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Ukrainische Soldaten und ein Zivilist hantieren vor einem Verwaltungsgebäude in Charkiv mit zerstörten Möbeln.

© imago images/Ukrinform

Russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine: Der Einspruch der Wissenschaft muss eindeutig sein

Warum beim Abbruch des Austausches mit Russland nicht von Projekt zu Projekt unterschieden werden darf. Ein Gastbeitrag des HRK-Präsidenten.

Die Wissenschaft baut Brücken auch in schwierigen politischen Lagen. Dass sie Verbindungen herstellt und Gemeinsamkeit erzeugt, wo sonstige Formen der Verständigung scheitern, ist ein wesentliches Element der vielbeschworenen Science Diplomacy.

Nach dem Ende des Kalten Krieges wuchs in Europa die Erwartung, dass gemeinsame Forschungsvorhaben eine Vorstufe engerer politischer Zusammenarbeit mit postkommunistischen Staaten bilden könnten. Das galt vor allem für Russland, das nach der Jahrtausendwende zu einem wichtigen akademischen Partnerland avancierte.

Der Optimismus, der sich an Austauschprogramme und gemeinsame Forschungsprojekte knüpfte, wurde verstärkt durch ein nicht nur symbolpolitisches Ereignis. Am 25. September 2001 hielt Wladimir Putin vor den Abgeordneten des Bundestags eine Rede, die Hoffnungen auf ein vertrauensvolles Miteinander gerade auch in der wissenschaftlichen Kooperation schürte.

Auf diesem Boden gediehen zahlreiche neue Programme des akademischen und forschungsbezogenen Austauschs. Seit 2009 besteht das Deutsche Wissenschafts- und Innovationshaus in Moskau; mehrere deutsche Hochschulen, aber auch die Helmholz-Ge­meinschaft unterhalten dort feste Büros, um ihre bisher enge Interaktion mit russischen Partnern besser koordinieren zu können. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert derzeit mehr als 300 Kooperationsvorhaben mit Russland.

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Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine hat diese Zusammenarbeit fundamental in Frage gestellt. Die Reaktion der Wissenschaft auf den massiven Völkerrechtsbruch der russischen Regierung war einhellig wie selten. Die Allianz der zehn wichtigsten deutschen Wissenschaftsorganisationen hat zügig empfohlen, die Zusammenarbeit mit russischen Partnereinrichtungen einzufrieren.

Keine Normalität, wo der Völkerrechtsbruch herrscht

Das betrifft nicht nur große Projekte im Bereich der Weltraumforschung und der Energietechnologien, sondern auch den akademischen Austausch und gemeinsame Studien­programme. In Berlin haben die drei Universitäten in öffentlichen Stellungnahmen sehr deutlich unterstrichen, dass man dem Ernst der Lage gemäß aktuell keine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit russischen Institutionen für möglich hält.

Ein Porträtfoto neben dem Logo der HRK.
Peter-André Alt, der Autor dieses Gastbeitrags, ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.

© David Ausserhofer/HRK

Auch andere Hochschulen erklären, man wolle keine Normalität suggerieren, wo der Völkerrechtsbruch herrscht. Solche Positionsbestimmungen sind intern nicht unumstritten. An etlichen Hochschulen wird auf die Tatsache hingewiesen, dass gerade die Wissenschaft sich vielfach in Opposition zum Putin-Regime befinde.

Vor wenigen Tagen erst veröffentlichten 380 russische Wissenschaftler:innen, darunter 65 Mitglieder der angesehenen Moskauer Akademie, einen offenen Brief zum ,ungerechtfertigten und offensichtlich sinnlosen‘ Krieg gegen die Ukraine. Bis zum Morgen des 3. März hatte sich die Zahl der Unterschriften bereits auf über 6900 erhöht (den Originalbrief mit Unterzeichnenden finden Sie hier).

[Lesen Sie auch unseren Bericht über den offenen Brief: Gekappte Kontakte und ein Hilferuf aus Moskau]

Ein Schlüsselsatz lautet: „Die Isolierung Russlands gegenüber der Welt bedeutet eine weitere kulturelle und technologische Abwertung unseres Landes, bei vollständigem Mangel an positiven Perspektiven.“ Vor diesem Hintergrund ist die Frage erlaubt, ob nicht die Entscheidung zum Einfrieren der Wissenschaftsbeziehungen die Kritiker Putins eher treffe als sein brutales Regime.

Die Versuchung ist groß, bei Projekten zu differenzieren

Gewiss gibt es Projekte, die gerade jetzt Brücken bauen - etwa im gesellschaftswissenschaftlichen und juristischen Sektor, wo Aspekte demokratischer Öffentlichkeit oder gesellschaftlicher Teilhabe untersucht werden. Daneben bestehen Vorhaben, die der Entwicklung neuer Technologien und damit auch dem wirtschaftlichen Nutzen, gelegentlich potenziell militärischer Anwendung dienen.

Die Versuchung ist groß, hier zu differenzieren und die Unterbrechung der Forschungszusammenarbeit auf sensible Felder einzuschränken. Aber abgesehen von der Schwierigkeit, dabei eindeutige Grenzen zu ziehen, ist festzuhalten, dass die außergewöhnliche Situation Konsequenz und Klarheit verlangt. Nur wenn wir uns eindeutig positionieren, wird der Einspruch der Wissenschaft gegen den russischen Angriffskrieg auch wahrgenommen. Entscheiden müssen im Einzelfall selbstverständlich die Hochschulen und Wissenschaftsinstitutionen nach Maßgabe ihrer Autonomie. Allzu viel Zögern jenseits klarer Positionierungen sollte es allerdings nicht geben.

Ein Hilfsfonds für die ukrainischen Studierenden

Unterstützen müssen wir jetzt vor allem die 8200 Studierenden aus der Ukraine, die sich derzeit in Deutschland aufhalten. Wir brauchen Hilfsfonds für sie, die es erlauben, ihren Aufenthalt hier zu verlängern und ihnen in Zeiten des Krieges Schutz zu gewähren.

Nicht vergessen dürfen wir aber auch die annähernd 11.000 russischen Studierenden in Deutschland, von denen viele Putins Regime sehr kritisch gegenüberstehen. Diejenigen, die in der aktuellen Situation nicht in die Heimat zurückkehren wollen, benötigen unsere Solidarität.

Vor zwanzig Jahren bezeichnete Wladimir Putin bei seiner Rede im deutschen Bundestag Russland als Volk, das „gute Lehren aus dem Kalten Krieg und aus der verderblichen Okkupationsideologie gezogen hat“. In der Konsequenz hieß das, dass Putin die Friedensordnung Europas an die territoriale Integrität aller Länder knüpfte. Die Völkerrechtsbrüche, die der Warschauer Pakt unter sowjetischer Führung beim Einmarsch in Ungarn und der Tschechoslowakei vollzogen hatte, wurden damit zu Recht als verwerfliche, illegitime Akte bezeichnet.

Putin schloss damals mit der Feststellung, „dass niemand Russland jemals wieder in die Vergangenheit zurückführen kann“. Solange der, der diese Worte vor zwanzig Jahren aussprach, ihnen zuwider handelt, sollte die deutsch-russische Wissenschafts­koope­ration ruhen.

Peter-André Alt

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