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Mentale Dauerbelastung. Der chronische Pandemiestress kann zu ernsthaften Krankheiten führen.

© Shutterstock / fizkes

Psychische Leiden in der Krise: Gegen den Corona-Blues

Mentale Erkrankungen nehmen durch die Pandemie deutlich zu. Die HU hat nun ein kostenloses Hilfsprogramm für alle Betroffenen gestartet.

Viele Psychologinnen und Psychologen in Deutschland gehen für die nahe Zukunft davon aus, dass psychische Erkrankungen zunehmen werden. Um dem Anstieg von Depressionen, Angst- und Suchterkrankungen etwas entgegenzusetzen, hat die HU-Berlin nun ein psychologisches Hilfsprogramm gestartet, das allen vom Corona-Stress betroffenen Personen ein kostenfreies und niedrigschwelliges Angebot liefern soll.

„Persistierender Stress, der unter Pandemiebedingungen vielfach unvermeidbar ist, stellt einen der wesentlichen Faktoren für die Entwicklung psychischer Erkrankungen dar“, sagt die Berliner Psychologie-Professorin Ulrike Lüken, stellvertretende Leiterin der HU-Hochschulambulanz für Psychotherapie und Psychodiagnostik.

Schon jetzt zeichne sich in den Kliniken ein Zuwachs von Patienten ab. Zum einen würden Personen, die schon vorher erkrankt waren, aktuell häufig an Rückfällen leiden, zum anderen gebe es mehr neu erkrankte Menschen. Lüken hat das Hilfsprogramm zusammen mit ihrer HU-Kollegin Julia Asbrand entwickelt.

[Lesen Sie hier auch unser Interview mit der Sozialpsychologin Barbara Krahé über Einsamkeit und Stress in der Krise und Wege aus dem Corona-Blues]

Persistierender Stress

Mit „Stressfrei nach Corona“ (corona-stressfrei.de) wollen die Psychotherapeutinnen und Wissenschaftlerinnen all jenen eine Hilfestellung bieten, die aufgrund der anhaltenden "Pandemie-Stressoren" unter depressiver Verstimmung, Schlafstörungen, Ängsten oder dauerrotierenden Grübel-Karussellen leiden. „Wir richten unser Angebot dabei an Eltern, Kinder, Jugendliche und kinderlose Erwachsene“, sagt Lüken. Für den Einstieg gibt es eine Online-Beratung – ein mit Daten gefütterter Chatbot erteilt Auskunft über chronischen Stress und autotherapeutische Maßnahmen.

In zehn bis fünfzehnminütigen Modulen gibt es praktische Tipps zu gesundem Schlaf, Achtsamkeitsübungen und anderen Praktiken der Stressbewältigung. „Wem das nicht ausreicht, der kann an einem sechswöchigen Gruppenprogramm teilnehmen, in dem wir versuchen, mit personalisierten Angeboten auf individuelle Beschwerden einzugehen“, sagt Lüken. Dabei würden die Therapeutinnen auch darauf achten, welche Personen womöglich langfristige Hilfe brauchen.

Beitrag zur Stressforschung

Wer als Patient oder Patientin dabei einen Beitrag zur Stressforschung leisten möchte, kann den Wissenschaftlerinnen außerdem eine Haarprobe überlassen. Lüken und Asbrand wollen herausfinden, inwiefern die im Haar abgelagerte Menge des Stresshormons Cortisol mit dem subjektiven Stressempfinden der Patienten zusammenhängt.

Dabei soll das wechselseitige Verhältnis von psychologischen und biologischen Phänomenen untersucht werden. Die Forschung sei aber gleichsam nur der „Kollateralnutzen“ des Anliegens, praktische Hilfe für Erkrankte zu leisten. „Aufgrund ihrer längeren Inkubationszeit wird die Neu-Inzidenz psychischer Störungen erwartbar zeitverzögert eintreten“, sagt Lüken.

Schwächen des Gesundheitssystems

„So haben wir jetzt zumindest ein kurzes Zeitfenster, um Menschen, die unter persistierendem Stress leiden, aber noch nicht manifest erkrankt sind, zu helfen“. Dies sei nicht zuletzt deshalb nötig, weil das Versorgungssystem schon in Vor-Corona-Zeiten an der Belastungsgrenze gestanden habe.

Lüken meint, es gebe im Verhältnis zum prognostizierten Anstieg psychischer Erkrankungen schlicht zu wenige Hilfsangebote. Auch weil zu erwarten sei, dass im Zuge der wohl anstehenden Welle wirtschaftlicher Insolvenzen die Suizidrate steige, sei es dringend geboten, jetzt Abhilfe zu schaffen und neue Ressourcen zur Verfügung zu stellen. „Die Coronakrise hat nicht nur die Stärken unseres Gesundheitssystems offengelegt, sondern auch dessen Schwächen“, sagt die Psychologin.

So zeige sich aktuell einmal mehr, dass es unbedingt nötig wäre, Teile des Gesundheitssystems zu reformieren, um die vielfach unzureichende psychotherapeutische Versorgung für alle Betroffenen zu gewährleisten.

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