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Die Kultusminister wollen den großen Wurf wagen in Sachen Bildungsföderalismus.

© Uli Deck/dpa

Reform der KMK: Das lange Warten auf den großen Wurf in der Schulpolitik

Schluss mit dem Streit um die Schule: Die Kultusminister versprechen einen Neustart für den Bildungsföderalismus. Doch der lässt auf sich warten.

Vergangene Woche war es wieder soweit. „Lehrermangel größer als gedacht“, titelten die Tageszeitungen, 26.300 Grundschullehrer würden 2025 fehlen, 11.000 mehr als von der Kultusministerkonferenz (KMK) prognostiziert. Große Aufregung und öffentliches Kopfschütteln. Die KMK hatte sich mal wieder verrechnet. Und ihre Kritiker fühlten sich mal wieder bestätigt.

Der Bildungsföderalismus hat schon länger ein mieses Image. In Studien antwortet regelmäßig eine Mehrheit auf die Frage, ob man ihn abschaffen sollte, mit Ja. Fast 70 Prozent der Menschen in Deutschland befanden laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Februar, der Bund solle zumindest mehr mitbestimmen können in der Bildungspolitik. Nur knapp jeder Dritte sah in der Kultushoheit der Länder eine gute Idee.

Doch so konstant schlecht der Ruf der Kultusminister und ihres Clubs, der KMK, sein mag, etwas hat sich in den letzten Jahren doch geändert, und das ziemlich viel mit dem Mann zu tun, der auch hinter der jüngsten Lehrermangel-Meldung stand: Klaus Klemm.

30 Jahre lang war Klemm in Essen Professor für Bildungsplanung, er forschte zu Schulen, zu modernem Unterricht und zu Bildungssystemen. 2007 ging er in Pension. Andere würden vielleicht sagen: Genug jetzt. Doch Klemm drehte zuletzt erst richtig auf. Für die Bertelsmann-Stiftung erstellt er Studie um Studie, rechnet den Ländern regelmäßig vor, dass ihre Prognosen nicht stimmen, dass sie falsche Annahmen über die Entwicklung der Schülerzahlen machen, dass sie systematisch unterschätzen, wie viele Lehrer sie brauchen.

Die Minister versprechen Neustart für den Bildungsföderalismus

Jedes Mal lässt der inzwischen 77-jährige Bildungsforscher die Kultusminister dabei so richtig alt aussehen. Dass ihn ein gewisses Jagdfieber gepackt hat, will Klemm dabei gar nicht abstreiten. „Klar macht mir das Spaß“, sagt er. „Aber eigentlich ist es doch traurig, dass es unsere Prognosen überhaupt braucht. Das die KMK das nicht selbst besser hinbekommt.“

Schon ein halbes Jahr, nachdem Klemm und die Bertelsmann-Stiftung mit einer ersten Grundschul-Lehrermangel-Studie für Furore gesorgt hatten, versprachen die Minister einen Neustart für den Bildungsföderalismus – und für die KMK, die ihn verkörpert. Anfang 2018 war das, die Kultusministerkonferenz feierte ihr 70-jähriges Bestehen, und um ihre Reformversprechungen glaubhafter zu machen, kündigten die ganz mutigen ihrer Mitglieder sogar einen neuen KMK-Staatsvertrag an. Der letzte stammt von 1964.

Und sie bewegten sich tatsächlich. Im Oktober 2018 beschlossen sie zum Beispiel, künftig jedes Jahr eigene Prognosen zu machen. Weshalb die Minister auf Klemm jetzt erst recht nicht gut zu sprechen sind: Er sei mit der neuen Prognose vorgeprescht, wissend, dass die KMK demnächst mit ihren eigenen Berechnungen kommt – die, ist zu hören, ähnlich ausfallen werden.

Ein PR-Gag der Bertelsmann-Stiftung?

