zum Hauptinhalt
Johannes Vogel will die Sammlung des Berliner Museums für Naturkunde für alle interessierten Hobbyforscher nutzbar machen.

© Museum für Naturkunde

Porträt: Jeder ist ein Wissenschaftler

Johannes Vogel, der neue Chef des Berliner Naturkundemuseums, möchte Bürger zu Forschern machen. Die Idee hat er aus Großbritannien mitgebracht.

Ins „Kundemuseum“ gehen sie jetzt, verkünden drei etwa 4-jährige Jungs vor dem Haupteingang und strahlen trotz der Kälte. Zuhause hätten sie auch schon einen Stachel-Dinosaurier!

Das Kinderwort Kundemuseum sei gar nicht schlecht, sagt der neue Generaldirektor Johannes Vogel und lächelt: „Uns geht es darum, Wissen zu vermitteln und neues Wissen zu schaffen.“ Der Mann mit dem sorgfältig gezwirbelten Bart trat gestern seinen Dienst an und brachte aus dem Museum of Natural History in London viele Pläne mit.

Eine Herzensangelegenheit sei es für ihn, Museum und Wissenschaft stärker zu verzahnen. „Citizen Science“ lautet das Schlagwort auf Englisch, die Übersetzung Hobbyforscher trifft es nicht ganz. „Jeder Wissenschaftler ist Bürger und jeder Bürger ein Wissenschaftler“, sagt Vogel. „Über das Londoner Museum haben wir 450 000 Briten zu Feldforschern in Sachen Biodiversität, Wasser, Boden, Luft und Klima gemacht.“

Die Idee ist nicht neu. Dass Forscherdrang entlohnt wird, ist erst seit etwa 100 Jahren üblich. Benjamin Franklin, der Erfinder des Blitzableiters, war Verleger und Politiker. Charles Darwin – für Johannes Vogel der größte Forscher – heuerte unbezahlt auf der „Beagle“ an. Auch heute sind Zehntausende Deutsche als Hobbyforscher für Museen, Naturschutz und Umweltbehörden im Einsatz. Allein im Berliner Museum für Naturkunde gibt es drei Fachgruppen, die bei der Pflege der 30 Millionen Objekte umfassenden Sammlung helfen: in der Paläontologie, der Entomologie und der Mineralogie.

Johannes Vogel kennt solche Hobby-Naturforscher, er war einer von ihnen. Der Vater unternahm mit ihm lange Streifzüge durch die Natur und zeigte dem Jungen, wie man Tiere beobachtet. Mit zehn Jahren lautete der Titel seines Lieblingsbuches „Was wächst denn da?“ Er bestimmte rund ums heimische Bielefeld alle Pflanzen, die er entdeckte.

An einer Distel am Straßenrand verzweifelte er, auch ein Bekannter des Vaters konnte nicht helfen. Der 13-Jährige riss die mannshohe Distel aus und fuhr mit dem Fahrrad kurzerhand zur etwa acht Kilometer entfernten Universität Bielefeld. Der Hobbybotaniker Heinz Lienenbecker begrüßte ihn dort mit „Carduus defloratus!“ – Alpendistel. „Nicht einmal „Guten Tag“ hat er gesagt, sondern mir gleich den lateinischen Begriff um die Ohren gehauen“, erinnert sich Vogel. Der Botaniker brachte Vogel zum Naturwissenschaftlichen Verein. „Dort habe ich genauso viel gelernt wie in meinem Biologiestudium in Bielefeld und Cambridge“, sagt Vogel. „In diesen Gesellschaften steckt viel Spezialwissen, das sonst verloren wäre.“

„Citizen Science“ lebt jedoch nicht nur von Spezialwissen, sondern auch von der Masse der möglichen Teilnehmer. Bei der Auswertung großer Datenmengen oder bei Fragen, die Intuition und räumliches Denken erfordern, ist die geballte Kraft menschlicher Gehirne besser als jeder Supercomputer. In dieser Woche fand ein Ergebnis des Computerspiels „Foldit“ seinen Weg in das Fachjournal „Nature Biotechnology“. Tausende Mitspieler hatten in dem Spiel der Universität von Seattle die Falt-Struktur eines Enzyms so umgestaltet, dass es nun im Labor 18-mal aktiver als das Original ist.

Astronomen nutzen Hobbyforscher zum Beispiel, um Hunderttausende von Galaxien zu charakterisieren, deren Bilder das Teleskop „Hubble“ lieferte (Galaxy Zoo). Im Evolution MegaLab, einem europaweiten Großprojekt im Darwinjahr 2009, wurden Bänderschnecken beobachtet. Die Frage: Wie haben sie sich an die veränderte Umwelt angepasst?

Außerdem entstehen in Städten wie New York voll ausgestattete Labore, die jedem Interessierten für seine eigenen Projekte offenstehen – egal ob er nun ein klassisches Experiment wiederholen möchte oder eigene Ideen hat.

„So ein Labor könnte das Herzstück des Naturkundemuseums werden“, sagt Vogel. Das Humboldt-Exploratorium mit entsprechenden Mikroskopen sei bereits vorhanden. Wichtig ist ihm, dass Hobbyforscher nicht nur als freiwillige Helfer vor den Karren der Wissenschaft gespannt werden – „auch wenn das sehr willkommen ist“ – sondern die Sammlung, eine Handbibliothek und ein Labor unter der Anleitung von Experten für eigene Fragen nutzen können.

Vorzeigebeispiel sind für ihn die Fliegenfischer in Großbritannien. Weil die Bauern Insektizide in die Bäche kippten, wurde die Wasserqualität immer schlechter. Die Köcherfliegen starben, die Forellen fanden kein Futter. Schließlich beschwerten sich die Angler bei der Umweltbehörde – und wurden abgewiesen. Bei Messungen sei dort immer alles in Ordnung. Die Angler wussten es besser, schließlich standen sie jeden Tag in dem Wasser. Das Londoner Museum bildete sie aus, so dass sie selbst das Umweltmonitoring übernehmen konnten. Als die Daten vorlagen, zog die Umweltbehörde Konsequenzen, die Bauern wurden bestraft. „Alle anderen haben gewonnen“, sagt Vogel. „Die Behörde, der Umweltschutz und die Fliegenfischer.“

Zur Startseite