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Herr der Steine. Ferdinand Damaschun hat die Gesteine und Minerale, die über Alexander von Humboldt in die Sammlungen gekommen sind, aufgespürt und daraus ein Buch gemacht.

© Dorothee Nolte

Sammlung im Naturkundemuseum: Humboldts steinerne Schätze

Zinnober, Limonit und ein Goldnugget als Gipsabguss: Das Museum für Naturkunde präsentiert erstmals die Sammlungen Alexander von Humboldts.

Kurz vor den Sommerferien durchstreifen viele Schulklassen das Museum für Naturkunde, vor allem den Dinosauriersaal, einige verirren sich auch in die mineralogische Sammlung direkt nebenan. Die ehrwürdigen Holzvitrinen im Saal, gefüllt mit Steinen und Mineralen aus aller Welt, sind noch im Originalzustand vorhanden und atmen den Geist des 19. Jahrhunderts. Manch jugendliches Gemüt wird dadurch offenbar verwirrt. „Das ist doch Jesus!“, sagt ein Achtklässler, als er in einer Vitrine am Eingang die Büste eines jungen Mannes sieht.

Nicht ganz – es ist Alexander von Humboldt (1769–1859). Aber wenn man will, kann man durchaus eine Gemeinsamkeit zwischen Jesus und Humboldt entdecken: Beide waren sehr freigebig. Humboldt, der von Kindheit an eifrig Pflanzen und Steine sammelte, schrieb als Student an den Direktor des Königlichen Mineralienkabinetts, Dietrich Ludwig Karsten: „Ich sammle immerfort Pflanzen und Fossilien, und wenn ich heute etwas Seltenes habe und morgen seh’ ich, dass es einem Dritten mehr Freude macht, so geb’ ich es weg. So komm’ ich freilich nie zu einer Sammlung!“

Wo immer Humboldt hinkam, hielt er Ausschau nach Gesteinen

250 Jahre nach seiner Geburt kommt der so sammelfreudige und freigebige Humboldt doch noch zu einer Sammlung, in Gestalt eines Buches und einer Intervention. Die beiden Beiträge des Museums für Naturkunde zum Humboldtjahr werden an diesem Montagabend vorgestellt beziehungsweise eröffnet, und sie zeigen den bedeutsamen Beitrag, den der Naturforscher für die Bestände des Museums geleistet hat.

Wo auch immer er hinkam, hielt Humboldt Ausschau nach interessanten Mineralen und Gesteinen: ob während seines Studiums an der Bergakademie in Freiberg/Sachsen, als Bergbaubeamter in Franken, auf Reisen durch Deutschland und Europa, auf seiner großen Amerikareise (1799–1804) oder während der Russlandreise auf Einladung des Zaren Nikolaus, die ihn 1829 bis zur chinesischen Grenze führte. Von überall her schickte er seine Fundstücke an Kollegen oder übergab sie dem Königlichen Mineralienkabinett, das ab 1814 als „Mineralogisches Museum“ im Hauptgebäude der Berliner Universität untergebracht war und 1889 im Naturkundemuseum aufgehen sollte.

Mehr als 1100 Stücke von Humboldts Reisen

In dessen Sammlungen lagen die Stücke, teilweise handschriftlich von Humboldt etikettiert, seitdem weit verstreut – denn Objekte werden nicht nach einzelnen Sammlern, sondern nach ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen Mineralklassen sortiert. Auch in den Vitrinen der Schausammlung stehen sie geordnet nach „Sulfiden“, „Oxiden“, „Phosphaten“ und so weiter. „Erst die Digitalisierung hat es ermöglicht, aus den riesigen Beständen die Stücke herauszupicken, die mit Humboldt in Verbindung zu bringen sind“, sagt Ferdinand Damaschun, ehemals Stellvertreter des Generaldirektors und Leiter der Ausstellungsabteilung.

Zusammen mit dem Kustos der Mineralienabteilung Ralf T. Schmitt hat Damaschun, der noch ehrenamtlich für das Museum tätig ist, diese Minerale und Gesteine gesichtet. „Als wir mit der Arbeit anfingen, rechneten wir mit rund 800 Stücken“, erzählt Damaschun. „Inzwischen sind wir bei über 1100, und wahrscheinlich lagern noch Dutzende weitere in verschiedenen Schränken.“ 512 Proben konnten sie nachweisen, die direkt oder indirekt über Humboldt in die Sammlungen gekommen sind, weitere 604 stammen von Humboldts Russlandreise, wurden jedoch von seinem Begleiter, dem Mineralogen Gustav Rose, gesammelt und beschriftet.

Zinnober aus Mexiko, Limonit aus Peru

Ein reicher Stoff jedenfalls, aus dem Damaschun und Schmitt ein wunderbares Buch mit dem Titel „Alexander von Humboldt. Minerale und Gesteine im Museum für Naturkunde Berlin“ gemacht haben. Zu den Autoren gehören die Literaturwissenschaftlerin Cettina Rapisarda, der Geologe Carsten Eckert und die Mineralogin und Ethnologin Renate Nöller. Der reich bebilderte, 425 Seiten starke Band erscheint heute und präsentiert nicht nur die Stücke selbst in Fotografien von Hwa Ja Götz, sondern auch all die Geschichten, die sich um sie ranken. So finden in dem Buch nicht nur Mineralogen, Wissenschaftshistoriker oder Museologen, sondern auch Humboldt-Enthusiasten und allgemein Interessierte eine anregende Lektüre.

Gold aus Gips. Humboldt erhielt diesen Abdruck eines riesigen Nuggets als Geschenk.
Gold aus Gips. Humboldt erhielt diesen Abdruck eines riesigen Nuggets als Geschenk.

© Naturkundemuseum

60 Steine und Minerale, die auf Humboldts Reisen zurückgehen, sind unter dem Titel „Ein langdauernder Werth“ ab morgen im Mineraliensaal zu sehen. In den Holzvitrinen sind sie, durch blaue Winkel hervorgehoben, jeweils genau dort untergebracht, wo sie nach den wissenschaftlichen Kriterien der Schausammlung hingehören: etwa zwei Cinnabarite (Zinnober) aus Mexiko in der Vitrine „Sulfide“ oder ein Limonit aus Peru bei den „Oxiden“. Da es sich nicht um eine eigene Ausstellung, sondern um Einfügungen handelt, hat das Museum den Titel „Intervention“ gewählt. Besucherinnen und Besucher werden darauf auch durch Humboldt-Zitate auf großen blauen Plakaten aufmerksam gemacht, etwa ein sehr aktuell klingendes: „Irrtümer verbreiten sich immer mehr als Wahrheiten“ oder sein Verdikt „Ganz Sibirien ist eine Fortsetzung der Hasenheide bei Berlin“.

Russland schenkte den Gipsabguss eines Goldnuggets

Humboldt, der so viel verschenkte, bekam auch selbst Präsente. Unter anderem ließ ihm der russische Finanzminister Cancrín einen Gipsabguss des größten Goldnuggets zukommen, der jemals in Russland gefunden wurde – auch er ist im Mineraliensaal zu bewundern. Der prächtige Band wäre für Humboldt jedoch sicher das schönste Geschenk zum 250. Geburtstag gewesen.

„Alexander von Humboldt. Minerale und Gesteine im Museum für Naturkunde Berlin“ ist im Wallstein Verlag erschienen (425 Seiten, 34,90 Euro). Die Intervention ist noch bis zum 29. Februar 2020 zu sehen.

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