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Radioastronomie: Der Antennen-Krake

Auf der Südhalbkugel soll aus Tausenden Antennen das größte Radioteleskop der Welt entstehen – fern der Zivilisation. Denn Handys oder Stromleitungen würden die Messungen stören.

Es mutet an, als habe der Filmvorführer die Rollen durcheinandergebracht. Eben noch staubt der Geländewagen über die rote Sandpiste des Outbacks, spult Kilometer herunter zwischen halb verdorrten Gewächsen, eröffnet Blicke auf Warane und Emus. Dann sind plötzlich gewaltige Parabolantennen zu sehen. Ab und an setzen sich die Zwölf-Meter-Ungetüme in Bewegung, schwenken nach rechts und links, recken sich in die Höhe.

Hier, mitten im Irgendwo Westaustraliens entsteht ein Park aus 36 dieser Antennen. Tag und Nacht sollen sie Radiosignale aus dem All empfangen, von der Sonne, fernen Neutronensternen und Quasaren. Die Forscher hoffen, dadurch mehr über die Entwicklung von Galaxien, aber auch des gesamten Universums zu erfahren. Der Clou: Indem sie die Antennen zusammenschalten, arbeiten sie wie ein einziges, riesiges Gerät, das ungleich schärfere Aufnahmen ferner Objekte liefert.

Das Prinzip der Radio-Interferometrie.
Das Prinzip der Radio-Interferometrie.

© SKA/Tsp

Das „Interferometrie“ genannte Prinzip ist nicht auf drei Dutzend Antennen beschränkt, es lässt sich noch viel weiter treiben. Und genau das wollen Radioastronomen aus aller Welt machen. So soll der Antennenpark im Outback die Keimzelle eines riesigen Teleskops werden, zumindest wenn es nach dem Wunsch der Australier geht. 3000 Schüsseln sollen über den Kontinent verteilt und miteinander verbunden werden. Hinzu kommen Dipolantennen, die einen anderen Frequenzbereich abdecken – als würde das menschliche Auge um die Fähigkeit erweitert, zusätzlich im Infrarotspektrum sehen zu können. Aber auch Afrika hat sich als Standort für das Megaprojekt beworben, bei dem eine Detektorfläche von insgesamt einem Quadratkilometer geplant ist: das „Square Kilometre Array“ (SKA).

In den nächsten Wochen soll ein Fachgremium entscheiden, wo der Antennenverbund aufgebaut wird. Es wird ein Forschungsmonster, das sich über mehrere Tausend Kilometer erstreckt. Das 50-mal schärfer ins All blicken kann als das beste vorhandene Radioteleskop. Das 10 000-mal schneller arbeiten muss als gegenwärtige Anlagen, weil es sonst am selbst erzeugten Datenschwall erstickt. Das zu großen Teilen fern der Zivilisation leben muss, damit es die schwachen Signale aus dem All wahrnehmen kann, und nicht das elektromagnetische Rauschen von Handynetzen, Stromleitungen oder Flugzeugen. Das sich da draußen selbst mit Energie versorgen muss, aus Dieselgeneratoren und Solaranlagen.

„Der Kontrast zwischen Wildnis und Hightech erinnert mich an den Film Fitzcarraldo, wo ein Mann im Dschungel eine Oper bauen will und sogar ein Schiff über den Berg zieht, um seinen Traum zu verwirklichen“, sagt Brian Boyle. Er leitet die SKA-Bewerbung von Australien und Neuseeland und reist in diesen Wochen um die Welt, um für seine Vision zu werben. Ebenso wie Bernie Fanaroff, der für ein SKA wirbt, dessen Zentrum in Südafrika ist und dessen Antennen bis nach Ghana und Madagaskar reichen.

Beide Kandidaten bieten eine gesetzlich geschützte „radioleise“ Kernzone für das SKA, in der bereits ein kleiner Antennenpark entsteht. Damit können sie demonstrieren, wie gut sie Radioastronomie beherrschen und auch ihre aktuellen Forschungen vorantreiben. Denn es wird ohnehin noch rund zehn Jahre dauern, bis die ersten SKA-Komponenten arbeiten.

