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Gegendemonstranten reagieren mit Plakatparolen wie "Rassismus ist keine Alternative" auf einen von der AfD organisierten „Frauenmarsch“.

© imago/Emmanuele Contini

Philosophen und Hatespeech: Klar denken in der Empörungsdemokratie

Deutschsprachige Philosophen diskutieren derzeit über den Umgang mit Hate Speech. Bernhard Pörksen fordert eine "digitale Ethik", andere raten zu einer gelassenen Auseinandersetzung.

Das professionelle Denken hat derzeit einiges zu tun. Die Globalisierung, der digitale Wandel, politische Verwerfungen, die Infragestellung des demokratischen Projekts und zivilisatorischer Errungenschaften, erstarkende Nationalismen, gesellschaftliche Spaltprozesse: Die Welt ist so komplex wie nie, die Probleme und Herausforderungen, mit denen sich die Menschen im 21. Jahrhundert konfrontiert sehen, scheinen überwältigend.

Wie ist es heute – da die Gesellschaft zunehmend in Filterblasen und Fraktionen zu zerfallen scheint, die eigene Ethiken und Wahrheiten pflegen – um das Zusammenleben der Menschen bestellt? Wie sollte man in einer Demokratie mit demokratiefeindlichen Positionen und der autokratischen Verführung umgehen? Wie dem ungebremsten Hass und der Vergiftung des Diskurses begegnen, die aus den digitalen Räumen auf die Straße diffundieren? Zeitgenössische Philosophinnen und Geisteswissenschaftler geben auf diese Fragen sehr unterschiedliche, nicht selten auch gegensätzliche Antworten.

In der Demokratie darf es keine Feinde, aber Gegnerinnen geben

Die Innsbrucker Philosophin Marie-Luisa Frick etwa rät im Umgang mit unliebsamen Positionen zur gelassenen Auseinandersetzung. Mit Bezug auf ihre belgische Kollegin Chantal Mouffe begreift sie das Politische als ewige Konfliktsphäre. Dem „agonistischen“ Wesen des Politischen entsprechend sei es keineswegs geboten, den notwendigen Streit im Konsens dauerhaft beizulegen. In einer Demokratie dürfe und müsse es zwar keine Feinde, aber Gegnerinnen geben, so eine These aus Fricks jüngstem Buch „Zivilisiert streiten“, die sie Anfang des Monats auch auf der phil.Cologne, dem internationalen Festival der Philosophie, vertrat.

Selbst die Kriterien dessen, was in einer Gesellschaft als vernünftig gilt, müssten Teil der Verhandlungsmasse sein, meint Frick. Das sei der Preis der Freiheit und eine demokratietheoretische Notwendigkeit. Ansonsten würden wir zulassen, dass selbst ernannte Philosophenkönige das Gute und Richtige festlegten.

Der produktive Streit aber, könnte man einwenden, ist nur dann möglich, wenn die Gesellschaft einen minimalen Konsens in normativen Fragen unterhält, der den Dissens in den höheren Lagen gleichsam unterfüttert. Streitende Parteien und Akteure können sich nur als Gegner respektieren, wenn es im umkämpften Diskursfeld ein paar grundsätzliche Regeln und unbestrittene Positionen gibt. Bestimmte zivilisatorische Standards, die der Geschichte mühselig abgerungen wurden, sollten nicht zur Debatte stehen.

Gauland hat sich aus jeder seriösen Debatte freiwillig verabschiedet

Es ist eine historische Erfahrung, dass die Demokratie sich selbst aus den Angeln heben kann. Nicht zuletzt zeigt sich gerade auch im Heimatland der Philosophin Marie-Luisa Frick, dem von Rechtspopulisten mitregierten Österreich, wie gefährlich es ist, die Grenzen der Debatte zu verschieben.

Anders als Frick hält der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, mit dem die Innsbruckerin in Köln diskutierte, denn auch gewisse Positionen für schlicht nicht diskussionswürdig. Wer, wie Alexander Gauland, die Nazidiktatur „als Vogelschiss“ in 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte bezeichne, habe eine rote Linie passiert und sich aus jeder seriösen Debatte freiwillig verabschiedet. In seinem neuen Buch „Die große Gereiztheit“ untersucht Pörksen den Wandel der Kommunikation im digitalen Zeitalter.

Was wir derzeit erleben würden, sei der Übergang von der Mediendemokratie alten Typs hin zu einer digitalen Empörungsdemokratie, in der jede und jeder zum Sender werde. Das Gatekeeper-Monopol der Informationseliten sei gebrochen. Und doch zeitige die Demokratisierung der Medienwelt bislang nur wenige Freiheitseffekte, meint Pörksen. Die „Deregulierung des Wahrheitsmarktes“, die damit einhergeht, dass „die Zeitungsöffentlichkeit ihre sortierende Kraft verliert“, nütze vor allem den Populisten und verstärke jene „Selbstbestätigungsmilieus“, die sich in ihren Echokammern verkapseln würden. Die gezielte Desinformation hat demnach Konjunktur, das Spektakel hat der Nachricht den Rang abgelaufen.

