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Innenansicht der Versuchsanlage mit einer darüber gelegten Abbildung eines Plasmas

© UKAEA

Rekord-Energie am Fusionsexperiment Jet: Wenn fünf Sekunden eine verdammt lange Zeit sind

An einem britischen Forschungsreaktor gelingt es, größere Mengen Energie mittels Kernfusion freizusetzen. Ein Meilenstein für die Kraftwerke der Zukunft.

Die Kernfusion könnte eine Säule für eine klimafreundliche und nachhaltige Energieversorgung werden. Sie liefert wetterunabhängig Strom und braucht nur sehr wenig Platz – vorausgesetzt sie funktioniert.

Der Beleg dafür steht weiterhin aus, trotz jahrzehntelanger und milliardenteurer Forschung. Aber es gibt Fortschritte, die darauf hindeuten, dass die Zukunftsträume vieler Physikerinnen und Physiker vielleicht doch noch wahr werden.

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Von einem dieser Erfolge berichten jetzt Wissenschaftler vom „Joint European Torus“ (Jet), einem Fusionsexperiment in Culham nahe Oxford. Demnach wurde dort Ende Dezember aus einem Gemisch der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium ein stabiles Plasma erzeugt, das eine Energie von 59 Megajoule freisetzte. Weltrekord. Umgerechnet in die handlichere Einheit Leistung – Energie pro Zeit – erreichte Jet damit gut elf Megawatt über eine Dauer von fünf Sekunden.

Neben der hohen Fusionsenergie sind es diese fünf Sekunden, die für die Fachleute so bedeutsam sind. „Das zeigt, dass wir eine hohe Fusionsleistung über eine längere Zeit stabil halten können“, sagt Athina Kappatou vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching, die an den Experimenten beteiligt ist.

Jet gilt als Testeinrichtung für den Versuchsreaktor „Iter“, der zurzeit in Südfrankreich gebaut wird. Die Pläne dafür basierten auf älteren Versuchen und vielen Simulationen, sagt die Plasmaforscherin. „Unsere aktuellen Ergebnisse zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind: Wir verstehen jetzt besser, wie wir Iter erfolgreich betreiben können.“

Kacheln unter Neutronenbeschuss

Wie bei allen Fusionsanlagen sollen dort nach dem Vorbild der Sonne leichte Atomkerne zu schweren verschmolzen und die dabei freigesetzte Energie genutzt werden. Wie gewaltig die Ausbeute sein kann, zeigt Jet. Dort wurden weniger als 0,2 Milligramm Deuterium-Tritium-Gemisch eingesetzt und 59 Megajoule „herausgeholt“. Allerdings musste zuvor rund dreimal so viel Energie aufgewendet werden, um das Plasma ausreichend aufzuheizen.

Einen echten Energieüberschuss kann und soll erst Iter erzielen. Jet ist dafür zu klein und zu sehr als Experimentieranlage ausgelegt. Beispielsweise sind die Magnete, die das Plasma festhalten, aus Kupfer, das sich erhitzt. Mehr als fünf Sekunden Plasmaentladung sind technisch nicht möglich.

Die Forscher dort wollen vielmehr herausfinden, wie sie das Plasma optimal heizen und mittels Magnetfeldern stabil halten können. Es sollte der Wand des Reaktorgefäßes aus Beryllium und Wolfram nicht zu nahe kommen.

Geschieht das doch, muss verhindert werden, dass Wandmaterial ins Zentrum der Plasmawolke strömt. „Das Plasma zu bändigen ist umso schwieriger je mehr Fusionsleistung erzielt wird und je länger die Fusion abläuft“, sagt Kappatou. Für sie und ihre Kollegen gibt es also noch einiges zu tun.

Ein weiteres Forschungsthema ist die Tritiumproduktion. Das besonders schwere Wasserstoffisotop ist nötig, um in einer Mischung mit Deuterium die Ausbeute eines künftigen Kraftwerks zu erhöhen.

