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Eine Frau, die einen weißen Kittel und eine Atemschutzmaske und Handschuhe trägt, hält einen amphorenförmigen Stein in den Händen.

© Anna Weinreich

Professorin von den Marshall-Inseln forscht in Berlin: Bewegende Begegnung mit dem Familienstein

Mitternachtsseminare und eine überraschende Entdeckung im Museumsdepot des Humboldt-Forums: Méitaka Kendall-Lekka ist zu Gast an der Kunsthochschule Weißensee.

Méitaka Kendall-Lekka ist sichtlich bewegt von dem Besuch im Depot des Ethnologischen Museums in Dahlem, wo über 500 Objekte von den Marshall-Inseln aufbewahrt werden. Die Professorin für Business Studies am College of the Marshall Islands in Majuro, lehrt zurzeit als Gastprofessorin an der Kunsthochschule Weißensee, um an dem gemeinsamen Projekt „Media Interaction – Climate Change“ mit Studierenden beider Länder teilzunehmen. Initiiert haben das Projekt Hannes Brunner, Professor für Bildhauerei, und die Filmemacher Viviana und Mark Uriona.

„Die Kolonialzeit war bis vor Kurzem kein großes Thema bei uns“, erzählt Kendall-Lekka, deren Gastprofessur vom DAAD gefördert wird. „Wir sind ein friedliches Volk, haben Veränderungen schnell angenommen und dabei viel von unserem kulturellen Erbe verloren. Jetzt schauen wir zurück, fragen uns, wer wir sind und warum nennen wir unsere Sprache heute eigentlich Marshallesisch?“

Die Marshallinseln wurden nach dem englischen Kapitän John Marshall benannt, der 1788 die Inseln besuchte. Doch in ihrer Sprache heißen die Inseln Kajin Kajin Majel oder Ebon. Von 1885 bis 1914 wehte auf der Insel Jaluit die kaiserliche Flagge des Deutschen Reiches, 1906 wurde die Inselgruppe offiziell Teil der Kolonie Deutsch-Neuguinea. Damals gelangten auch die Objekte in das Depot des Ethnologischen Museums in Berlin.

Koloniales Erbe, Klimawandel und Atommüll

Heute haben die Marshallinseln mit drei Problemen zu kämpfen: dem kolonialen Erbe, das ihnen eine neue Lebensweise aufzwang, dem Klimawandel und dem steigenden Meeresspiegel, sowie den atomaren Hinterlassenschaften der Amerikaner, die am Bikini- und Enewetak-Atoll ihre Atombomben testeten.

Eine Luftaufnahme der Hauptinsel der Marshallinseln.
Vom Klimawandel akut bedroht. Die Hauptinsel Majuro der Republik Marshallinseln.

© Still aus ONE WORD

Die 29 Atolle der Republik liegen an ihren höchsten Stellen gerade einmal 1,80 Meter über dem Meeresspiegel. Damit sind die Marshall-Inseln und ihre Bewohner akut in ihrer Existenz bedroht. Auch dem weit entfernt lebenden Zuschauer zeigen Viviana und Mark Uriona mit ihrem preisgekrönten Film „One Word. Was tust Du, wenn Dein Zuhause versinkt“ (www.coronakino.net), den sie mit den Bewohnern der Inseln geschaffen haben, die Dramatik der Situation. Wenn nichts geschieht, werden die Inseln in 30 Jahren weitgehend überflutet sein.

Wie aber kam nun das gemeinsame Studien-Projekt zustande? Der Weißenseer Bildhauerei-Professor Hannes Brunner beschäftigt sich schon seit Langem mit Inseln und abgeschlossenen Systemen und kam durch den Kontakt mit den Filmemachern auf die Marshall-Inseln. Professorenkollegin Méitaka Kendall-Lekka hat in ihrem Land als Erste Onlineseminare eingeführt.

Aufmerksamkeit für die bedrohliche Situation

Eine Erfahrung, die nun sehr nützlich ist, um den Kontakt zu ihren Studierenden auf den Marshallinseln und das gemeinsame Arbeiten mit den Berliner Studierenden zu ermöglichen. „Wir nennen das Sunset-Sunrise-Meetings, bei uns geht die Sonne gerade auf, bei ihnen geht sie gerade unter“, erzählt Brunner von den Videoseminaren.

