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Kosmische Kollision. Gravitationswellen entstehen unter anderem beim Verschmelzen zweier Schwarzer Löcher.

© Abb.: REUTERS

Update

Physik-Nobelpreis 2017: Gravitationswellen: Signale aus einer dunklen Schattenwelt

Einstein sagte ihre Existenz voraus, erst 2015 wurden sie entdeckt. Dafür erhalten Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne nun den Nobelpreis für Physik.

Es war eine merkwürdige Idee, die Albert Einstein da 1916 hatte. Der Berliner Physiker behauptete im Gefolge seiner Allgemeinen Relativitätstheorie die Existenz von Gravitationswellen. Für Einstein waren Raum und Zeit nicht unveränderbar, so wie in unserem Erleben, sondern formbar. Wenn massereiche Objekte sich beschleunigen (wie explodierende Sterne oder umeinander rotierende Schwarze Löcher), dann erzeugen sie Gravitationswellen, meinte Einstein. Diese verändern, „kräuseln“ die vierdimensionale Raumzeit. So, wie ein Kieselstein Wellen schlägt, wenn man ihn ins Wasser wirft.
Einsteins revolutionärer Gedanke übersteigt die Grenzen des Alltagsverstands. Und auch er selbst zweifelte daran, dass jene extrem schwachen Gravitationswellen jemals entdeckt werden würden. Tatsächlich dauerte es an die 100 Jahre, bis ihre Beobachtung dann doch glückte. Am 24. September 2015 wurden erstmals Gravitationswellen gemessen.
1,3 Milliarden Jahre waren die Wellen unterwegs, ehe sie in die Fänge der beiden Ligo-Messstellen in Hanford (US-Bundesstaat Washington) und Livingston (Louisiana) gerieten. „Ligo“ steht für „Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorium“, ein Großvorhaben der Physik, an dem mehr als 1000 Wissenschaftler aus mehr als 20 Ländern beteiligt sind.

Es dauerte Jahrzehnte, bis das Projekt startklar war

Mit den drei Amerikanern Rainer Weiss (Massachusetts Institute of Technology, Cambridge), Barry C. Barish und Kip S. Thorne (beide vom California Institute of Technology, Pasadena) ehrt die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften nun jene Wissenschaftler mit dem Nobelpreis für Physik, ohne deren jahrzehntelange Pionierarbeit Ligo und damit die Entdeckung der Wellen nicht denkbar gewesen wäre.
Der Nachweis von Gravitationswellen ist extrem aufwendig. Läuft eine solche Welle durch die Erde, wird eine einen Kilometer lange Strecke nur um den Tausendstel Durchmesser eines Protons (zehn hoch minus 18 Meter) gestaucht.
Um diese minimale Abweichung zu messen, werden Laserinterferometer genutzt. Die Geräte haben je zwei „Arme“. Das sind Vakuumröhren, die wie im Buchstaben L einen rechten Winkel zueinander bilden und in die Laserlicht geschickt wird. Jeweils am Ende befinden sich Spiegel, die das Licht zum Zentrum zurückwerfen. Dort überlagern sich die Lichtwellen exakt gegenläufig: Wellenberg der ersten Welle trifft auf Wellental der zweiten – sie löschen einander aus.
Ändert sich für eine Laserwelle die Wegstrecke, ist die perfekte Überlagerung dahin. An der Fotodiode des Empfängers ist es nicht länger dunkel, ein Signal wird registriert. Das könnte ein Hinweis auf eine Gravitationswelle sein. Sie kann den einen Arm des Detektor-Rohrs stauchen und zugleich den anderen dehnen, wenn auch jeweils nur um extrem geringe Beträge. Allerdings gibt es noch viele weitere Störungen, zum Beispiel durch Temperaturschwankungen oder seismische Erschütterungen. Um diese auszuschließen, werden umfangreiche Simulationen erstellt, die zeigen, welches Signal eine Gravitationswelle in den Messungen erzeugen sollte.

