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Fleischeslustbefriediger. Fleischlose Wurstvarianten erobern den Markt und stellen Nahrungsmitteldesigner und -forscher vor neue Herausforderungen.

© imago/Westend61

Rote Beete statt rotes Blut: Wie gut ist Wurstersatz für Klima und Gesundheit?

Ohne Schwein, aber mit Soja, Eiklar und Erbse – damit der Fleischersatz wie das Original schmeckt, wird so einiges ins Wurstimitat gestopft.

Es sieht aus wie Wurst. Es schmeckt wie Wurst. Und doch stammt nichts von dem zartrosa Brotaufstrich vom Schwein. Auf der Zunge zergehen Rapsöl und Eiklar. Immer mehr solcher vegetarischen Wurstimitate füllen die Supermarktregale. Und es sind keineswegs nur Veganer und Vegetarier, die zugreifen. Auch für Menschen, die etwa aus ethischen Beweggründen bezüglich der Massentierhaltung oder aus Klimaschutzgründen bewusst wenig Fleisch essen wollen, ist die fleischlose Leberwurst längst eine Alternative. Das Original geschmacksgetreu imitieren zu können, ist allerdings schwierig, aufwendig und daher Gegenstand intensiver Forschung in der Lebensmittelindustrie und -wissenschaft.

„Die Menschen wollen Wurst essen, die soll auch so schmecken, aber nicht die Nachteile von Wurst haben“, sagt Godo Röben, Chef des mittelständischen Unternehmens Rügenwalder Mühle. 2014 führte er Pflanzenfleisch ins Sortiment ein: Frikadellen aus Soja, Leberwurst aus Erbse und Mortadella aus Eiklar. 30 Prozent Umsatzanteil soll das vegetarische und vegane Portfolio bereits haben.

Eine Milliarde Euro Umsatz mit Fleischimitaten

Rund eine Milliarde Euro Umsatz dürften in Deutschland derzeit mit Fleischimitaten gemacht werden. 2017 waren es 960 Millionen. Das spricht für eine etablierte Produktkategorie. Verglichen mit den Verkaufszahlen von Fleisch und Wurst handelt es sich allerdings noch immer um eine eher kleine Nische. Nach wie vor isst ein Bundesbürger etwa 60 Kilogramm Fleisch und Wurst jährlich – die Menge bleibt seit Jahren in etwa gleich.

Die Hersteller konzentrieren sich vor allem darauf, dass ihre Waren in puncto Geschmack und Konsistenz noch mehr an die Originale heranreichen. Zwölf Mitarbeiter forschen dazu bei Rügenwalder am veganen und vegetarischen Sortiment. Das sei gar nicht so einfach. Mortadella und Fleischsalat hielten zwar in Blindverkostungen mit dem Original mit, heißt es seitens des Unternehmens. „Den pflanzlichen Bratwürstchen fehlt aber noch der Knack“, sagt Röben. Speziell die Leberwurst sei zu klebrig und müsse „sahniger werden.“ Weil der Hauptbestandteil, das Protein der Erbse, aber mehlig ist, lässt sich das nur mit anderen Zutaten bewerkstelligen. Pflanzenöle oder Milchpulver etwa erzeugen ein kremiges Mundgefühl.

Im Frühjahr 2019 veröffentlichte die Stiftung Warentest einen Test von 20 vegetarischen Wurstalternativen. Auch sie prüfte vorwiegend sensorisch. Das Urteil fiel gemischt aus. Die fleischlosen Lyoner schnitten gut ab. Die Kopien verschiedener Salamisorten bemängelten die Tester jedoch meist.