Ein Gebiet so groß wie die Niederlande, 110 Einwohner, die nächste Stromleitung 200 Kilometer entfernt

So werden in der südafrikanischen Karoo-Region gerade die Parabolantennen des „Meerkat“-Projekts aufgebaut, während jenseits des Indischen Ozeans das „Askap“-Projekt Gestalt annimmt. Die Antennenschüsseln stehen rund 700 Kilometer nordöstlich von Perth im Murchison Radio-astronomy Observatory. Das Gelände ist gut geeignet für diese Wissenschaft: etwas größer als die Niederlande, nur 110 Einwohner, die nächste Stromleitung 200 Kilometer entfernt.

Wie die südafrikanischen Bewerber lädt auch die australische Regierung ab und an eine Handvoll Journalisten ein. Mit einer Propellermaschine werden sie ins Outback geflogen, um ihnen eine Vorstellung davon zu geben, was Askap leisten kann. Und natürlich das SKA, wenn es hierher kommt.

Die zusammengeschalteten Antennen sollen Galaxien mit ungekannter Genauigkeit abbilden. Nicht mithilfe von ausgesendeten Lichtstrahlen, wie es optische Teleskope tun, sondern indem sie Radiowellen detektieren. Sie liefern Informationen über ihre Ursprungsgebiete, die optischen Verfahren verborgen bleiben. Zum Beispiel können sie zeigen, wie Galaxien, die um supermassive schwarze Löcher rotieren, senkrecht zu ihrer „Karussellebene“ Teilchenströme weit ins Universum schießen: sogenannte Jets.

Die Antennen sollen weitgehend autonom arbeiten. Menschen werden nur für Wartungsarbeiten und Reparaturen in den Messpark kommen.
Die Antennen sollen weitgehend autonom arbeiten. Menschen werden nur für Wartungsarbeiten und Reparaturen in den Messpark kommen.

© SPDO/TDP/DRAO/Swinburne Astronomy Productions

Neben Detailaufnahmen planen die Wissenschaftler große Kartierungen, um etwa die dunkle Energie zu erforschen. Dabei handelt es sich um eine Art umgekehrte Gravitation, die dazu führt, dass sich das All immer schneller ausdehnt. „Indem wir die Lage der Galaxien kartieren, können wir sehen, wo es Häufungen und wo es Löcher gibt“, sagt Minh Huynh vom Internationalen Zentrum für radioastronomische Forschung in Perth. „Die Beobachtungen vergleichen wir mit verschiedenen Simulationen der Entwicklung des Universums und können feststellen, wo die Theorien verbessert werden müssen.“

Bei den 36 Askap-Schüsseln, doch erst recht bei den 3000 Parabolantennen des SKA stellt sich die Frage: Wie viele Antennen werden für die einzelnen Forschungsaufgaben herangezogen? Bei der australischen Variante würde etwa die Hälfte der Schüsseln in die radioleise Kernzone passen, der Rest entlang von fünf Spiralarmen angeordnet, wobei die Antennendichte nach außen abnimmt. Die letzten würden in Neuseeland errichtet. Ein gigantisches Werkzeug. Damit es viele Forscher nutzen können, werden sie jeweils nur einen Teil der Apparate zugewiesen bekommen. Wer den Arbeitsplan erstellt, macht sich jedenfalls keine Freunde.

Die Glasfaserkabel sind mit besonders hartem Kunststoff überzogen. Wegen der Termiten

Die Reisegruppe verteilt sich wieder auf die Geländewagen, zurück auf die Piste. Sie wurde extra angelegt, damit Road Trains die Antennenschüsseln überhaupt heranschaffen konnten. Jetzt schürft sich dort ein Spezialbagger durch den harten Untergrund. Er röhrt, poltert und quietscht und schafft Platz für Glasfaserleitungen, die künftig Daten von den Teleskopen zur Sammelstation bringen. Die Kabel sind mit besonders hartem Kunststoff umhüllt, wegen der Termiten.