Tritium ist radioaktiv und zerfällt rasch, in der Natur kommt es daher nicht vor. Bisher wird es in Kernspaltungsreaktoren erzeugt. Künftig sollen es Fusionsreaktoren selbst erbrüten mittels der freiwerdenden Neutronen. Diese treffen auf Lithium in den Wandkacheln, wo das erwünschte Tritium entsteht.

In den Kacheln wird außerdem die Energie der Neutronen aufgenommen: Die schnellen Teilchen werden im Material abgebremst, das sich so erwärmt. Diese Wärmeenergie wird dann durch ein Kühlmittel über einen Wärmetauscher zu Turbine und Generator transportiert, wo die Wärmeenergie in elektrische Energie umgewandelt wird.

Die Neutronen reagieren auch mit den übrigen Materialien des Reaktors. Hier gilt es Mischungen zu finden, die den Beschuss gut überstehen und standhalten. Ein weiteres Problem: Die Neutronen können radioaktive Substanzen in der Gefäßwand erzeugen. Auch dafür ist es wichtig, eine günstige Materialkombination zu finden, damit wenig radioaktiver Abfall entsteht, dessen Strahlung rasch abklingt.

Wie schnell Iter betriebsbereit sein wird, ist – wieder einmal – offen. Offizielles Zieldatum ist 2025, doch es zeichnen sich erneut Verzögerungen ab. Auch wenn der Reaktor mehr Energie erzeugt als er aufnimmt, bleibt er ein Forschungsgerät. Strom ins Netz einspeisen soll erst der Nachfolger namens Demo, etwa ab den 2050er-Jahren.

Milliardenbeträge an Risikokapital eingesammelt

Es könnte schneller gehen mit Strom aus Fusionskraftwerken. Das behaupten zumindest etliche Start-ups, die mit unterschiedlichsten Technologien die Kernverschmelzung nutzbringend anwenden wollen.

Eine Option besteht darin, mit starken Laserpulsen Materie so dicht zusammenzustauchen, dass die Reaktion in Gang kommt. Auftrieb erhielt dieses Konzept als kürzlich die National Ignition Facility in Livermoore in Kalifornien neue Daten veröffentlichte.

Demnach war es gelungen bis zu 1,35 Megajoule Fusionsenergie zu gewinnen, was rund 70 Prozent der zuvor aufgewendeten Laserenergie entspricht. Allerdings waren da die Verluste in der gewaltigen Laseranlage schon rausgerechnet. Von einem Dauerbetrieb, den ein Kraftwerk braucht, ist man ebenfalls sehr weit entfernt.

Ähnlich verhält es sich mit den weiteren Ideen. Karl Lackner, über viele Jahre leitender Fusionsforscher am IPP und Koordinator der europäischen Beiträge für Iter, hat sich die unterschiedlichen Konzepte genauer angesehen.

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„Etliche davon sind ernst zu nehmen und haben tolle Lösungen für bestimmte Probleme“, sagt er. Das heiße aber noch nicht, dass die Anlage am Ende gut funktioniert. „Je weiter man in der Technologieentwicklung kommt, umso größer werden die Maschinen und man ist technologisch viel mehr eingeschränkt, kann nicht mehr viel variieren.“

Ambitionierte Zeitpläne, bereits Anfang der 2030er-Jahre Strom ins Netz zu bringen, sind daher mit Skepsis zu betrachten. Investoren schreckt das jedoch nicht.

Die junge Branche hat zusammengenommen bereits Milliardenbeträge an Risikokapital eingesammelt. Auch deutsche Firmen sind beteiligt. Der Münchener Technologieentwickler Marvel Fusion berichtete vor wenigen Tagen, 35 Millionen Euro von Investoren erhalten zu haben. Das Team arbeitet an einer laserbasierten Kernfusion und kooperiert laut Mitteilung unter anderem mit Siemens Energy und dem Laserspezialisten Trumpf.

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