Ein PR-Gag der Bertelsmänner, ein billiger noch dazu? So sehen das offenbar einige der Ressortchefs. Baden-Württembergs CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann sagt jedenfalls: „Persönlich schaue ich mir deren Prognosen gar nicht mehr an. Wir erheben valide Zahlen selbst.“ Baden-Württemberg ist eines der Länder, deren Lehrerbedarfs-Meldungen an die KMK Klemm eine unzureichende Qualität attestiert.

Der erneute Prognose-Ärger zeigt indes vor allem eines: Mit den Ankündigungen von Reformen allein haben sich die Kultusminister nur kurz Luft verschaffen können. Das öffentliche Vertrauen in die Veränderungsfähigkeit der KMK geht gegen null. Am Montag berichtete die „Rheinische Post“, dass in 15 von 16 Bundesländern in den vergangenen zehn Jahren der Anteil der Einser-Abiturienten deutlich gestiegen sei und dass die Durchschnittsnoten von Bundesland zu Bundesland heftig schwankten – auch das im krassen Gegensatz  zu den Beteuerungen der Kultusminister, das Abitur sei dank ihrer Anstrengungen so vergleichbar wie nie zuvor.

Die Zahl der Einser-Abiturienten nimmt zu - aber nur in bestimmten Bundesländern.
Die Zahl der Einser-Abiturienten nimmt zu - aber nur in bestimmten Bundesländern.

© Thomas Warnack/dpa

Der Deutsche Hochschulverband (DHV) warnte vor der „Noteninflation“ und verlangte, „Qualität müsse Vorrang vor „Quantität“ haben. Dass die KMMK sich jüngst geeinigt hattet, den Pool gemeinsamer Abituraufgaben genau deshalb noch verbindlicher zu gestalten, ging im Medienecho fast unter.

Jetzt hilft nur noch der große Wurf

So einfach – zu einfach – in dieser Situation die lauter werdenden Rufe nach einer zentral gesteuerten Bundesbildungspolitik sein mögen, sie entwickeln sich zu einer Existenzbedrohung für den Bildungsföderalismus. Und die Kultusminister, die seit mittlerweile anderthalb Jahren über die Reform beraten, wissen: Jetzt hilft nur noch der große Wurf.

Genau den hatten sie eigentlich vor. Mitte Oktober setzen sie sich zu ihrer Herbstsitzung zusammen, und laut Zeitplan wollen sie dann die Grundzüge des Staatsvertrages beschließen. Auf dem Tisch der Kultusminister werden die Textentwürfe eines renommierten Bildungsrechtlers liegen, die der in ihrem Auftrag erstellt hat und die irgendwie die unterschiedlichen Positionen zusammenbringen sollen.

Doch Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der die SPD-geführten Kultusministerien koordiniert, sagt: „Ich sehe nicht, dass wir alle offenen Fragen des Bildungssystems auf einen Schlag lösen werden. Aber im Moment ist in den Entwürfen eigentlich keine einzige Frage gelöst.“ Die Texte seien noch „so unkonkret, dass sie unsere öffentlichen Versprechungen zurzeit noch nicht erfüllen.“

Eine Frage: Brauchen die Länder nicht doch so etwas wie ein Zentralabitur?

Knackpunkte benennen die Entwürfe jede Menge – nur Antworten präsentieren sie nicht. Auf die Frage zum Beispiel, ob die Länder doch so etwas wie ein Zentralabitur brauchen. Oder auch die Frage, ob die Schulformen und -abschlüsse in Deutschland nicht überall dieselben Bezeichnungen haben sollten.

Der Bildungsforscher Kai Maaz vom DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung sagt: „Eine Vereinheitlichung der Schulbezeichnungen hätte große Symbolwirkung. Ich bin allerdings genau deshalb skeptisch, dass sie im Rahmen des Staatsvertrages gelingen wird.“

Die Länder müssten über ihren Schatten springen, um ihre Kultushoheit langfristig zu sichern, müssten sie ein wenig davon abgeben – doch das scheint vielen von ihnen weiter schwer zu fallen.