Das Mundgefühl der Lyoner beruht auf der Größe der Fettstückchen

„Die Herausforderung ist nicht nur die täuschend echte sensorische Nachstellung“, sagt Azad Emin, Lebensmittelverfahrenstechniker vom Karlsruher Institut für Technologie. Wurst und Imitat entstünden in denselben Maschinen – bisher allerdings nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Alle Zutaten werden zerkleinert, vermengt und schließlich erhitzt. Das geschieht in einem Extruder, einem gewaltigen Metallgefäß mit sich drehender Spirale. Am Ende wird die heiße Masse durch eine gekühlte Düse gepresst.

„Wir Ingenieure können berechnen, welche Eigenschaften eine Wurst hat, je nachdem, welche Zutaten im Extruder sind und wie dieser arbeitet“, sagt Emin. Er hat damit begonnen, System und Ordnung in die Welt der Pflanzenbrotbeläge zu bringen. Auf die Faserigkeit käme es vor allem an, wenn man das Gefühl von Fleisch im Mund imitieren wolle, meint er. Weizen, Erbse und Sojaeiweiße würden sich deshalb gut eignen. Das Mundgefühl von Salami und Lyoner beruht aber auch auf der Größe der eingeschlossenen Fettstückchen. Dafür müssen die Imitaterzeuger pflanzliche Fetttröpfchen einarbeiten.

„Es fehlt viel Grundlagenforschung, das können wir im Unternehmen nicht leisten“, sagt Röben. Deshalb hat sein Unternehmen Ende 2018 mit anderen Firmen und dem Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik in Quakenbrück einen Bundesverband für alternative Proteinquellen gegründet. Er soll Forschung am Pflanzenfleisch finanzieren.

Die Krux mit der Herkunft der Zutaten

Eine andere Thematik, die ernährungsbewusste Verbraucher und damit auch verbraucherbewusste Hersteller umtreibt, ist die der Herkunft. „Soja aus Südamerika ist schlecht wegen der Rodung von Urwäldern; das aus Nordamerika ist gentechnisch verändert“, sagt Röben. Jetzt kooperiere man mit dem Verband Donausoja mit Sitz in Wien. Österreich ist Vorreiter im Sojaanbau. Auf circa 67 000 Hektar wächst dort die Bohne. Das deckt jedoch nicht einmal den österreichischen Bedarf. Ein anderes Problem: „Das Soja des größten nordamerikanischen Anbieters ADM hat kaum Eigengeschmack und eignet sich deshalb sehr gut“, sagt Röben. „Das müssen wir beim europäischen Soja erst noch hinbekommen.“ Das Eiweiß kochen die Verarbeiter mit Lösungsmitteln aus den Bohnen heraus. Oft ist es Hexan, aber auch andere Chemikalien werden eingesetzt. Je nach Temperatur und Substanzcocktail hat das Protein hinterher eine andere Qualität und einen anderen Geschmack.

Weil es Soja aus Südamerika nicht sein soll, ziehen die Erzeuger auch andere Hülsenfrüchte in Erwägung – etwa die Lupine, eine heimische Eiweißquelle. Doch bislang steht deren Eigengeschmack einer Karriere als Frikadelle entgegen.

Ein anderes Problemfeld sind die Zusatzstoffe: „Genauso wie herkömmliche Wurst muss Pflanzenfleisch sechs Wochen haltbar sein. Dafür müssen Konservierungsstoffe hinzukommen, Vitamin C etwa.“ Die Verbraucher aber runzeln bei einer langen Zutatenliste mit vielen künstlichen Zusätzen die Stirn.

Wurstimitate seien hoch verarbeitete Produkte, lautet deshalb eine verbreitete Kritik. Freilich gilt das auch für Wurst aus Fleisch. Und es wäre fraglos besser, die Menschen würden statt Wurst Linsen und Bohnen essen und sich in dieser Hinsicht ein Vorbild an Afrika nehmen, schreibt etwa der Lebensmittelforscher Martinus van Boekel von der Universität Wageningen 2019 in einer Vergleichsanalyse. Er begründet den Vorzug der Hülsenfrüchte vor allem mit der Frage der Nachhaltigkeit. Je stärker ein Produkt verarbeitet ist, desto mehr schwinden die ökologischen Vorteile gegenüber Fleisch, weil der Energieverbrauch steigt, heißt es in seinem Papier.

