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Im Angesicht des Monsters. Clarice Starling (Jodie Foster) spielt im Filmklassiker „Schweigen der Lämmer“ eine junge FBI-Agentin, die die Psyche von Serienmördern ergründen will. Wie weit dieser Ansatz die Polizei wirklich bringt, ist umstritten. Foto: Fotex

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Profiler: Wer ist der Täter?

Psychologen sollen bei der Tätersuche helfen. Aber das „Profiling“ ist umstritten. Nur in fünf von 184 Fällen, bei denen Profiler eingesetzt waren, führten die Vorhersagen zum Täter.

1940 wurde auf einer Fensterbank des Consolidated Edison Building in Manhattan eine selbstgebastelte Rohrbombe gefunden. In den folgenden 17 Jahren schlug der „Mad Bomber“ immer wieder zu. Zahlreiche Sprengsätze explodierten und in Bekennerschreiben attackierte das Phantom immer wieder die „Gauner von Edison“. Weil die New Yorker Polizei mit ihren Ermittlungen nicht von der Stelle kam, bat sie 1956 den freudianischen Psychiater James Brussel um Unterstützung.

Schon nach kurzer Zeit konnte Brussel mit einer Reihe verblüffender Schlussfolgerungen aufwarten. Der Täter, verkündete er, sei wahrscheinlich slawischer Herkunft und Katholik, ziemlich gebildet, bedächtig und zurückhaltend, pedantisch und zwanghaft. Er sei vermutlich ein unverheirateter Einzelgänger, der das ödipale Stadium nie überwunden habe und bei einer Mutterfigur lebe. Außerdem sei für ihn ein äußerst konservativer und hyperkorrekter Kleidungsstil kennzeichnend – bei seiner Verhaftung werde er bestimmt einen zweireihigen Anzug mit zugeknöpftem Jackett tragen.

Nur vier Wochen später wurde der Bombenleger – ein Mann namens George Metesky – gefasst. Er war unverheiratet, lebte bei seinen älteren Schwestern, besuchte regelmäßig den Gottesdienst, legte höchsten Wert auf Ordnung – und als er abgeführt wurde, trug er tatsächlich einen Zweireiher, der zugeknöpft war. Das alles teilte Brussel in seiner Autobiografie mit. Leider war das bloß die halbe Wahrheit. Brussel sprach nämlich nur von seinen Treffern und verschwieg, dass er mit etlichen seiner Mutmaßungen auf dem Holzweg gewesen war.

So traf es eindeutig nicht zu, dass der Bombenleger eine Narbe im Gesicht hatte, von Beruf Ingenieur war und in erster Linie nachts arbeitete. Außerdem hatte Brussel das Alter und den Bildungsstand des Täters falsch eingeschätzt und in ihm nicht einen Mann slawischer Herkunft, sondern einen gebürtigen Deutschen vermutet. Im übrigen war es keineswegs Brussels Täterprofil, das schließlich zur Entlarvung des Täters führte, sondern die Durchforstung der Personalakten der Firma Edison.

Der fragwürdige Mr. Brussel gilt als der erste Profiler überhaupt. Von ihm führt eine direkte Linie zu John Douglas, einem der Schlüsselfiguren der Profiling-Methode. Douglas und sein FBI-Kollege Robert Ressler haben Ende der 70-er Jahre 36 Serienmörder aus den Vereinigten Staaten befragt. Aus den Antworten glaubten Douglas und Ressler eine grundlegende Erkenntnis ableiten zu können: Im Typus des Verbrechens spiegeln sich die Charaktereigenschaften und Lebensgewohnheiten des Verbrechers wider. Dabei würde sich ein fundamentaler Unterschied zeigen. Auf der einen Seite gibt es solche Täter, die intelligent und eloquent sind, sich anderen Menschen überlegen fühlen und ihr Alltagsleben effizient organisiert haben. Täter dieser Kategorie würden sich ihre Opfer sorgfältig auswählen, ihre Verbrechen minutiös planen und präzise ausführen. Auf der anderen Seite gibt es solche Täter, die wenig attraktiv, eigenbrötlerisch und absonderlich sind, deren Selbstwertgefühl schwach entwickelt ist und die ihr Alltagsleben nicht im Griff haben. Täter dieser Kategorie würden dazu neigen, sich ihre Opfer willkürlich auszusuchen, ihre Verbrechen schlecht oder gar nicht zu planen und sie stümperhaft auszuführen.

Doch das Profiling ist umstritten – und es mehren sich die Hinweise, dass die Grundidee von Douglas und Ressler nicht stimmt. So haben etwa der britische Psychologe Laurence Alison von der Universität Liverpool und sein deutscher Kollege Andreas Mokros 100 Vergewaltigungen in Großbritannien systematisch analysiert und anhand von 28 verschiedenen Variablen klassifiziert – beispielsweise danach, ob die Täter maskiert waren oder nicht, ob sie ihre Opfer fesselten und knebelten oder nicht, welche Waffen sie benutzten, usw. Dann suchten die Wissenschaftler nach Entsprechungen zwischen der Art der Vergewaltigung und bestimmten Eigenschaften des Vergewaltigers wie Alter, Beruf, Bildungsniveau, Familienstand, Vorstrafen oder Drogenabhängigkeit. Den Wissenschaftlern gelang es nicht, aussagekräftige Entsprechungen zu finden.