Bis 2020 soll der Staatsvertrag ratifiziert sein - eigentlich

Die Stimmung in der KMK vor dem wichtigen Oktobertermin ist so volatil, dass ihr derzeitiger Präsident, der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU), nur schriftlich auf eine Interviewanfrage antworten möchte und dann ein paar sehr allgemeine Statements schickt. Zum Beispiel dieses: „Wir benötigen mehr Vergleichbarkeit, nicht mehr Einheitlichkeit. Deshalb arbeiten die Länder weiter intensiv an einer Bildungsvereinbarung mit dem Ziel, bis Herbst 2020 zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen.“

Bis Herbst 2020 freilich sollte der Staatsvertrag eigentlich schon in der Ratifizierung sein. Und die Tatsache, dass Lorz das Wort gar nicht erwähnt, zeigt, dass selbst über die Form der „Bildungsvereinbarung“ keine Einigkeit besteht.

Baden-Württembergs Kultusministerin Eisenmann ist Rabes Konterpart in der KMK. Sie koordiniert die unionsgeführten Ministerien und bemüht sich, gute Stimmung zu verbreiten vor der entscheidenden Sitzung. Die Länder hätten sich immerhin darauf verständigt, dass sie im Staatsvertrag „Aussagen zur Vergleichbarkeit des Abiturs“ wollten und auch zur Vergleichbarkeit anderer Abschlussprüfungen. „Im Detail gibt es da noch unterschiedliche Vorstellungen, aber ich bin nicht so pessimistisch, was das angeht.“

Susanne Eisenmann (CDU) bemüht sich um gute Stimmung - dabei liegen die CDU-Länder im Clinch mit der Bundesbildungsministerin.
Susanne Eisenmann (CDU) bemüht sich um gute Stimmung - dabei liegen die CDU-Länder im Clinch mit der Bundesbildungsministerin.

© Marijan Murat/dpa

Zum Thema gemeinsamer Schulbezeichnungen sagt Eisenmann: „Mir ist weniger wichtig, wie das Haus heißt, solange wir uns über das einigen, was im Haus gemacht wird.“ Die Ratifizierung des Staatsvertrags könne immer noch 2020 durch sein – „aber da muss noch mehr Bewegung rein.“

Ein Signal bildungspolitischer Ohnmacht?

Geht von der Oktober-KMK, die die Botschaft der Handlungsfähigkeit senden sollte, ein Signal bildungspolitischer Ohnmacht aus?

Ausgerechnet der KMK-Jäger Klemm warnt davor, der KMK nicht vorschnell Unrecht zu tun: „Sie hat sich nie davon erholt, dass sie auf Betreiben Niedersachsens ihr Personal reduzieren musste.“ Der damalige Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hatte 2004 mit dem Ausstieg seines Landes aus der KMK gedroht. Der Preis fürs Drinbleiben: Das KMK-Sekretariat musste 20 Prozent seiner Stellen abbauen – und damit ausgerechnet die Verwaltung, die die Bildungspolitik der Länder koordinieren soll.

Kann die KMK womöglich so, wie sie momentan aufgestellt ist, gar nicht die Erwartungen an sie erfüllen?

Der Nationale Bildungsrat sorgt für Gereiztheit

SPD-Senator Rabe sagt, die Ministersitzungen hätten sich schon geändert, der Diskurs sei politischer geworden, „und wir delegieren nicht mehr jedes Thema sofort in eine Arbeitsgruppe, wo es dann jahrelang schmort und am Ende zu oft Formelkompromisse entstehen.“ Die SPD-Minister wollten noch weitergehende Änderungen etwa an den „Arbeitsprozessen“ der KMK erreichen und hätten sich bereits auf Ziele geeinigt. „Aber die möchte ich zunächst mit den CDU-geführten Ländern besprechen.“

Mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) gibt es einen Schlagabtausch über den Nationalen Bildungsrat.
Mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) gibt es einen Schlagabtausch über den Nationalen Bildungsrat.