Die Studierenden von Majuro sitzen in ihrer Universität an den Bildschirmen, da dort das Internet besser ist. Die Berliner schalten sich aus dem Homeoffice zu. „Meine Studierenden waren am Anfang sehr aufgeregt, dass sie jetzt mit deutschen Studierenden live kommunizieren.“ Es sind auch Studierende aus Israel, Syrien und Kolumbien zugeschaltet.

In dem Projekt geht es darum, wie man durch Nutzung der neuen Medien einen transkulturellen Austausch organisieren und die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für die bedrohliche Situation auf den Marshallinseln wecken kann. Dabei helfen die Ideen aus Mikronesien, denn die Wirtschaftsstudierenden dort beschäftigen sich vor allem mit Marketingstrategien, während sich die Berliner Studierenden am Ende des Projektes künstlerisch ausdrücken werden.

Eine Gruppe von Studierenden steht vor einem Bildschirm, auf dem eine Videokonferenz läuft.
Die Studierenden von Meitaka Kendall-Lekka am College of the Marshall Islands in Majuro, die mit den Berliner Studierenden über Videoschaltungen gemeinsam arbeiten.

© Meitaka Kendall-Lekka

Zunächst müssen die Studierenden Wissen und Erfahrungen austauschen. Durch die deutsche Kolonialzeit und deren Ende 1914 kam es zur japanischen Besatzung, was Ende des Zweiten Weltkriegs die Amerikaner auf den Plan rief, die fernab des eigenen Landes ihre Atombomben auf dem Bikini-Atoll testeten und ihre nach dem Zweiten Weltkrieg gewonnene Macht im pazifischen Raum militärisch demonstrierten.

Insofern hängt alles mit allem zusammen. Der Atommüll schlummert unter einem fragilen Betondeckel, der allmählich Risse bekommt und zudem von dem steigenden Meeresspiegel bedroht wird. Das ist für die Inselbewohner die zweite „Atombombe“, denn der Müll darf unter keinen Umständen ins Meer gelangen.

Wo die Palmen ins Meer stürzen

Brunner und Kendall-Lekka arbeiten auch mit dem Humboldt Forum zusammen, wo es am Ende eine Präsentation und ein Symposium geben wird. Kendall-Lekka, die sich auch als Umweltaktivistin engagiert, kann zudem die Artefakte, die im Berliner Depot lagern, eindeutig identifizieren. So entdeckte sie einen vermeintlich einfachen Stein, der aber in Wirklichkeit eine symbolträchtige Überlieferung beinhaltet, sozusagen der Grundstein eines Familienclans.

Jetzt in Deutschland zu sein, dem Land des ehemaligen Kolonialherren, sei bitter und süß zugleich, sagt Kendall-Lekka, die selbst deutsche Vorfahren hat. „Unsere heutige Lebensweise ist eine Folge der Kolonialzeit. Wir kannten keine Kokosnussplantagen zur Kopra-Gewinnung, die haben die Deutschen angelegt. Jetzt stürzen die Palmen nacheinander ins Meer, das sich immer mehr in unser Land hineinfrisst“, erzählt sie. „Wir müssen uns mehr auf unsere eigenen indigenen Traditionen besinnen und auf indigene Pflanzen, die dem Klima widerstehen.“

Kendall-Lekka öffnet den Berliner Studierenden eine neue Welt. Sie bringt sie in Kontakt mit der Dichterin und Aktivistin Kathy Jetnil-Kijiner, deren Poesie im pazifischen Raum ein großes Publikum hat. So umspannt die Partnerschaft zwischen beiden Hochschulen den halben Globus, erweitert Horizonte und schafft neue Aufmerksamkeit für Probleme, die uns alle angehen. Und um Mitternacht sitzt Méitaka Kendall-Lekka wieder vor ihrem Rechner in Berlin, um ein Seminar für ihre Studierenden auf den Marshallinseln zu geben.

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