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In der Hand der Nazis. Diese zeitgenössische sowjetische Karikatur zeigte Marinus van der Lubbe als Fackel der Nazis.

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Reichstagsbrand: Parlament in Flammen

Das Bundesarchiv erhält den Nachlass des Reichstagsbrandforschers Fritz Tobias. Könnte das die Klärung des Falls voranbringen?

Nicht allzu gewagt ist die These, dass die letzte Möglichkeit, Hitler noch aufzuhalten, in einer Zusammenarbeit der verfeindeten Arbeiterparteien SPD und KPD bestanden hätte. Zu dieser Einsicht sind führende Mitglieder beider Parteien offensichtlich vier Wochen nach der Machtübertragung an Hitler auch gekommen, denn ein erstes Treffen war bereits vereinbart: 28. Februar 1933, morgens 9 Uhr, Reichstag.

Zwölf Stunden vor dieser Besprechung, zu der es dann nicht mehr kommen konnte, brannte das Reichstagsgebäude. Der Fraktionsvorsitzende der KPD, Ernst Torgler, der an dem Treffen teilgenommen hätte, wurde von den Nazis der Tat verdächtigt. Er stellte sich, gegen den Rat seiner Partei, am 28. Februar der Polizei, um die Vorwürfe zu entkräften, natürlich ohne Erfolg. Was ihn „verdächtig“ gemacht hatte: Er hatte den Reichstag kurz vor Ausbruch des Feuers als einer der Letzten verlassen. Für die SPD sollte unter anderem der Chefredakteur des „Vorwärts“, Friedrich Stampfer, an dem Treffen teilnehmen.

Tausende wurden noch in der Nacht in einer vorbereiteten Aktion verhaftet. Schon drei Stunden vor dem Brand war die Polizei im gesamten Reich in eine Art Alarmzustand versetzt worden. Die am 28. Februar von Reichspräsident Hindenburg unterschriebene „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ bedeutete faktisch die Verkündung eines nie mehr aufgehobenen Ausnahmezustandes.

Bis heute ist es nicht gelungen zu klären, wie es zu dem folgenreichen Brand im Reichstag gekommen ist. War es der anarchistisch orientierte Holländer Marinus van der Lubbe allein? Oder hatten die Nazis die Finger im Spiel beziehungsweise die Streichhölzer in der Hand? Bis heute kann niemand schlüssig erklären, wie es der SA oder anderen gelungen sein soll, van der Lubbe zur brennenden Fackel in ihrer Hand zu machen, wie es eine zeitgenössische sowjetische Karikatur darstellte. Andererseits kann mit guten Gründen angezweifelt werden, dass es einem Einzeltäter überhaupt möglich war, den Plenarsaal allein, ohne Hilfsmittel und in so kurzer Zeit in Flammen zu setzen.

Die Verfechter beider Thesen stehen sich seit Jahrzehnten unversöhnlich gegenüber. Doch möglicherweise kommt in nächster Zeit etwas Bewegung in die festgefahrene Situation. Der Nachlass des vor zweieinhalb Jahren verstorbenen Reichstagsbrandforschers Fritz Tobias wird nunmehr dem Bundesarchiv übergeben, wie Martin Tobias, einziger Sohn von Fritz Tobias, dem Tagesspiegel mitteilte. Tobias hatte 1959 die Fachwelt mit seinen Forschungsergebnissen überrascht, wonach Marinus van der Lubbe als Alleintäter gehandelt haben soll.

Könnte sich jetzt auch der Deutsche Bundestag – sozusagen in eigener Sache – um ein objektivierendes Verfahren bemühen, um den so folgenschweren Brand des Parlamentsgebäudes aufzuklären? Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau (Linke) hat diese Idee während der Eröffnung einer Ausstellung zum Reichstagsbrand im Museum der Berliner Feuerwehr im Februar begrüßt.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte hingegen, der Bundestag dürfe nicht in Verdacht geraten, sich mit der Autorität einer Verfassungsinstitution in einen Streit von Historikern einzumischen und eine historische Streitfrage klären zu wollen. Dabei hatte Lammert als Bundestagspräsident selbst vor Jahren das Buch des derzeitigen Protagonisten der Alleintäterthese, Sven Felix Kellerhoff, in den Räumen der Parlamentarischen Gesellschaft vorgestellt – und es anschließend in der „Welt“ rezensiert, deren Redakteur Kellerhoff ist.

Im Februar nun sagte Lammert im Deutschlandradio, die Vorstellung sei „eher kurios als zielführend“, dass der Bundestag am Ende „über verschiedene vorgeschlagene Alternativen per Mehrheit“ entscheidet. Daran hat wohl aber ernsthaft niemand gedacht. Schließlich hat der Bundestag Möglichkeiten, etwa in Ausschüssen oder Kommissionen, bestimmte Fragen eingehend zu untersuchen. Davon hat er in der Vergangenheit auch regen Gebrauch gemacht – wie bei der Enquete-Kommission DDR-Unrecht.

Die Sichtung und Übergabe des Nachlasses soll bereits am Dienstag dieser Woche beginnen. Michael Hollmann, der Präsident des Bundesarchivs, sagte dem Tagesspiegel, er hoffe, den Nachlass Tobias’ möglichst frühzeitig und möglichst unbeschränkt zugänglich machen zu können. Das hänge jedoch ab von den Möglichkeiten des personell chronisch unterbesetzten Bundesarchivs und von Regelungen, die hier wie in jedem anderen vergleichbaren Fall mit dem Nachlassgeber getroffen werden. Die unabdingbare Voraussetzung für die Erfassung und Bearbeitung des Nachlasses sei mit dessen dauerhaftem Übergang in das Eigentum des Bundesarchivs jedenfalls gegeben.

Einer Nutzung auch des Tobias-Nachlasses durch eine Bundestags-Kommission stünde dann nichts mehr im Wege.

Uwe Soukup

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