Die Wellen werden schwächer, je länger sie durchs All reisen

Die Raumzeit ist unnachgiebig. Nur extreme kosmische Ereignisse können ihr ein dann auch messbares Signal aufprägen. Und weil solche Ereignisse sich selten in unserer Galaxie ereignen, muss man in weitere Fernen schauen. Was wiederum bedeutet, dass das Wellensignal, das „Zirpen“ der Raumzeit, noch schwerer zu registrieren ist. Genauso wie Lichtwellen werden Gravitationswellen nämlich schwächer, je weiter sie reisen. All das konnte Kip Thorne und Rainer Weiss nicht von ihrem Traum abhalten. Mitte der 1970er Jahre waren sie überzeugt davon, dass Graviationswellen sich messen lassen und unser Wissen vom Universum revolutionieren könnten. Weiss analysierte mögliche Störquellen und konstruierte einen Laser-Detektor, mit dem die Störgeräusche ausgeschaltet werden konnten. Thorne, Weiss und der im März verstorbene britische Physiker Ronald Drever waren für viele Jahre die Speerspitze des Unternehmens. Sie erdachten den L-förmigen Interferometer mit zwei jeweils vier Kilometer langen Messarmen. Bis er gebaut wurde, vergingen an die 40 Jahre. Dabei wurde Kip Thorne zum Analytiker und Theoretiker des Unternehmens, während Rainer Weiss seine Fähigkeiten als Ingenieur einbrachte. Und Barry Barish, der 1994 die Leitung des Ligo-Vorhabens übernahm, machte aus der kleinen Forschergruppe von 40 Personen ein internationales Großprojekt mit mehr als 1000 Teilnehmern. Erst dieser Schritt ermöglichte den Durchbruch.

Das erste Signal traf vor dem offiziellen Start ein

Im September 2015 ging Ligo technisch generalüberholt erneut an den Start. Das erste Wellensignal vom 15. September 2015 wurde sogar Tage vor dem offiziellen Neustart registriert. Der Kosmos hält sich nicht mit Regularien auf. Das Signal mit Namen GW 150914 stammte von zwei sich umkreisenden Schwarzen Löchern, von denen das eine 29- und das andere 36-mal so schwer war wie die Sonne. Sie verschmolzen zu einem Schwarzen Loch von etwa 62 Sonnenmassen. In diesem Augenblick strahlten sie die Energie von drei Sonnenmassen in Form von Gravitationswellen ab. Für kurze Zeit war GW 150914 das mächtigste strahlende Objekt im Weltraum, es ließ ihn buchstäblich erzittern und wurde 1,3 Milliarden Jahre später auf der Erde gemessen. Als es entstand, schickte sich das Leben auf unserem Planeten gerade an, den Schritt vom Ein- zum Mehrzeller zu gehen. Inzwischen sind weitere Gravitationswellen-Ereignisse gemessen worden, auch vom europäischen Schwesterprojekt „Virgo“ bei Pisa. Indien und Japan bauen ebenfalls Detektoren. Künftig soll zudem ein europäisches Gravitationswellenobservatorium mit drei Satelliten im Weltraum entstehen. Als Starttermin für „eLISA“ ist 2034 geplant. Gravitationswellen, so viel ist schon jetzt klar, werden ein weiteres Mittel sein, um den Weltraum und seine Geschichte zu erforschen. Der Blick auf Störungen der Raumzeit öffnet den Horizont für unbekannte Welten.

"Zugang zum dunklen Teil des Universums"

„99 Prozent des Universums sind dunkel und werden nie mit elektromagnetischen Wellen wie Licht- oder Röntgenstrahlung beobachtbar sein“, erläutert Karsten Danzmann vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Hannover und Potsdam. „Aber alles unterliegt der Schwerkraft. Alles, was Strukturen bildet und eine Masse hat, erzeugt Gravitationswellen. Wir hoffen, mit diesen Wellen Zugang zum dunklen Teil des Universums zu bekommen.“
Die im September 2015 registrierte Welle sei „mit Abstand das gewaltigste Ereignis, das man jemals im Universum beobachtet hat“. In Sekundenbruchteilen wurden drei Sonnenmassen verbrannt und in Wellen umgesetzt. Dennoch war das Ereignis für alle möglichen Teleskope nicht sichtbar. „Wir sehen nun erstmals Signale aus einer dunklen Schattenwelt, die wir bisher überhaupt nicht kennen“, sagt Danzmann. „Wer weiß, was da noch alles auf uns lauert.“
Selbst Einstein, der Revolutionär der Raumzeit, hätte das wohl nicht zu träumen gewagt.

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