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Wann Auto-Akkus geladen werden, hat großen Einfluss auf die für den Strom anfallenden Emissionen.

© Christoph Soeder/dpa

Rechenspiel mit Elektroautos: Forscher kritisieren Berechnung zu höheren Emissionen aus der E-Mobilität

Ein offener Brief unterstellt E-Autos weit mehr Kohlendioxid-Emissionen als bislang angenommen. Doch die Rechnung geht nicht auf.

In einem offenen Brief an die Europäische Kommission vom vergangenen Sonntag warnen Wissenschaftler:innen vor einem folgenschweren Rechenfehler bei der Beurteilung von Elektromobilität. Die Emissionen von Kohlendioxid, die bei der Stromerzeugung zum Aufladen der Fahrzeuge anfallen, würden bisher deutlich unterschätzt.

Doch die Verfasser liegen nach Einschätzung von Experten ihrerseits daneben.

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Ein Rechenfehler verbessere die CO2-Bilanz von E-Autos

„Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die wahren CO2-Emissionen je nach Jahr und Zustand des Energiesystems um mehr als den Faktor 2 höher liegen können“, heißt es in dem Schreiben. Man habe den Berechnungen die Ausbaupläne der Bundesnetzagentur für Elektrizität aus erneuerbaren Quellen zugrunde gelegt, „damit wir von einem möglichst günstigen CO2-Szenario ausgehen können“, teilte Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie, einer der sechs Unterzeichner des Briefes, dem Tagesspiegel auf Anfrage mit.

Der Verbrennungsmotorexperte ist einer der sechs Unterzeichnenden des Schreibens und als Ansprechpartner angegeben. Absender des Briefes ist die europäische Sektion der „International Association of Sustainable Drivetrain and Vehicle Technology Research“. Im Brief wird zudem auf ein Positionspapier der Forschungsvereinigung mit weiteren Informationen verwiesen, das „von 170 Experten aus Europa und der ganzen Welt“ unterschrieben worden sei. Für den Inhalt des Briefes zeichnet diese Gruppe aber nicht verantwortlich. Worum geht es?

Kühlschrank und Auto im unzulässigen Vergleich

Die Umstellung der Mobilität von Treibstoff- zu Strom-betriebenen Fahrzeugen ist ein Schwerpunkt der Forschungsförderung der Europäischen Kommission. Elektrische Motoren setzen die Antriebsenergie effizienter um und ermöglichen große Einsparungen von Kohlendioxid, sofern der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt. Die Elektrifizierung des Straßenverkehrs soll ihren Beitrag zur Erreichung der europäischen Klimaziele liefern.

Im Positionspapier wird dazu auf die Nutzung von Refuels empfohlen, die etwa aus Reststoffen der Land- und Forstwirtschaft, aus Industrie- und Siedlungsabfällen gewonnen oder direkt aus CO2 und Wasserstoff hergestellt werden können. Refuels lösen allerdings nicht das Problem der Effizienz von Verbrennungsmotoren. „Außerdem riskieren sie einen Lock-in-Effekt in fossile Antriebstechnologien, der auch die Zukunftsmärkte deutscher Automobilhersteller bedroht“, sagte Felix Creutzig vom Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change dem Tagesspiegel.

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Der Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport kritisiert auch die Bewertung der CO2-Emissionen: „Angemessene Methoden werden seit Jahren ausführlich in der Literatur aufgegriffen, aber in der zugrunde liegenden Publikation der Autoren nicht berücksichtigt.“ Die benutzte Methode ordne die wegen der zusätzliche Elektrizitätsnachfrage anfallenden CO2-Emissionen ausschließlich dem Elektroauto zu.

Wenn zum Beispiel Solaranlagen und ein Kohlekraftwerk jeweils eine Kilowattstunde Strom bereitstellen und davon eine für den Betrieb eines Kühlschranks benötigt wird, die andere fürs Elektroauto, so werden nach dieser Methode „der marginalen Bewertung“ die CO2-Emissionen des Kohlekraftwerks alleine dem Elektroauto zugerechnet. „Die Methode ist nicht geeignet, um die einzelne Technologien zu bewerten“, sagt Creutzig.

"Hochgradig peinliches Lobbyistenschreiben"

Tatsächlich benötigt die direkte Elektrifizierung des Verkehrs mit dem E-Auto einen vergleichsweise geringen zusätzlichen Strombedarf, sagte Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung dem Tagesspiegel. „Alle Pkw zu elektrifizieren entspräche etwa einem Fünftel der heutigen Nachfrage, das ist absolut machbar“, sagt Ueckerdt.

Die Analyse ignoriere zudem, dass das E-Auto flexibel geladen werden kann, insbesondere wenn mehr Strom aus erneuerbaren Quellen verfügbar ist, der sonst vielleicht sogar weggeworfen werden müsste. „Dieses Management auf der Nachfrageseite wird ignoriert, kann aber die Argumentation umkehren“, sagt Creutzig. Wenn Elektroautos künftig überwiegend mit Strom aus Erneuerbaren aufgeladen werden, fallen weniger CO2-Emissionen an als im durchschnittlichen Strommix.

„Der Brief ist hochgradig peinlich“, sagt Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft an der Technischen Universität Dortmund. Er sei ein Lobbyistenschreiben zur Rettung der Kolbenmaschinen, die CO2-Emissionen aus der Elektromobilität würden aber nur sehr grob und unzureichend bewertet. „Es wird behauptet, dass viele Studien so vorgehen. Welche das sind, wird nicht gesagt“, kritisiert Rehtanz.

Emissionseinsparungen in Transport und Verkehr

„Die zu Grunde liegende Publikation entspricht weder den üblichen Modellierungsansätzen noch den üblichen Bewertungsmaßstäben“, sagt Creutzig. „Die dargestellten Resultate haben keinen Einfluss auf die moderne Energiesystem-Modellierung“, sagt Jan Wohland von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Modelle würden entstehende CO2-Emissionen räumlich und zeitlich hoch aufgelöst abbilden, der als zu niedrig kritisierte Mittelwert der Emissionen habe keine Bedeutung.

„Es stellt sich eine strategische Frage, die die Autoren ausklammern: Wie können die Netto-Gesamtemissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf null sinken?“, sagt Wohland. Dazu sei es notwendig zu CO2-armer und CO2-freier Mobilität überzugehen, die sich durch Elektrifizierung erreichen lasse. „Um den Verkehr bis 2050 nahezu emissionsfrei zu gestalten, ist es notwendig, der Elektromobilität jetzt zum Durchbruch zu verhelfen“, sagt Wohland. (mit smc)

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