es, auch mal schweigen zu können und den anderen sprechen zu lassen.“ Erst dann könne man vom Anderen lernen. Der Münchner Philosoph Julian Nida-Rümelin erinnert daran, dass jeder Dialog mit Dissens beginnt: „Selbst wenn daraus kein Konsens wird, schafft der Dialog die Chance für Dynamik und neue Erkenntnisse.“

Am Dienstag sprach Rahel Jaeggi dann über die Frage, ob sich Lebensformen kritisieren lassen, Bloggerin Anne Wizorek referierte über Möglichkeiten des Dialogs durch digitale Medien. Das Berliner Gespräch zwischen Wissenschaft und Goethe-Institut sollte Theorie und Praxis zusammenführen, um der Kulturarbeit neue Impuls zu geben.

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