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Im Blut der Probanden suchten die Forscher nach Biomarkern.

© imago/Westend61

Prognose der Restlebenszeit: Kombination von Blutwerten soll Sterberisiko voraussagen

14 Biomarker sollen eine Aussagen zur Sterblichkeit in den nächsten fünf beziehungsweise zehn Jahren liefern. Experten zeigen sich skeptisch.

Darüber, wie lange ein Mensch noch zu leben hat, können Ärzte mit herkömmlichen Mitteln oft keine verlässlichen Aussagen treffen. Dabei könnte es für manche Entscheidungen durchaus hilfreich sein, wenn man den Gesundheitszustand und das Sterberisiko innerhalb eines bestimmten Zeitraums vorhersagen könnte. Bisher beruhen solche Schätzungen meist auf klinischen Daten wie Blutdruck- oder Cholesterinwerten.

Nun hat ein internationales Forschungsteam eine neue Methode vorgestellt, die anhand einer Kombination von Blutwerten Aussagen darüber treffen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Mensch in den nächsten fünf oder zehn Jahren stirbt. Das schreiben Wissenschaftler um den Humangenetiker Joris Deelen vom Kölner Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns im Fachblatt "Nature Communications".

Eine Kombination aus 14 Markern war am präzisesten

Dafür untersuchte das Team die Restlebenszeit von 44.168 Menschen unterschiedlichen Geschlechts, die zu Studienbeginn 18 bis 109 Jahre alt waren. Von ihnen verstarben etwa 5500 während der Nachbeobachtungszeit. In Blutproben der Probanden suchten die Forscher dann mit statistischen Analysen nach Biomarkern, die die Sterbewahrscheinlichkeit innerhalb von fünf beziehungsweise zehn Jahren möglichst genau voraussagen konnten.

Dabei stießen sie auf eine Kombination von 14 Blutwerten. Dieses Profil – vor allem bestehend aus Aminosäuren, Lipiden und Entzündungsparametern – lieferte den Autoren zufolge präzisere und verlässlichere Ergebnisse als bislang übliche Marker wie Blutfettwerte, Body-Mass-Index oder Angaben darüber, ob ein Mensch raucht oder trinkt. Das habe sowohl bei Männern als auch Frauen und auf alle untersuchten Altersgruppen zugetroffen. Die Autoren schreiben, dass die meisten der 14 Marker auch schon vorher mit einer erhöhten Sterblichkeit in Verbindung gebracht worden seien, jedoch bisher nicht in dieser Kombination.

Zwar betonen die Wissenschaftler, dass die Methode im Moment weder für Forschungsfragen noch für den klinischen Einsatz "marktreif" sei. Sie könne allerdings perspektivisch beispielsweise dazu dienen, Therapieentscheidungen in der klinischen Routine zu treffen. Als Beispiel nennen die Forscher die Frage, ob ein älterer Patient zu fragil für eine Operation ist. Eine solche Entscheidung könnte etwa durch Zuordnung zu einer bestimmten Risikogruppe auf Basis des Tests getroffen werden.

"Sehr spannend, aber vielleicht auch beängstigend"

Die Medizinethikerin Annette Rogge vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel äußerte Zweifel am Nutzen der Methode. Sie sieht die Gefahr, dass die individuellen Wünsche der Patienten bei der Entscheidung für eine geeignete Behandlung vernachlässigt werden könnten. Außerdem berge die Einteilung in Gruppen anhand bestimmter Merkmale das Risiko der Diskriminierung.

Ein weiterer Faktor seien die Ergebnisse, die die Technik bereitstelle: "Das individuelle Outcome des Patienten sicher prognostizieren zu können, wäre für eine Therapieentscheidung sehr hilfreich", sagt Rogge. Die beschriebene Methode aber liefere nur eine Wahrscheinlichkeit, mit der dieser Patient zu einer Gruppe von Menschen gehöre, die ein bestimmtes Risiko in sich tragen, krankheitsunabhängig innerhalb der nächsten fünf oder zehn Jahre zu versterben. Damit liefere die Methode einen sehr schwer zu interpretierenden Wert und sei "von konkreten Empfehlungen für den einzelnen Patienten weit entfernt".

"Die Ergebnisse sind wissenschaftlich sehr spannend, aber werden von manchen vielleicht auch als beängstigend empfunden", sagt Florian Kronberg vom Institut für Genetische Epidemiologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Es mache möglicherweise zunächst Angst, wenn ein Algorithmus über Therapien mitentscheide. "Doch schon heute fallen in der Medizin ständig Entscheidungen, meist auf der Basis von relativ wenigen Daten", sagt Kronberg.

Er sieht in der Methode einen weiteren Schritt hin zu einer personalisierten Medizin, vor allem wenn man sie mit weiteren Daten kombinieren würde, etwa mit genetischen. Dazu müssten allerdings gleichzeitig auch Algorithmen entwickelt und erprobt werden. Bis zu einer Nutzung im klinischen Alltag sei es noch ein langer Weg. Vorher müssten weitere Studien die Vor- und Nachteile der neuen Vorhersage-Methode überprüfen. Wichtig sei zudem, vor Entscheidungen auch die Sichtweise und Präferenzen des Patienten zu berücksichtigen. (mit smc)

Annika Reiß

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