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Hotspot Arktis: Auf dem Arktischen Ozean am Nordpol schwimmen Eisplatten.

© Ulf Mauder/dpa

Drastische Verschärfung der Erderwärmung: Klimaforscher warnen vor „planetarem Notfallzustand“

Internationale Experten befürchten, dass Kipppunkte des Klimawandels schneller erreicht werden als gedacht. In einem Appell fordern sie schnelles Handeln.

Führende Klimaforscher haben davor gewarnt, dass sogenannte Kipppunkte im Erdsystem noch schneller erreicht werden und die globale Erwärmung dadurch noch drastischer ausfallen könnten. Das Risiko solcher unumkehrbaren Veränderungen sei bislang womöglich unterschätzt worden, hieß es in einem Kommentar, den sieben internationale Experten am Mittwoch gemeinsam im Fachblatt "Nature" veröffentlichten.

Darunter waren auch Hans Joachim Schellnhuber, Johan Rockström und Stefan Rahmstorf vom deutschen Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Ihr Appell erschien nur einen Tag nach einer Studie des UN-Umweltprogramms, die vor einer Erderwärmung von bis zu 3,9 Grad Celsius warnte.

Die Autoren verweisen in dem Beitrag unter anderem auf neuere Erkenntnisse zur Destabilisierung der Eisschilde rund um Nord- und Südpol sowie des Amazonas-Regenwalds. Sie warnen zudem vor bisher möglicherweise unterschätzten Kettenreaktionen und Rückkopplungen zwischen Ökosystemen. Von einer "globalen Kaskade" ist die Rede.

"Wissenschaftlich gesehen ist dies ein starker Beleg für einen planetaren Notfallzustand", erklärte Rockström anlässlich der Veröffentlichung. Schellnhuber warnte vor einem "unheilvollen Weg in die Erwärmung", der mit Kipppunkten "gepflastert" sei. Einige seien womöglich schon überschritten, ergänzte er.

Die gefährlichen Kipppunkte kommen näher

Dafür gibt es nach ihrer Ansicht erste Hinweise - etwa in der Form, dass der Eisverlust der Arktis die Erwärmung der Region verstärkt, was wieder den Eisverlust fördert. Das schnellere Abschmelzen der Gletscher auf Grönland könne wiederum wichtige Atlantik-Meeresströmungen stören, was Folgen für den Monsun in Westafrika und die Feuchtigkeit des Amazonas-Beckens mit seinen Regenwäldern habe könne – zumal diese auch noch abgeholzt würden.

Seit 1970 sei deren Bestand bereits um 17 Prozent geschrumpft. Zwischen 20 und 40 Prozent würden als Kipppunkte für dieses Ökosystem angenommen, erklärten die Forscher. Um den Wert genauer bestimmen zu können, seien weitere Untersuchungen zum Zusammenwirken von Rodung und Klimawandel nötig.

Die Wissenschaftler legten dar, dass eine stärkere Erderwärmung die Eisschmelze unter Umständen drastisch beschleunigen könnte. Bei einem Temperaturanstieg von zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter gebe es ein Risiko zwischen 10 und 35 Prozent, dass die Arktis im Sommer eisfrei werde. An Land und zu Wasser seien durch die Erwärmung nicht nur die Artenvielfalt gefährdet, sondern auch die menschlichen Lebensgrundlagen bedroht.

Weltweites Budget an CO2-Emissionen liegt bei 500 Gigatonnen

Die Stabilität des gesamten Erdsystems sei in Gefahr, erklärten die internationalen Experten. Sie forderten in ihrem Kommentar energische Gegenmaßnahmen. Es sei zum Beispiel notwendig, den Anstieg des Meeresspiegels zu bremsen, um Zeit zu gewinnen, sich auf die Veränderungen einzustellen – bis hin zum Umzug großer, tief gelegener Siedlungsgebiete.

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Das verbleibende weltweite Budget an CO2-Emissionen für eine 50-prozentige Chance, innerhalb eines Temperaturanstiegs von 1,5 Grad zu bleiben, liege bei 500 Gigatonnen, erklärten die Fachleute. Die Schmelze der Permafrost-Böden, des ewigen Eises, könnte diesen Betrag sogar noch um 100 Gigatonnen reduzieren, weil darin gespeichertes Kohlendioxid freigesetzt wird. Durch das Sterben des Amazonas-Regenwaldes und der borealen Nadelwälder im hohen Norden müssten womöglich weitere 200 Gigatonnen in Abzug gebracht werden. Demgegenüber ständen aktuell globale CO2-Emissionen von 40 Gigatonnen pro Jahr.

Kritik an Empfehlungen von Wirtschaftswissenschaftlern

Die sieben Wissenschaftler gestanden zwar ein, dass die gegenseitigen Abhängigkeiten von Kipppunkten, also die möglichen Kettenreaktionen, noch nicht ausreichend erforscht seien. Andere Experten würden die Wahrscheinlichkeit eines "globalen Kippens" sogar als "hochspekulativ" einstufen. Allerdings müsse jede ernsthafte Risikoabschätzung angesichts der großen Folgen und der unumkehrbaren Natur solcher Entwicklungen die jetzt schon verfügbaren Belege entsprechend würdigen. "Wir müssen unsere Einstellung zum Klimaproblem ändern."

Damit zielten die Klimafachleute auch auf Wirtschaftswissenschaftler, die ihrer Ansicht nach in Kosten-Nutzen-Rechnungen fälschlicherweise empfehlen, die Gegenmaßnahmen auf einen Temperaturanstieg von drei Grad Celsius auszurichten.

Diese Forscher hätten bislang eine zu geringe Wahrscheinlichkeit für das Erreichen von Kipppunkten unterstellt. Nach den neuesten Erkenntnissen des Weltklimarats IPCC könnten diese jedoch schon bei einer Erderwärmung von ein bis zwei Grad erreicht werden.

„Die Erderwärmung muss auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden“

Wenn die drastischen Folgen des Klimawandels aber schon eher eintreten würden, sei es auch wirtschaftlicher, schneller zu handeln und größere Anstrengungen zu unternehmen – so wie es Schüler und Forscher, Städte und Staaten in diesem Jahr zunehmend gefordert hätten. "Die Erderwärmung muss auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden", schrieben die Wissenschaftler – im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015.

Kipppunkte sind ein Risiko, das in der Wissenschaft im Zusammenhang mit dem Klimawandel seit langem thematisiert wird. Das Konzept wurde vor zwei Jahrzehnten vom Weltklimarat eingeführt. Darunter werden Prozesse verstanden, die sich beim Überschreiten bestimmter Schwellenwerte unumkehrbar immer weiter fortsetzen und die Erwärmung weiter beschleunigen - unabhängig von allen dann noch getroffenen Maßnahmen. (Tsp, AFP)

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