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Auch Donald Trump muss seinen Wahlkampf umstellen.

© imago images/MediaPunch/Doug Mill

Politologe Bieber über virtuellen US-Wahlkampf: „Das Bad in der Menge wird Donald Trump fehlen“

Das Coronavirus stellt auch die Präsidentschaftskandidaten vor Probleme. Politologe Bieber spricht über digitale Kampagnen und eine mögliche Wahlverschiebung.

Christoph Bieber ist Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. Zurzeit arbeitet er am „Center for Advanced Internet Studies“ (CAIS) in Bochum über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung.

Herr Bieber, wie wirkt sich die Coronakrise auf die Demokratie in den USA aus?
Ganz aktuell trifft die Krise die noch laufenden Vorwahlen der Demokraten, obwohl der Vorsprung von Joe Biden durch Bernie Sanders kaum mehr aufzuholen ist. Trotzdem versuchen beide Kandidaten, ihren Wahlkampf auf den virtuellen Raum umzustellen, das heißt, sie experimentieren mit „Virtual-Town-Hall“-Formaten und anderen Formen eines in das Netz übertragenen Wahlkampfs. Das werden wir im Frühsommer häufiger sehen, nicht zuletzt als Testlauf für das direkte Aufeinandertreffen mit Präsident Donald Trump im Herbst.

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Kann das funktionieren?
Das Interessante an den USA ist, dass in normalen Zeiten große Teile des Wahlkampfs sehr kontaktfreudig ablaufen. Das reicht von Wohnzimmertreffen bis zum Pendeln von einer Haustür zur nächsten, von den „field offices“, in denen man sich trifft, bis zum Dauerhändeschütteln der Kandidaten. Das alles geht jetzt nicht mehr. Deshalb müssen sich die Kampagnen in die traditionellen Medien verlagern und gleichzeitig neue digitale Formate erfinden.

Wie muss man sich einen virtuellen Wahlkampf vorstellen?
Nicht mehr so sichtbar auf der Straße, sondern mittels Videoansprachen, Chats und digitalen Massenevents, vielleicht auch als TV-Duell vor leeren Rängen oder als Livestream aus dem Homeoffice eines Kandidaten. Nicht ausgeschlossen scheint die Renaissance eines Fernsehwahlkampfs, der nicht mehr nur auf den Gegner losgeht.

Spannend ist vor allem, wie Donald Trump sich auf die neuen Bedingungen einstellt. Bisher tourte er durchs Land und sprach in Großveranstaltungen vor Tausenden von Anhängern. Der direkte, persönliche Kontakt zu den Wählern, das Bad in der Menge, das wird ihm fehlen.

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Wie wirken sich die Veränderungen auf die Wählerregistrierung in den Bundesstaaten aus?
In 39 Bundesstaaten sind bereits Online-Registrierungen möglich, aber es bleiben einige, in denen man persönlich erscheinen muss. Das kann logistische Herausforderungen mit sich bringen, denn die Fristen für die Registrierung liegen ja vor dem Wahltermin. Hier sehen viele einen Ansatzpunkt für Reformen, etwa die Ausweitung von Online-Registrierung und Briefwahl oder verlängerte Zeiten für die Stimmabgabe.

Christoph Bieber ist Politologe.
Christoph Bieber ist Politologe.

© promo

Könnte Trump die Wahlen im November verschieben?
Nein. Die Wahlen werden durch die Bundesstaaten verantwortet. Außerdem geht es ja nicht nur um die Wahl des Präsidenten, sondern auch um Gouverneure, Senatoren und Abgeordnete im Repräsentantenhaus. All das wird in einem Mix aus einzelstaatlicher und Bundesebene geregelt. Eine generelle Verschiebung ist schwierig, könnte aber durch den Kongress vollzogen werden. Immerhin gibt es einige Fälle, an denen man sich orientieren kann: nach 9/11 oder dem Hurrikan „Katrina“ wurden Wahlen verschoben.

Der Termin der Amtseinführung des neuen Präsidenten am 20. Januar 2021 steht allerdings fest, oder? Jedenfalls ist das in der Verfassung so vorgesehen...
Dort ist der Beginn der neuen Amtsperiode festgelegt –und es gibt auch Regelungen für den Fall, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein Präsident gewählt wurde. Was wir nun aber erleben, ist eine Wahl, ist eine Demokratie im Ausnahmezustand. Das ist eine neue Situation.

Der Präsident handelt als oberster Krisenmanager und kann sich mit zusätzlichen Kompetenzen ausstatten – ich kann mir nur schwer vorstellen, wie unter solchen Bedingungen ein fairer Wahlkampf zu führen ist. Denn der Amtsinhaber wird stets einen anderen Zugriff auf Ressourcen haben als sein Herausforderer.

Kann die Digitalisierung die Demokratie retten?
Das hatte man bereits in den 1990ern gehofft. Aber: Digitale Kommunikation erfährt in der heutigen Ausnahmesituation eine andere Bewertung, unser Alltagsverständnis verändert sich. Digitale Kommunikation kann Lücken schließen, die durch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit entstehen. Allein das kann ein Beitrag zur Rettung demokratischer Prozesse sein.

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