© Christoph Soeder/dpa

Als wäre die Gemengelage nicht schon kompliziert genug, sorgt ein zweites Gremium für noch mehr Gereiztheiten unter den Bildungsministern: der im Koalitionsvertrag der Großen Koalition versprochene Nationale Bildungsrat. Seit Monaten liefern sich das Bundesbildungsministerium und die KMK einen Schlagabtausch über die Stimmenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen im Rat.

Am Anfang war die Ablehnungsfront der Länder noch komplett. Sie fürchteten, der Bund wollte ihnen durch die Hintertür die Kultushoheit streitig machen. Doch inzwischen hat sich vor allem unter einigen SPD-Ministern die Perspektive verändert: Sie glauben, dass der neue Rat, der den Ländern ohnehin nichts wird aufzwingen können, sogar Rückenwind für die Belange der KMK erzeugen könnte. So ist eine paradoxe Konstellation entstanden: Die CDU-Bundesministerin Anja Karliczek ist nah an einer Einigung mit den SPD-Ländern, während die CDU-Länder gegenhalten.

Die Bundesministerin ist nah an einer Einigung mit den SPD-Ländern

Eigentlich hatte Karliczek für den Vorabend des KMK-Ministertreffens im Oktober zu einem Kaminabend eingeladen, um einen Kompromiss beim Bildungsrat zu besiegeln, doch Susanne Eisenmann sagt, der werde wohl ausfallen. „Selbstverständlich kann Frau Karliczek einladen, aber da wir auf Seiten der CDU-regierte Länder noch andere Vorstellungen haben, ergibt es aktuell keinen Sinn, sich beim Kaminabend zusammenzusetzen. Das wird auch Frau Karliczek sicherlich so sehen.“

Das Ziel der Kultusminister lautete eigentlich, zuerst ihren Staatsvertrag klarzumachen und dann den Bildungsrat zu beschließen, um sich nach Klemm & Co nicht auch noch von einem neuen bildungspolitischen Gremium treiben zu lassen. Doch je unwahrscheinlicher die Einigung beim Staatsvertrag wird, desto näher kommt beim Bildungsrat der Schwur: machen oder nicht machen. Wollen einige CDU-Länder womöglich die Verhandlungen in die Länge ziehen in der Hoffnung, so doch noch um das ungeliebte Gremium herumzukommen – zum Beispiel, wenn die GroKo irgendwann auseinanderbricht?

Dafür gibt es eine Dauerblockade mit CDU-Ländern

Eisenmann widerspricht vehement, verweist auf einen KMK-Beschluss in Wiesbaden in diesem Sommer, der die Stimmenverteilung im Gremium festgelegt habe – aus Sicht der Länder. Die CDU-regierten Länder hielten die „Beschlusslage von Wiesbaden nach wie vor für richtig und gültig.“ Doch hat Karliczek die darin vorgesehene Junior-Rolle für den Bund längst als nicht akzeptabel zurückgewiesen.

Die „Dauerblockade, die sich der Bund mit einzelnen CDU-Ländern leistet“, müsse jetzt enden, warnt SPD-Senator Rabe. „Es ist der Öffentlichkeit doch nicht mehr zu vermitteln, warum wir nach zwei Jahren immer noch nicht zu einer Einigung gekommen sind.“ Was Rabe als einen solchen Kompromiss sieht, hat er jetzt zu einem Vorschlag ausgearbeitet und will ihn direkt in die Ministersitzung zur Abstimmung stellen – also ohne die üblichen Umwege durch die Vorgremien. Es wäre ein beispielloser Schritt. Wenn schon keine Einigung, so ist in der Sitzung zumindest die Spannung garantiert. Schon das ist mehr, als die KMK lange geliefert hat.  

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