Sobald Ei im Wurstimitat steckt, verschlechtert sich die Klimabilanz des Produkts

Bisher haben Forscher die ökologischen Fußabdrücke von Wurst und Wurstimitat jedoch kaum verglichen. Die Handvoll Untersuchungen, die es gibt, attestieren Ersatzburgern und pflanzlichem Wurstersatz zwar eine positive Klimabilanz verglichen mit dem Original, besonders wenn dieses aus Rindfleisch besteht. Im Vergleich zu Wurst aus Huhn und Schwein schwinden die Treibhausgaseinsparungen aber.

Erstmals verglich kürzlich ein Team um den Gesundheitsforscher Joan Sabaté von der Loma Linda University über 50 pflanzliche Wurstanaloga hinsichtlich ihrer Klimaschädlichkeit und ernährungsphysiologischen Eigenschaften miteinander. Er fand: Gleichgültig, ob auf Basis von Sojabohne, Nuss oder Weizen – alle sparen in ähnlichem Umfang Treibhausgase ein.

Dies deckt sich in der Tendenz mit den wenigen zuvor veröffentlichten Arbeiten. Aber wenn die vegetarischen Produkte Ei enthalten, steigen die Treibhausgasemissionen sprunghaft an, schildert Sabaté in seiner Studie von 2019. Die meisten vegetarischen Aufschnitte von Rügenwalder basieren jedoch auf Eiklar. Röben sagt dazu: „Langfristig ist nur eine Umstellung auf vegan konsequent. Darum arbeiten wir mit Hochdruck daran, das Eiklar aus den bestehenden Produkten herauszubekommen und neue Produkte direkt vegan zu entwickeln.“ 12 vegane Artikel gebe es bereits.

Ist der Zusatzstoffmix gesünder als das wurstige Original?

Ernährungsstudien zu vegetarischer Wurst sind noch seltener als Ökobilanzen. Der Fernsehsender NDR schalt die Imitate jüngst als zu salzig und zu fett und führte jeweils ein schlechtes Beispiel an. Doch das Gegenteil findet man in den Studien, die sich eher den Querschnitt der Produkte anschauen. Das Protein insbesondere der Sojabohne sei ernährungsphysiologisch hochwertig, schreibt etwa Sabaté, und die Imitate auch eine Quelle verschiedener Mineralstoffe.

Meist enthalten die Imitate weniger oder ähnlich viel Fett wie die Originale aus Fleisch, bescheinigt auch die Studie des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung. Zwei Drittel weniger Fett und nur die Hälfte an Salz attestierte die Stiftung Warentest vegetarischer Salami. Verwenden die Hersteller Rapsöl, so ist das Produkt auch reicher an ungesättigten Fettsäuren, von denen nicht nur Deutsche meist zu wenig im Verhältnis zu den gesättigten Fetten konsumieren.

Das Institut für alternative und nachhaltige Ernährung in Biebertal bemängelt in einer Erhebung die Zahl der Zusatzstoffe in Wurstimitaten – ohne aber konkrete Risiken darzulegen. Aber zumindest Nitrit braucht Pflanzenfleisch nicht. Diese Pökelsalze sorgen für die stets ansprechende rote Farbe tierischer Produkte. Sie kommen aber auch als Ursache dafür infrage, dass der Verzehr von rotem Fleisch und Wurst mit einem erhöhten Risiko für Darmkrebs einhergeht. Im Pflanzenfleisch steckt statt Nitrit vor allem Rote-Beete-Farbstoff. Der Saft aus dem Gemüse macht die Erbsenleberwurst rötlich. Damit sie genau dem Fleischprodukt ähnlich sieht, das sie ja eigentlich gar nicht sein will.

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