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Hans Joachim Schellnhuber stimmte sein wissenschaftliches Konzept für die Gründung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) mit dem späteren Nobelpreisträger Klaus Hasselmann ab.

© Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa

Physik-Nobelpreis für Klimamodellierer: „Das Gremium hat den Goldrichtigen herausgegriffen“

Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber begrüßt die Entscheidung des Physik-Nobelpreiskomitees. Er könnte sich aber auch eine neue Kategorie vorstellen.

Wie haben Sie die Bekanntgabe der Physik-Preisträger aufgenommen?
Ich habe mich mächtig gefreut. Klaus Hasselmann ist für mich der führende Klimaforscher in Deutschland. Ein langjähriger Freund, mit dem ich auch zusammen publiziert habe. Er spielte 1991 eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des PIK als Vorsitzender des Gründungskomitees, dem ich damals mein Konzept vorstellen musste. Ich hatte immer das Gefühl, dass seine Leistungen, auch als Physiker, nicht ausreichend gewürdigt wurden. Nun hat das Nobelgremium aber den Goldrichtigen herausgegriffen, wenn auch sehr spät. Er wird ja am 25. Oktober 90 Jahre alt. Ich fahre, wie schon lange geplant, zur Geburtstagsparty nach Hamburg, die nun ganz besonders ausfallen dürfte.

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Was sind für Sie seine entscheidenden Beiträge?
Er hat vor allem gezeigt wie sich die Stochastik – der Zufall, wenn man so will – im Klimasystem ausprägt. Letzteres ist ein hochgradig komplexes Gebilde, das gewissermaßen chaotisch hin und her zappelt. Hasselmann hat unter anderem gezeigt, wie das nervöse Zucken, das weiße Rauschen, der Atmosphäre ein langsameres Rumpeln, das rote Rauschen der Ozeane antreibt. Er nutzte schon in den siebziger und achtziger Jahren die Fortschritte der statistischen Physik für das Verständnis des Klimasystems – eine absolute Pionierleistung.

Anfang der neunziger Jahre machte er aber noch etwas anderes. Er hat als erster mit quasi-statistischen Methoden, das war immer seine Stärke, das Klimasignal des Menschen aus dem natürlichen Zufallsgeschehen der Erdatmosphäre herausgeschält. Er hat also wie ein Detektiv den Fingerabdruck des Menschen im Klimasystem aufgespürt und damit den ‚Täter‘ überführt: Unser hemmungsloses Wirtschaften mit fossilen Energieträgern bringt die globale Umwelt aus dem Gleichgewicht. Inzwischen steuern wir auf eine Heißzeit zu.

Hasselmann teilt sich die Klima-Hälfte des Preises mit Syukuro Manabe.
Manabe ist ein Gründungsvater der Klimamodellierung, einer der ganz Großen. Er war auch der erste, der in Modellen abbilden konnte, was Svante Arrhenius 1896 berechnet hat: die globale Temperaturantwort auf eine Verdopplung des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre. Diese sogenannte Klimasensitivität ist eine hypothetische Größe, aber ein wichtiger Indikator dafür, wie stark das Klimasystem auf zivilisatorische Störungen reagiert. Und es ist eine enorme Leistung, wie genau Manabe diese Reaktion damals mit primitiven digitalen Möglichkeiten berechnete. Er ist eben ein Meister der intuitiven Vereinfachung. Bei einem solchen hyperkomplexen System muss man auch ein Gefühl dafür haben, welche Parameter entscheidend sind. Manabe und Hasselmann können physikalische Systeme gewissermaßen lesen, das ist eine herausragende Fähigkeit beider.

Haben Sie auch Syukuro, „Suki“, Manabe persönlich kennengelernt?
Ich habe ihn auf Tagungen getroffen, er ist ein sehr gütiger Mensch. Ich erinnere mich auch an ein Interview, in dem er sagte, dass er nur noch acht Stunden täglich arbeite, seit er emeritiert ist, nicht mehr zwölf (lacht). Und ich weiß, dass er immer daran interessiert war, die Jugend zu motivieren. Dasselbe gilt für Hasselmann, der übrigens die ‚Fridays for Future‘ toll findet. Mit beiden hat man also auch Persönlichkeiten geehrt, die Vorbilder in der akademischen Zunft sind.

[Lesen Sie mehr in unserem Themenschwerpunkt „Fridays for Future“]

Es gab bereits den Friedensnobelpreis für Al Gore und den Weltklimarat IPCC. Aber ist Klimaforschung in den wissenschaftlichen Kategorien der Nobelpreise bislang zu kurz gekommen?
Sie sitzt in der Regel zwischen den traditionellen Stühlen. Aber wenn Alfred Nobel heute den Preis stiften würde, gäbe es sicher die Kategorie ‚Umwelt‘. Denn er wollte ja die wichtigsten wissenschaftlichen Beiträge zum Wohle der Menschheit auszeichnen. Es gab über die Jahre durchaus Überlegungen, eine neue Kategorie aufzunehmen, aber die Nobelstiftung ist eine sehr alte, ehrwürdige und recht konservative Einrichtung. Insofern ist es fast schon eine Überraschung, dass nun die Klimamodellierung in der Kategorie Physik geehrt wird. Aber die interdisziplinäre Umweltforschung passt in das konventionelle Nobelpreissystem nicht wirklich hinein.

In einer Kategorie „Umwelt“ könnten Sie sich auch selbst Chancen auf einen Nobelpreis ausrechnen, für die Einführung der Kippelemente im Klimasystem in die Forschung.
Konzept und Analyse der Kippelemente stellen im Grunde eine Anwendung der Theorie komplexer Systeme auf das Klimasystem dar. Es geht um nichtlineare Dynamik, auch um die Wechselwirkung der Kippelemente, wodurch das vorindustrielle Klimasystem aus den Fugen geraten könnte. Vielleicht bin ich dann ja zu meinem neunzigsten Geburtstag ein Anwärter auf einen entsprechenden Preis (lacht).

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