Pörksen spricht von "asozialen Hetzwerken"

Je greller die Nicht-Nachricht daherkommt, desto größer der Verdienst, ob in Form von Geld oder Aufmerksamkeit. Die entscheidende Frage sei, wie die Gesellschaft gegen Desinformation und Hate Speech ankämpfen könne, ohne die Mündigkeit ihrer Bürger und das zentrale Gut der Informationsfreiheit zu schleifen. Im Hinblick auf sein Emanzipationspotenzial könne der Medienwandel nur gelingen, so Pörksen, wenn die Gesellschaft eine digitale Ethik erlerne. Eine massive Bildungsoffensive und das Einüben von Medien- und Quellenkompetenz seien dringend geboten, wenn die vernünftige Debatte nicht im Gepöbel untergehen solle.

In der Tat lässt sich mit Bezug auf Pörksens Forschung und die tägliche Erfahrung in den „asozialen Hetzwerken“ fragen, wie man überhaupt noch diskutieren soll, wenn die Sachbezogenheit zugunsten des Hasses in den Hintergrund tritt. Die massive „Diskursverwilderung“, die wir laut Pörksen erleben, scheint die tolerante Gegnerschaft im Sinne des „agonistischen“ Demokratiemodells beinahe unmöglich zu machen.

Wie aber verhält es sich mit der entgegengesetzten Tendenz einer Hypersensibilisierung in sprachlichen Fragen, die derzeit etliche Debatten bestimmt? Pörksen zufolge sind Hassrede und übertriebene „Political Correctness“ zwei Phänomene, die sich gegenseitig befeuern. Die zunehmende Empfindlichkeit auf sprachlicher Ebene sei so vor allem Reaktion auf die massive Vergiftung des Diskurses.

Wie die linke Mitte das Minderheitenthema für sich entdeckte

Der Linzer Philosoph Robert Pfaller, der in Köln mit der Bochumer Philosophin Maria-Sybilla Lotter debattierte, vertritt hier eine vollkommen andere Position. Für Pfaller sind „Political Correctness“ und „Identitätspolitik“ die pseudolinken Nebelkerzen der neoliberalen Ideologie. Seit den 1980er Jahren habe sich das Gros der globalen Sozialdemokraten ihren Gegnerinnen, den Thatchers und Reagans, in ökonomischer Hinsicht angeglichen. Aufgrund der fehlenden Polarisierung auf dem eigentlichen Feld der Politik, der Ökonomie und der klassischen Verteilungsfragen habe man die Auseinandersetzung kulturalisiert. Gleichzeitig sei mit dem Ende des Fortschrittsversprechens, das der Neoliberalismus besiegelt habe, der Blick zurück, auf Herkunft und Identität, zum neuen alten Fluchtpunkt geworden.

Auch Lotter ist der Auffassung, dass die linke Mitte „das Minderheitenthema“ für sich entdeckte, als sie an ihre alten Themen nicht mehr anknüpfen konnte. Insgesamt habe der Fokus auf korrektes Sprechen die Auseinandersetzung mit ökonomischen Problemen in den Hintergrund gedrängt.

Ausgehend von diesen Analysen kritisieren sowohl Robert Pfaller als auch Maria-Sybilla Lotter zeitgenössische Sprachkorrekturen. Jene würden heute in erster Linie als Distinktionstechnik gebraucht, mit der sich die Mitglieder der oberen Mittelschicht in kultureller Hinsicht von denen der unteren abgrenzen würden.

Ein wirklich erwachsenes Sprechen setzt auf Empathie

Dass gewisse Kreise sich mit einer ausgeprägten Diskurshygiene moralisch optimieren wollen, lässt sich kaum bestreiten. Klassistischer Dünkel und moralisierende Anmaßung sind unvermeidbar, wenn die Universität der Straße die Sprache diktiert. Mag sein, dass die Nachfahren von Sklavenhaltern und Naziverbrechern die „Political Correctness“ benutzen, um ihre eigenen Schuldkomplexe zu therapieren. Ohne Zweifel trägt die eine oder andere Schutz-Debatte absurde und nicht selten auch paternalistische Züge.

Und doch ist das Bestehen auf respektvolle und herrschaftsfreie Sprache keine reine Symbolpolitik, die den Blick auf die realen Ausbeutungsverhältnisse verstellt, wie das Denken Robert Pfallers suggeriert. Auch muss man das eine nicht gegen das andere ausspielen. Einem weißen Philosophieprofessor mag die Verbannung des N-Wortes aus dem allgemeinen Sprachgebrauch als „neoliberale Pseudopolitik“ erscheinen. Allein: Nur jemand, der selbst keine Diskriminierung erfährt, kann das gewaltförmige Potenzial der Sprache als unbedeutend erachten.

Robert Pfaller plädiert in seinem aktuellen Buch „Die infantilisierte Gesellschaft“ für eine Erwachsenensprache, die mit Ambivalenzen spielt und sich gegen die aktuellen „Empfindlichkeiten“ zur Wehr setzt. Ein wirklich erwachsenes Sprechen aber setzt auf Empathie und beachtet immer den Kontext, in dem es sich gerade vollzieht. Es verwahrt sich vor jedem Dogmatismus, und wahrt doch immer den Respekt. Der freie Diskurs kann nur funktionieren, wenn es zivilisatorische Standards und somit auch Grenzen des Sagbaren gibt.

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