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Ein Herz für Pluto. Die Region Sputnik Planitia, das linke Segment des „Herzens“ auf dem Planeten, entstand mutmaßlich nach dem Einschlag eines Kometen. Sputnik Planitia war zunächst nordwestlich gelegen und richtete sich neu aus, als sich sein Becken mit Eis füllte.Fotos: J.T. Keane/dpa

© dpa

Pluto: Kaltes Herz, warmer Ozean

Aufsteigendes Wasser und gefrierender Stickstoff haben den Zwergplaneten Pluto gedreht - und das auffällige Herz zum Äquator transportiert.

Von Rainer Kayser, dpa

Die Tombaugh-Region ist die auffälligste Struktur auf dem Zwergplaneten Pluto: ein großes Herz, genau auf dem Äquator gelegen. Und nicht nur das. Sie liegt auch noch genau Charon, dem großen Mond Plutos, gegenüber. Das könne kein Zufall sein, spekulierten Astronomen seit Langem. Die Fliehkraft der Rotation Plutos und die Gezeitenkraft seines großen Mondes müssten, so die favorisierte Erklärung, die Tombaugh-Region durch ein Drehen und Kippen des Zwergplaneten an ihre jetzige Stelle gebracht haben. Ein solches Phänomen ist im Sonnensystem nicht unbekannt. Die großen Vulkane auf dem Mars beispielsweise sind auf diese Weise in die Äquatorregion des roten Planeten gewandert.

Am 14. Juli 2016 raste dann die US-amerikanische Raumsonde New Horizons mit fast 50 000 Kilometern pro Stunde an dem Himmelskörper vorbei und lieferte erstmals hoch aufgelöste Bilder der fernen, eisigen Welt. Und entzog der Erklärung für die exponierte Lage der Tombaugh-Region erst einmal den Boden. Denn die linke Hälfte des Pluto-Herzens entpuppte sich als Tiefebene. Diese „Sputnik Planitia“ ist etwa 1000 Kilometer groß und liegt vier Kilometer tiefer als ihre Umgebung. „Gezeiten- und Fliehkräfte können zwar für eine Reorientierung sorgen und so die heutige Lage der Sputnik Planitia erklären“, schreiben Francis Nimmo von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz und seine Kollegen im Fachblatt „Nature“. „Doch dazu muss es sich um eine positive Schwerkraft-Anomalie handeln.“ Anders ausgedrückt: Dort muss sich mehr Masse befinden als in der Umgebung, so wie es bei den Mars-Vulkanen der Fall ist.

Unter dem Eispanzer ist ein Ozean verborgen

„Aber die Ebene zeigt eine negative Topologie“, schreiben die Forscher. Sie liegt tiefer. Auf den ersten Blick fehlt hier eher Masse, als dass es dort mehr Masse gäbe. Einen Ausweg aus dem Dilemma haben jetzt James Keane von der Universität Arizona und seine Kollegen vorgeschlagen. Aufgrund der klimatischen Bedingungen auf Pluto könnten sich in der Ebene flüchtige Stoffe, die in den Polarregionen verdampft sind, als Eis ablagern, insbesondere Stickstoff. Dieses Stickstoff-Eis verursache dann die positive Massen-Anomalie. Doch wie Nimmo und seine Kollegen zeigen, führt dieses Szenario auf eine mit über vierzig Kilometern unrealistisch dicke Schicht aus Stickstoff-Eis in der Ebene. Es müsse also ein zweiter Effekt eine Rolle spielen, berichten die Forscher.

Zurück zu den Anfängen. Sputnik Planitia war zunächst nordwestlich gelegen und richtete sich neu aus, als sich sein Becken mit Eis füllte.
Zurück zu den Anfängen. Sputnik Planitia war zunächst nordwestlich gelegen und richtete sich neu aus, als sich sein Becken mit Eis füllte.

© Abbildung: J.T. Keane

„Wir haben alle Möglichkeiten überprüft, eine positive Schwerkraft-Anomalie zu erzeugen“, sagt Nimmo, „und keine ist so wahrscheinlich wie die eines verborgenen Ozeans.“ Pluto besteht zwar überwiegend aus Gestein, doch sein Gesteinskern ist von einer Kruste aus Wassereis umhüllt. Mit einem Durchmesser von 2374 Kilometern ist der Zwergplanet wesentlich kleiner als die Erde und daher vermutlich in seinem Inneren weitgehend abgekühlt.

Radioaktive Zerfallsprozesse könnten jedoch immer noch genug Wärme erzeugen, um unter einem kilometerdicken Eispanzer einen verborgenen Ozean aus flüssigem Wasser zu ermöglichen. Ein hoher Anteil an Ammoniak könnte zudem als eine Art Gefrierschutz das Wasser auch bei negativen Temperaturen flüssig halten. Vielleicht sei es auch eher ein matschiges Gemisch aus Eis und Wasser, vermutet Nimmo. Wichtig sei, dass dieser Schlamm fließen kann.

Ein Einschlag vor weniger als 100 Millionen Jahren ein

Die Abwesenheit von Einschlagkratern in der Sputnik Planitia deutet auf ein Alter der Tiefebene von weniger als 100 Millionen Jahren. Vermutlich handelt es sich also um ein kosmisch gesehen junges Einschlagbecken, entstanden durch den Zusammenstoß mit einem großen Asteroiden oder Kometen. Der Einschlag durchlöcherte die Eiskruste, sodass das Wasser oder der Wasser-Eis-Brei des verborgenen Ozeans nach oben dringen konnte.

Zwar bildete sich rasch eine neue Kruste, doch diese war dünner als in der Umgebung. Und das aufgestiegene Wasser besitzt eine höhere Massendichte als das Eis der Kruste. Obwohl das Einschlagbecken eine Tiefebene ist, befindet sich dort also tatsächlich mehr Masse. Der später in der Ebene gefrierende Stickstoff hat diesen Effekt dann lediglich verstärkt. So reicht eine sieben Kilometer dicke Schicht aus Stickstoff aus, um die Beobachtungen zu erklären.

Am Rand der Ebene driften rätselhafte Eisberge

Für einen verborgenen Ozean sprechen auch andere Indizien. So zeigen die Aufnahmen von New Horizons große Brocken aus Wasser-Eis, die wie Eisberge am Rand des Sputnik Planitium zu treiben scheinen. Möglicherweise steigt immer noch Flüssigkeit durch Risse in der Kruste auf, bricht diese auf und führt so zur Entstehung der rätselhaften Eisberge.

Das aufsteigende Wasser und der gefrierende Stickstoff erzeugen also die nötige positive Schwerkraft-Anomalie, an der Fliehkraft und Gezeitenkraft anpacken konnten, um den Zwergplaneten in seine heutige Lage zu kippen. Insgesamt habe sich die Oberfläche von Pluto dabei um 60 Grad gedreht, schätzen die Wissenschaftler. Eine solche Bewegung innerhalb weniger Millionen Jahre führt zu großen Spannungen in der Kruste eines Himmelskörpers. Dadurch sollte auf der Oberfläche ein ganzes Netz von Rissen und Brüchen entstehen. Und tatsächlich zeigen die Bilder von New Horizons ein solches Netz, was das Szenario der Forscher ein weiteres Mal bestätigt.

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