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Homeschooling während des Lockdowns im Januar 2021

© imago images/Jochen Tack

Schulclouds am Kollaps: „Absichtlich gegen die Wand gefahren“

Das Beispiel Bayern zeigt: Dessen Lernsystem war nie für viele Nutzende ausgelegt, die Politik versagte.

Als die Schulen wegen Corona schlossen, brachen immer wieder die Lernmanagementsysteme und Schulclouds der Bundesländer zusammen. Eine kleine Anfrage des grünen bayerischen Abgeordneten Max Deisenhofer bringt nun am Beispiel der Schulcloud „Mebis“ ans Licht, was alle ahnten.

Die Schulclouds waren nicht auf den Ansturm der Schüler vorbereitet, bei Mebis stiegen die Nutzerzahlen um 7400 Prozent. Der Zusammenbruch war vorgezeichnet. „Mebis war nie für über eine Million Schüler nutzbar“, sagte Deisenhofer dem Tagesspiegel. Das Lernmanagementsystem (LMS) sei absichtlich gegen die Wand gefahren worden. „Das war verantwortungslos.“

Der politische Kollaps von Mebis ist von bundesweiter Bedeutung. Viele Länder betreiben ihre LMS auf Basis der open-source-software „Moodle“. Mit über 10.000 angeschlossenen Schulen ist Moodle der Marktführer unter den LMS, allein 5600 davon in Bayern unter dem Namen Mebis. Danach kommen die Anbieter „IServ“ aus Braunschweig und „itslearning“ aus Norwegen sowie die Potsdamer „Schulcloud“ mit inzwischen 3500 Schulen. In Mebis haben Hunderte bayerischer Lehrer Kurse und Lernmaterialien eingepflegt. Die politische Spitze aber ging wenig liebevoll mit dem LMS um.

Aus der Antwort des Kultusministeriums von Michael Piazolo (Freie Wähler) lässt sich ablesen, wie gigantisch sich die Nutzerzahlen nach den Schulschließungen entwickelten. Im Februar vergangenen Jahres nutzten mindestens 3136 Schüler und Lehrer das LMS täglich. Binnen vier Wochen schnellte die Zahl dann hoch auf 233.000 einzelne identifizierbare Tagesnutzer. Wahrscheinlich waren es sogar mehr.

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Aber „um die Betriebslast in Stoßzeiten zu reduzieren, wurde teilweise auf das Protokollieren der Nutzerzugriffe verzichtet“. Auf deutsch: Der Ansturm war so groß, dass das System die Schüler und Lehrer nicht mehr zählen konnte, die in Mebis Kurse belegen oder Videos gucken wollten. Das Schicksal des LMS wurde gleich in der ersten Woche der Schulschließung ab 16. März 2020 besiegelt: da fiel Mebis an vier aufeinander folgenden Tagen quasi komplett aus. Nur, welcher Lehrer lässt sich noch auf ein Lernsystem ein, das tagelang nicht funktioniert, wenn er es unbedingt braucht?

Verzweifelt Server angeschafft

Mebis scheiterte auch an seinem Erfolg. Bereits vor der Pandemie hatte das Kultusministerium Bayerns Lehrer ermuntert, möglichst viele Schüler in Mebis aufzunehmen. Man löste für eine Million Schüler Mebis-Tickets. Allerdings gab es in der Realität nie mehr als eine Viertelmillion freie Plätze im digitalen Klassenzimmer – selbst dann nicht, als das Kultusministerium verzweifelt zusätzliche Server anschaffte.

Die Kapazitäten wurden im Frühjahr und an Weihnachten von sechs auf 36 Server erhöht. „1,3 Millionen melden sich bei Mebis an. Mebis ist ein Erfolgsprogramm“, behauptete der Minister da noch – obwohl er wusste, dass sich nur ein Bruchteil der Registrierten einloggen kann.

Der Abgeordnete Max Deisenhofer spricht daher von einem programmierten Versagen der Staatsregierung. „Michael Piazolo wusste von Anfang an, dass Mebis im Realbetrieb nicht beliebig zu skalieren ist.“ Besonders ärgerlich findet Deisenhofer, dass sich Piazolo „seine Worte so zurechtgebogen hat, wie er es in seinem im Wolkenkuckucksheim brauchte“.

Tatsächlich änderte der Kultusminister nicht sein Handeln, sondern seine Reden. Er sagte an Weihnachten plötzlich, Mebis sei nie darauf angelegt gewesen, alle Schüler zu versorgen.

Auch andere LMS-Betreiber wie Moodle, Iserv, itslearning oder die Schulcloud des Hasso-Plattner-Institutes verzeichneten Abstürze. Der Manager eines Moodle-Systems sagte dem Tagesspiegel: „Jeder hat das Problem. Versuchen sie mal, Kapazitäten in einer Cloud zu bekommen. Da gibt's praktisch nichts mehr.“

Amazon war praktikabler

Allerdings haben die anderen Cloudanbieter inzwischen gehandelt und ihre Kapazitäten massiv ausgeweitet. Itslearning teilte auf Anfrage mit, es habe „nun fast alle Prozesse von dem norwegischen traditionellen Rechenzentrum nach AWS umgezogen“. „AWS“, das ist der Cloudanbieter von Amazon. Auch die Potsdamer Schulcloud wurde ausgebaut.

Laut einem Zeitungsbericht wird die Schulcloud inzwischen von über 1000 Servern bereit gestellt. Bei IServ sind es noch mehr. Geschäftsführer Jörg Ludwig sagte dem Tagesspiegel: „Wir betreiben nur für unsere Videokonferenzen 1500 leistungsstarke Server, dazu kommen für IServ selbst 3000 lokale Server an den Schulen.“ Das sind die Größenverhältnisse: Mebis hat die meisten Schulen, aber die wenigsten Server. Die Konkurrenten stellen Hunderte bis Tausende zur Verfügung, Bayern ganze 36.

Lernt Bayern aus dem Kollaps von Mebis? Das ist für den Grünen Deisenhofer die Gretchenfrage: Denn auf Mebis soll nun eine 80 Millionen teure Schulcloud aufgebaut werden.

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