Am nächsten Stopp wird sofort klar, wer Profi ist und wer Gast. Einfache Kreuze aus Metalldraht stehen auf dem Boden, verbunden zu großen Quadraten. „Damit soll Spitzenforschung betrieben werden?“, steht in den ratlosen Gesichtern. Die Astronomen indes haben leuchtende Augen. Denn mithilfe der schnöden Drähte können sie bis weit in die Frühphase des Kosmos blicken.

Die einfachen Apparate registrieren Radiosignale mit besonders großer Wellenlänge beziehungsweise kleiner Frequenz. Die eintreffenden Wellen können von überallher kommen und in allen Richtungen schwingen – das reine Chaos. Dank der gekreuzten Anordnung der Drähte und einer computergestützten Signalverarbeitung lässt sich die Schwingungsrichtung der Wellen bestimmen und zudem auf ihren Ursprungsort schließen.

Während Parabolantennen stets zu interessanten Objekten ausgerichtet werden müssen, bleiben die Dipolantennen starr. Ihre Blickrichtung wird im Nachhinein bestimmt, wieder per Interferometrie. Je nachdem, wo sich eine Radioquelle am Himmel befindet, treffen ihre Wellen bei den einzelnen Antennen minimal früher oder später ein. Indem ein Computer die Signale um diese Zeitdifferenz gegeneinander verschiebt, werden die Wellen aus der Zielregion verstärkt, die übrigen aber abgeschwächt. Die Technik erlaubt es sogar, zeitgleich mehrere Quellen zu beobachten.

So entsteht eine „Radiokarte“, die den Forschern unter anderem helfen könnte, das Wirken der ersten Sterne besser zu verstehen. Der Theorie zufolge ionisierte ihre Strahlung den zunächst elektrisch neutralen Wasserstoff in ihrer Umgebung. Normalerweise gibt das Gas Radiowellen mit einer Wellenlänge von 21 Zentimetern ab, was einer Frequenz von 1,42 Gigahertz entspricht. Weil sich das All aber ausdehnt, wurde die „Wasserstoffstrahlung“ aus der Frühzeit so gestreckt, dass sie heute bei einer Frequenz um 100 Megahertz erwartet wird – dem Arbeitsbereich der Drahtantennen. „Indem wir die Verteilung des neutralen und des ionisierten Wasserstoffs in dieser frühen Phase studieren, werden wir hoffentlich besser verstehen, was damals geschah“, sagt Minh Huynh. Das SKA soll mit ungleich mehr Dipolantennen ausgerüstet werden, um die Zeit der ersten Sterne noch genauer zu erforschen.

Forscher spekulieren auf "Abfallprodukte" wie das World Wide Web und WLAN

Neben astronomischen Entdeckungen spekulieren die Verantwortlichen auf nicht planbare Resultate, die Forschungsvorhaben dieser Größe häufig mit sich bringen. So wie das Cern das World Wide Web hervorbrachte oder John O’Sullivan bei der Auswertung von radioastronomischen Daten eine Technik entwickelte, auf der das heutige WLAN basiert.

Sieben Staaten haben eine finanzielle Beteiligung für das SKA zugesagt. Weitere Länder, darunter Deutschland, könnten noch hinzukommen. Die Kosten werden auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt, wenngleich jeder bei solchen Projekten weiß, dass es am Ende teurer wird. Wo die Antennen errichtet werden sollen, ist eine schwere Entscheidung. Offenkundig geht es nicht nur um Technik und Infrastruktur. Es sei an der Zeit, fordern manche, ein wissenschaftliches Projekt dieser Größe endlich nach Afrika zu geben, um dem Kontinent zum Aufschwung zu verhelfen.

Angesichts der Enttäuschung, die einem der zwei Bewerberteams zwangsläufig bevorsteht, geben sich die Forscher pragmatisch: Das SKA sei ein internationales Vorhaben. Afrikanische und australische Radioastronomen würden daher in jedem Fall mit dem Antennenpark arbeiten können. Wo immer er gebaut wird.

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