Auch in der Praxis ist der Erfolg von Profilern mäßig. Das britische Innenministerium ließ unlängst 184 Ermittlungsverfahren untersuchen, an denen insgesamt 29 Profiler unmittelbar beteiligt waren. Ergebnis: Hin und wieder konnten die Profiler nützliche Hinweise liefern, aber in gerade einmal fünf Fällen ermöglichten ihre Vorhersagen die Identifizierung des Täters.

Der englische Kriminalpsychologe Paul Britton – Vorbild der Fernsehserie „Für alle Fälle Fitz“ – gilt als der bedeutendste Profiler der Gegenwart. Britton hat bei der Aufklärung einiger der spektakulärsten Kriminalfälle Großbritanniens eine entscheidende Rolle gespielt, und man kann ihm nicht vorwerfen, mit einer ähnlich simpel gestrickten Psychologie vorzugehen wie viele FBI-Profiler. Trotzdem sind auch ihm Irrtümer, Fehler und Pannen angelastet worden.

1992 wurde die 23-jährige Rachel Nickell am helllichten Tag in der Parkanlage Wimbledon Common brutal ermordet. Paul Britton legte ein Profil des Täters vor. Schließlich wurde gegen Colin Stagg Anklage erhoben, der in unmittelbarer Nähe des Parks wohnte und der exakt die im Profil postulierten Merkmale aufwies. Britton betonte, dass derjenige, auf den sämtliche aufgelisteten Merkmale zutreffen würden, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Täter sei. Doch nach einem DNA-Test musste die Anklage gegen Stagg fallengelassen werden, der Serienmörder Robert Napper wurde der Tat beschuldigt, und Britton wäre um ein Haar aus der British Psychological Society ausgeschlossen worden.

„Jedem Erfolg,“ erklärt der Kriminalpsychologe Graham Davies von der Universität Leicester, „steht ein Ermittlungsdesaster gegenüber, bei dem die Kräfte der Polizei auf der Jagd nach einem mysteriösen Flüchtigen vergeudet werden, der am Ende kaum eine oder keine Ähnlichkeit mit dem wirklichen Täter hat.“

Die Schweiz kommt gut ohne Profiler aus. In Deutschland gibt es die Fallanalytiker, die großen Wert darauf legen, sich von ihren FBI-Kollegen zu unterscheiden. Denn die deutschen Fallanalytiker erheben nicht den Anspruch, sich intuitiv in den Täter hineinversetzen und Fälle im Alleingang lösen zu können. Statt dessen verstehen sie sich als Teamarbeiter, die ihr kriminologisches Spezialwissen einsetzen, um dazu beizutragen, den Täterkreis einzuengen.

„Neue wissenschaftliche Erkenntnisse,“ erklären die BKA-Fallanalytiker Jens Vick und Harald Dern, „haben gezeigt, dass viele der kriminologischen Grundlagen der criminal investigative analysis und der Täterprofilerstellung, die in den siebziger und achtziger Jahren in den USA entwickelt wurden, im deutschsprachigen Raum kaum eine fallanalytische Relevanz haben.“ So sei etwa die Fokussierung auf Serienmörder bei der Erarbeitung der kriminologischen Grundlagen ein Problem. Das habe zur Folge, dass unkritische Anwendung dieser Erkenntnisse unweigerlich zu falsch nuancierten Ergebnissen führe. „Diesbezüglich findet in den USA seit mehreren Jahren eine Neuorientierung statt, bei der die Grundlagen überprüft werden.“

Dass Profiler sich ziemlich häufig irren, ist leicht zu erklären. Serienmorde sind äußerst seltene Ereignisse. Also ist die Gefahr groß, dass den Profilern Fehlschlüsse unterlaufen, wenn sie eine winzige Zahl von Fällen vergleichend analysieren. Diese Gefahr ist allerdings erheblich geringer bei anderen Arten von Serientätern, Brandstiftern beispielsweise. Denn es gibt tatsächlich grundlegende Unterschiede zwischen solchen Tätern, die Feuer legen, um die Spuren von Verbrechen zu beseitigen oder um ihre Versicherung übers Ohr zu hauen, denjenigen, die Feuer legen, um sich an anderen zu rächen, sie zu vertreiben oder zu vernichten, denjenigen, die selbst Mitglieder der Feuerwehr sind und nur zündeln, um sich beim Löschen hervorzutun, und schließlich denjenigen, die selig sind, wenn sie es brennen sehen. Merkwürdigerweise ist diese Pyromanie eine ausschließlich männliche Angelegenheit.

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