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Ein Demonstrant trägt ein Schild mit der Aufschrift "Stoppt den Corona-Wahnsinn".

© Michael Kappeler/picture alliance/dpa

Reaktion auf Corona-Skeptiker und Impfgegner: Willkommen im Wissenschaftsladen!

Forschende dürfen sich jetzt nicht vor den Corona-„Querdenkern“ verstecken. Und die demokratische Gesellschaft muss ihnen beistehen. Ein Gastkommentar.

Ein Merkmal der Corona-Proteste ist die Wissenschaftsfeindlichkeit vieler selbsternannter "Querdenker". Ernst Dieter Rossmann (SPD), Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Forschung, und Wolfgang Schroeder, Professor für Gesellschaftswissenschaften an der Universität Kassel und Fellow am Wissenschaftszentrum in Berlin (WZB), wollen ihnen etwas entgegensetzen. Sie werben für eine konsequente und auch niedrigschwellige Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Gesellschaft - etwa durch "Wissenschaftsläden". Wolfgang Schroeder war von 2009 bis 2014 Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg.

Die Lösung gesellschaftlicher Probleme durch Wissenschaft ist kein Selbstläufer. Vielmehr hängt dies auch vom gesellschaftlichen Vertrauen in die Methode der Wissenschaft als eines sich selbst in fragestellenden Prozesses ab. Dieses Vertrauen korrespondiert mit der Fähigkeit zur unabhängigen Reflexion bei jedem einzelnen Menschen.

Das Aufkommen von massiven Gegenbewegungen im Geiste von Fake News, sogenanntem Querdenkertum und prinzipieller Wissenschaftsfeindlichkeit ist in der gesellschaftlichen Dialektik erwartbar. Klimawandel-Leugner und Impfgegner aus Prinzip sind nicht einfach irritierend, sie sind ernstzunehmende Warnzeichen. Damit einhergehende Konflikte werden noch zwangsläufig an Schärfe zunehmen, je mehr wissenschaftliche Expertise politisch zu entscheidende Fragen beeinflusst.

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Auf anti-wissenschaftliche, geistige Fluchtbewegungen, intellektuelle Manipulation oder Verweigerung aus Überforderung kann und muss sich die offene demokratische Gesellschaft im Schulterschluss mit den demokratischen Parteien und Akteuren in der Politik und mit der Wissenschaft vorbereiten. Wissenschaft darf sich davon nicht beeindrucken lassen und nicht in einen Elfenbeinturm verkriechen.

Doppelporträt von der beiden Autoren.
Die Gastautoren Wolfgang Schroeder (links) und Ernst Dieter Rossmann.

© David Ausserhofe; Promo

Sie muss erst recht und mehr denn je aktiv am öffentlichen und politischen Diskurs teilnehmen. Gerade während der Corona-Pandemie ist zu erkennen, wie wichtig die öffentliche Präsenz der organisierten Wissenschaft bis hin zu einzelnen Wissenschaftlern ist und wie nachhaltig sie auf die Politik und die öffentliche Meinung einwirken können.

Bürgerwissenschaft braucht mehr Unterstützung

Wissenschaft braucht Interesse, Verstehen, Vertrauen und Kritik. Sie ist keine elitäre Veranstaltung, sondern eine für und mit der Gesellschaft. Deshalb müssen wissenschaftliche Ergebnisse mit dem Anspruch  auf Breitenwirksamkeit kommuniziert werden.

Wissenschaftskommunikation ist systemrelevant und zugleich systemerweiternd. Sie gehört als Grundauftrag an alle Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Sie muss zu einer Grundkompetenz aller WissenschaftlerInnen und frühzeitig eingeübt werden. Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die den gesellschaftlichen Austausch systematisch ernst nehmen, sind besonders zu fördern.

Es ist überfällig, dass hier neue Schwerpunkte in der Unterstützung von Citizen Science, Netzwerkstrukturen, Wissenschaftsberatung und lokaler Forschung gesetzt werden. Solche öffentliche Förderung kann in Deutschland ein wichtiges Zeichen sein, dass auch in das gemeinsame Europa hinaus ausstrahlt, gerade jetzt, wo es um die europäischen Forschungsprogramme für die nächsten sieben Jahre geht.

Ein Blick in die Werkstatt des Potsdamer Wissenschaftsladen, in dem eine Familie beim Bau von Gesichtsschildern zuguckt.
Im Potsdamer Wissenschaftsladen werden auch Gesichtsschilder gedruckt - zum Schutz gegen Corona.

© imago images/Future Image

Tatsächlich hat es hier auf der europäischen Ebene in der Vergangenheit schon bedeutsame Innovationen gegeben. Wissenschaftsläden wurden bereits in den 1970er Jahren an niederländischen Universitäten als Brücke zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft geschaffen: kostenlos und themenoffen. Indem sie über neue Erkenntnisse informieren und kritische Fragen beantworten, wenden sie sich direkt an die Bürgerinnen.

Einerseits machen sie Erkenntnisse wissenschaftlicher Forschung für gesellschaftliche Fragestellungen und zur Lösung gesellschaftlicher Probleme nutzbar. Zum anderen werden so Fragestellungen aus der Gesellschaft und Ideen für Forschungsprojekte in die Wissenschaft gebracht.

Science Shops vermitteln Forschung in die Gesellschaft

Mit dem EU Projekt Sci Shops sind bis zum Anfang diesen Jahres über 18 Projekte in 13 europäischen Ländern gefördert worden. In Deutschland reicht die Bandbreite an Einrichtungen vom Wissenschaftsladen in Bonn mit über 30 fest angestellten Beschäftigten, der als weltweit größter Science Shop seiner Art gilt, bis hin zu deutlich kleineren Projekten in ländlichen Regionen wie in Vechta.

Sie alle stehen beispielhaft dafür, wie sich Wissenschaft und Forschung in einer Kommune in die Bürgergesellschaft hinein vermitteln lassen. Im Umfeld von Open Science, Wissenschaftsplattformen bis hin zu den offenen Werkstätten (Maker Spaces) tun sich hier neue Horizonte auf.

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In der Logik von niedrigschwelligen Zugängen zu Wissenschaft und Forschung liegt aber auch, dass es Vertrauen in die Arbeit der WissenschaftlerInnen geben muss. Dieses Vertrauen sollte flankiert werden durch eine Wissenschaftsbildung mit einer ganz eigenen Didaktik und Methodik für die „Wissenschaftsbildner“ der Zukunft.

Vom öffentlichen Raum der Straße bis hin zu den offenen Häusern der Wissenschaft und der individuellen Wissenschaftsberatung können diese BotschafterInnen der Bürgerwissenschaften aktiv werden. Was für die Konsumenten als Instrument der Verbraucherberatung bereits Tradition hat, sollte für Bürger, die Wissenschaft verstehen und gebrauchen wollen, in den Stätten der Wissenschaftsberatung doch auch erreichbar sein.

Wir brauchen solche Brücken des Vertrauens zwischen Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Die Zeit drängt.

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