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Der Roopkund-See wird häufig von Pilgern aufgesucht.

© Atish Waghwase

Rätsel im Himalaya: Woher kommen die Toten vom "See der Gebeine"?

Rund um den Roopkund-See finden sich tausende Knochen von Verstorbenen. Wer die Menschen waren, ist ein Mysterium. Eine Studie gibt jedoch neue Anhaltspunkte.

Im und am Roopkund-See im indischen Himalaya-Gebirge liegen die Knochen Hunderter Toter - nun haben Wissenschaftler neue Erkenntnisse über ihre Herkunft gewonnen. Die Knochen im "See der Gebeine" haben demnach ein unterschiedliches Alter und stammen von Menschen verschiedener Herkunft, schreibt ein internationales Forscherteam im Fachmagazin "Nature Communications". Eine Naturkatastrophe scheide als Erklärung für den bislang rätselhaften Tod der Menschen damit aus.

Der Roopkund-See liegt in etwa 5000 Höhenmetern im Himalaya-Gebirge und ist mit einem Durchmesser von etwa 40 Metern ein eher kleines Gewässer. Es sei wenig bekannt darüber, woher die Knochen stammen, schreiben die Forscher um David Reich von der Harvard Medical School in Boston.

In der Volkskunde werde die Geschichte einer Pilgerreise erzählt, die einst eine Königin und ein König mit ihrem Gefolge zum nahe gelegenen Schrein der Berggöttin Nanda Devi unternommen hätten. Da die Pilger sich nicht angemessen verhalten hätten, seien sie vom Zorn der Berggöttin getroffen worden. Andere sehen die vielen Gebeine als Überreste einer Armee oder eine Gruppe von Händlern, die zeitgleich in einem schweren Sturm umkamen, berichten die Wissenschaftler weiter.

Ein Jahrtausend Abstand zwischen den Toten

Detaillierte anthropologische oder archäologische Untersuchungen der Gebeine habe es bislang kaum gegeben. Das liege auch daran, dass der Ort häufig von Wanderern oder Pilgern aufgesucht werde und es dort oft Bergrutsche gebe - die Fundstätte sei deshalb alles andere als unberührt. Das Team um Reich untersuchte nun zahlreiche Knochen mit bio-archäologischen Methoden: Sie sequenzierten etwa das Erbgut von 38 Individuen, um etwas über die Herkunft der Toten zu erfahren, und bestimmten das Alter der Überreste.

Spuren aus Erbgutanalysen führen bis nach Kreta.
Spuren aus Erbgutanalysen führen bis nach Kreta.

© Pramod Joglekar

Die Auswertung zeigte, dass die Menschen zu drei genetisch verschiedenen Gruppen gehörten und zu unterschiedlichen Zeitpunkten an den See gekommen waren. 23 von ihnen wiesen eine genetische Verwandtschaft mit Menschen aus Südasien auf. Sie waren zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert am See gestorben.

Das Erbgut von 14 weiteren Menschen ließ auf eine Herkunft im östlichen Mittelmeerraum schließen. Sie selbst oder ihre Vorfahren könnten aus der Region um die griechische Insel Kreta stammen, berichten die Forscher. Am See der Gebeine trafen sie 1000 Jahre nach den Südasiaten ein - zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert. Das Erbgut eines weiteren Menschen zeigte südostasiatische Ursprünge. Er starb ebenfalls in diesem Zeitraum.

Es kamen Menschen aus der ganzen Welt

"Die Genetik der Skelette überraschte uns sehr. Dass hier Individuen aus dem Mittelmeerraum gefunden wurden, lässt vermuten, dass der Roopkund-See nicht nur von lokalem Interesse war, sondern dass Menschen aus der ganzen Welt hierherkamen", sagt Éadaoin Harney von der Harvard University in Cambridge.

Archive mit Berichten über Reisegruppen in den vergangenen Jahrhunderten sollen weiterhelfen.
Berichte über Reisegruppen in den vergangenen Jahrhunderten sollen mehr über die Knochen verraten

© Himadri Sinha Roy

Und Reich ergänzt: "Es stellt sich unweigerlich die Frage, wie Migranten aus dem östlichen Mittelmeerraum, mit einem sehr untypischen Abstammungsprofil für diese Region, hierher gelangten und an diesem Ort verstarben. Diese Studie unterstreicht die Stärken biomolekularer Methoden, um bisher nicht gekannte und überraschende Einsichten in unsere Vergangenheit zu gewinnen."

Weitere Rätsel

Die Forscher vermuten, dass zumindest einige Menschen der ersten Gruppe als Pilger an den See kamen und möglicherweise gemeinsam starben. Heute werde in der Region alle zwölf Jahre eine Pilgerreise vorgenommen, bei der sich die Pilger entlang der Strecke zum Beten und Feiern versammeln.

Beschreibungen des Rituals seien aus dem späten 19. Jahrhundert bekannt, Inschriften in nahe gelegenen Tempeln aus dem 8. und 10. Jahrhundert legen aber einen älteren Ursprung nahe. Dass alle Individuen dieser Gruppe gleichzeitig starben, schließen die Forscher aus, da das Alter der Knochen zum Teil zu weit auseinander liege.

Die zweite Gruppe gebe noch mehr Rätsel auf: Dass sie ebenfalls als Pilger an den See kamen, wäre eine Überraschung, schreiben die Wissenschaftler. Hindu-Praktiken seien im östlichen Mittelmeerraum nicht verbreitet gewesen. Da die Angehörigen der zweiten und dritten Gruppe erst um 1800 herum gestorben seien, könne ein möglicher Weg zur Lösung des Rätsels darin bestehen, Archive nach Berichten über ausländische Reisegruppen zu durchforsten, die in der Region in den vergangenen Jahrhunderten gestorben waren. (dpa)

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