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Naturreservate stehen weltweit unter Druck, ihren Schutzstatus einzubüßen, auch der Iguacu Nationalpark in Brasilien.

© Haroldo Castro/Conservation International/Science

Politik lockert den Schutzstatus: Naturreservate schrumpfen weltweit

Eigentlich sollen bis 2020 internationalen Vereinbarungen zufolge mehr Land und Meer unter Schutz stehen. Doch der Trend ist gegenläufig, warnen Forscher.

Etwa 15 Prozent der Landoberfläche der Erde und 7,3 Prozent der Meeresflächen sind heute als Naturschutzgebiete ausgewiesen. Und nach den im Jahr 2010 international vereinbarten Aichi-Zielen sollen bis 2020 mindestens 17 Prozent der Landgebiete und 10 Prozent der Meeresfläche geschützt sein. Doch seit 1892 sind etwa zwei Millionen Quadratkilometer solcher Naturreservate verloren gegangen, 78 Prozent davon erst seit dem Jahr 2000, haben Rachel Golden Kroner von der George Mason University in Fairfax im US-Bundesstaat Virginia und ihre Kollegen errechnet. Seit langem gebe es immer wieder Bemühungen von Regierungen, den Schutzstatus bestehender Gebiete aufzuweichen - entweder indem man die Regelungen lockert, die Gebiete verkleinert oder den Schutzstatus ganz aufhebt (genannt "PADDD" für "Protected Area Downgrading, Downsizing and Degrazettement"), schreiben die Forscher im Fachblatt „Science“.

USA und Amazonien besonders betroffen

"Weil sich der menschliche Druck auf die Biosphäre beschleunigt, kommt es darauf an, Schutzgebiete zu stärken - nicht zu schwächen", schreiben die Forscher. "Besondere Sorge machen jüngste Vorkommnisse in den USA und Brasilien." Dies könne andere Länder zur Nachahmung ermutigen.

90 Prozent der Gebietsverluste entfallen der Studie zufolge auf die USA, wo die Gebiete fast ausschließlich aufgrund industrieller Eingriffe verloren gingen, darunter die Suche nach Bodenschätzen, der Bau von Wasserkraftwerken oder Skiliften sowie das Abholzen von Wäldern.

Reservate werden der Untersuchung nach nicht nur aufgelöst oder verkleinert, sondern es wird auch deren Schutzstatus herabgesetzt. Zwischen 1892 und 2018 haben die Forscher in 73 Ländern insgesamt 3749 solcher Fälle gezählt. Auf insgesamt 519.857 Quadratkilometern, etwa die Fläche Spaniens, wurde der Naturschutz in dieser Zeit aufgehoben, auf weiteren 1,7 Millionen Quadratkilometern wurden die Bestimmungen gelockert. Ungeachtet diverser Arten- und Klimaschutzkonferenzen in der vergangenen Dekade fallen 64 Prozent dieser Veränderungen wider den Naturschutz in die Jahre zwischen 2008 und 2018.

Betroffen von dem „Rollback“ der Naturschutzgebiete sind vor allem Regionen wie Australien und Indien sowie der Osten Afrikas und Großbritanniens. Darüber hinaus hebt Kroners Team neben den USA auch das brasilianische Amazonasgebiet hervor. In sieben der neun Länder des Amazonasbeckens, darunter Brasilien, Kolumbien, Bolivien und Peru, stehen der Untersuchung zufolge Schutzgebiete unter Druck. 155.000 Quadratkilometern wurde der Schutz entzogen, auf weiteren 209.000 Quadratkilometern wurde die Regelung gelockert. Nur in Guyana und Surinam gab es keine Einschränkungen.

In Australien wurden der Studie zufolge 20 Prozent der terrestrischen Schutzgebiete verändert, in der Demokratischen Republik Kongo, wo der zweitgrößte Regenwald der Erde liegt, sogar 48 Prozent. Für Großbritannien führen die Forscher 61 Veränderungen für eine Fläche von 46.000 Quadratkilometer auf, sämtlich in Zusammenhang mit einer Entscheidung von 2015, die Fracking in Schutzgebieten ermöglicht.

Schutzgebiete in Europa und Deutschland kaum verändert

Das übrige Europa, sowie Asien, der Norden Afrikas und weite Teile Kanadas seien kaum betroffen. In den deutschsprachigen Ländern wurde der Karte der Forscher zufolge bislang kein Schutzgebiet nennenswert geschrumpft oder gar aufgelöst.

Wie ungewiss die Zukunft von Schutzgebieten in den USA ist, zeigen Kroners Forschungsteam zufolge Änderungen unter der Präsidentschaft von Donald Trump: Im Jahr 2017 genehmigte der Kongress Öl- und Gasbohrungen im nördlichsten Schutzgebiet der USA, dem Arctic National Wildlife Refuge. Im gleichen Jahr ordnete Trump die beiden umfangreichsten Verkleinerungen von Schutzgebieten in der US-Geschichte an: Das Bears Ears National Monument im Staat Utah soll um 85 Prozent (knapp 4700 Quadratkilometer) schrumpfen, das im gleichen Staat gelegene Grand Staircase-Escalante National Monument um 51 Prozent (knapp 3500 Quadratkilometer). Beides wird derzeit gerichtlich geprüft, neun weitere Veränderungen sind in Vorbereitung.

Der Trend sei angesichts des andauernden Massen-Artensterbens "beunruhigend", kommentieren Lisa Naughton-Treves von der University of Wisconsin und Margaret Buck Holland von der University of Maryland in "Science". Allerdings müsse man differenzieren: Zuweilen dienten Veränderungen von Bestimmungen dazu, die lokale Bevölkerung zu unterstützen - etwa wenn US-Ureinwohner in Schutzgebieten Heilpflanzen sammeln oder Dorfgemeinschaften in indischen Schutzgebieten Bambus ernten dürfen. Das sei für Ökosysteme etwas völlig anderes als der Bau von Staudämmen oder die Förderung von Erdöl und Erdgas. "Diese Aktivitäten beschleunigen den Verlust der Artenvielfalt und den Klimawandel und gefährden letztlich die Rechte der lokalen Gemeinschaften und künftiger Generationen." (mit dpa)

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