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Einer von zwei Millionen. So viele Blitze zucken jedes Jahr am Himmel, etwa jeder dritte reicht bis zum Boden. Die Aufnahme stammt vom Sommer 2015.

© picture alliance / dpa

Phänomen Gewitter: Massenhaft Blitze über Berlin - kommt ein „Blitz-Sommer“?

Mehr als 400 Blitze trafen bei einem starken Unwetter die Hauptstadt - rund ein Viertel der üblichen Jahresleistung. Für Schlussfolgerungen in die Zukunft ist es jedoch zu früh.

Das Wetter der vergangenen Tage gab einen ersten Vorgeschmack auf das, womit in den nächsten Wochen zu rechnen ist: Gewitter mit krachenden Blitzen und heftigen Niederschlägen, unter bestimmten Voraussetzungen sind auch seltene Ereignisse wie Tornados möglich. Diese Wetterextreme werden maßgeblich durch viel Wärme in der Lufthülle angetrieben und treten daher vor allem in den Monaten Mai bis August auf.

Die Hauptstadtregion traf es nach den Hitzetagen am vergangenen Wochenende besonders stark. 436 Blitze schlugen von Montagabend 20 Uhr bis zwei Uhr am Dienstagmorgen in Berlin ein, teilt die Firma Siemens mit, die das Blitz-Detektionssystem „Blids“ betreibt. Das ist ein Viertel dessen, was im gesamten Jahr 2014 hier einschlug (Zahlen für 2015 liegen noch nicht vor).

Im Zuge der Erderwärmung werden mehr Gewitter erwartet

Es wäre jedoch ein Fehlschluss, daraus abzuleiten, uns stünde ein wahrer „Blitz-Sommer“ bevor, warnt Stephan Thern vom Blids-Dienst. „In anderen Gegenden wurden bisher nur ein Zehntel oder ein Zwanzigstel der typischen Jahresleistung an Blitzen gemessen, das sind völlig normale Werte für Ende Mai – die Saison hat gerade erst begonnen“, sagt er. Wie sie enden wird, vermag niemand vorherzusagen.

Klimaforscher erwarten, dass es im Zuge der Erderwärmung häufiger zu Gewittern kommt. „Bei höheren Temperaturen nimmt auch der Feuchtegehalt in der Atmosphäre zu“, erläutert Uwe Ulbrich, Meteorologe an der Freien Universität Berlin. Kondensiert die Feuchtigkeit, wird Wärme frei, Fachleute sprechen von „latenter Wärme“. Sie ist gewissermaßen der Treibstoff für das Wettergeschehen, sie treibt beispielsweise die vertikale Bewegung von Luftmassen an, die zu Gewittern oder auch zu Tornados führen. „Mit steigender Temperatur nimmt also das Potenzial für solche Extremereignisse zu“, sagt Ulbrich.

Seltene Extremereignisse

Einen handfesten Beleg für diese Hypothese gebe es bisher aber nicht, betont der FU-Forscher. Es liegt in der Natur solcher Extreme, dass sie selten auftreten. Umso schwieriger ist es, in den vergleichsweise wenigen Daten einen klaren statistischen Trend auszumachen. Ganz anders verhält es sich beispielsweise mit der Temperatur: Dafür gibt es lange und sehr dichte Messreihen, in denen eine langfristige Erwärmung der Atmosphäre eindeutig erkennbar ist.

Extremereignisse sind aber seltener und wurden, wenn sie nur lokal auftreten, in früheren Jahrzehnten vermutlich auch öfter übersehen und gingen nicht in die Aufzeichnungen der Wetterkundler ein – was ebenfalls die Datenlage verzerrt. Die soliden Aufzeichnungen der jüngeren Vergangenheit haben nur begrenzte Aussagekraft. „Wenn man sich beispielsweise die Zahl der Blitze anschaut, so ist noch kein langfristiger Trend erkennbar, weder in die eine noch in die andere Richtung“, sagt Ulbrich.

Eine große Gewitterfront kann bis zu 300.000 Blitze hervorbringen

Das bestätigt der Blids-Experte Thern. „Die Zahl der jährlichen Blitzeinschläge in Deutschland schwankt sehr stark, die letzten drei waren eher schwach, dafür waren die vorangegangenen zwei recht stark – es ist ein einziges Auf und Ab.“ Grob gemittelt sind es rund zwei Millionen Blitze, die pro Jahr hierzulande am Himmel zucken, die meisten zwischen Wolken. Die Mehrzahl entsteht in kleinen, wenige Kilometer großen Gewitterzellen. Wenn jedoch eine große Gewitterfront durchzieht, die mitunter von Baden-Württemberg bis Berlin reicht, kann sie bis zu 300 000 Blitze hervorbringen, von denen etwa ein Drittel bis zum Boden reicht, berichtet Thern. „Nur zwei, drei solcher Fronten genügen, schon hat man ein vergleichsweise starkes Jahr.“ Nur weiß man das zu Beginn der Gewittersaison noch nicht.

Das Erfassen der einzelnen Blitze mittels Blids ist nicht allein dem Protokollierungsbedürfnis der Meteorologen geschuldet. Wetterdienste nutzen die Messungen, um etwa Flughäfen zu warnen – dort wird dann das Betanken der Flieger eingestellt. Auch Versicherungen nutzen die Daten, um aufzuklären, ob ein vermeintlicher Blitzschlag tatsächlich stattgefunden hat. Der Einschlagsort lässt sich bis auf wenige 100 Meter genau bestimmen. Dafür wurde ein Messnetz von mehr als 150 Stationen in Europa verteilt, die elektromagnetische Veränderungen erfassen, die von Blitzentladungen herrühren.

Gebirge und Metropolen werden häufiger getroffen

Trägt man die Ereignisse in eine Karte ein, so fällt auf, dass in Süddeutschland mehr Blitze einschlagen als im Norden. Das liegt an den Gebirgen, wo sich große feuchte Luftmassen stauen – eine wichtige Zutat für Gewitter. Auch Ballungsgebiete bekommen häufiger etwas ab, weil sie sich stärker erwärmen als das ländliche Umland und damit mehr Energie für Unwetter bereitstellen. Das individuelle Risiko, vom Blitz getroffen zu werden, ist dennoch gering. Es nicht größer, als einen Sechser im Lotto zu haben. Zwei Drittel aller vom Blitz Getroffenen überleben, nur drei bis vier Menschen sterben pro Jahr in Deutschland daran.

Neben heftigen Entladungen bringen Gewitter häufig starke Niederschläge mit sich. Auch hier lassen Klimamodelle erwarten, dass diese im Zuge der Erderwärmung häufiger und intensiver ausfallen. Und wie bei den Blitzen gibt es bisher keinen Beleg dafür, sagt der FU-Meteorologe Ulbrich. „Wir haben Messstationen, bei denen über die vergangenen Jahre dieser Trend gut zu sehen ist, es gibt aber auch welche, wo das nicht der Fall ist oder sogar eine gegenteilige Entwicklung zu beobachten ist.“

Der vermeintliche Tornado war am Ende dann doch keiner

Erneut sind die Forscher mit der Statistik seltener Ereignisse konfrontiert. Darüber hinaus werde der vermutete Trend durch natürliche Schwankungen des Klimasystems überdeckt, die über Jahre oder gar Jahrzehnte wirksam sind, sagt Ulbrich. „Es ist noch nicht geklärt, ob die beobachteten Veränderungen auf natürliche Schwankungen zurückzuführen sind oder ob sie tatsächlich eine Folge des Klimawandels sind.“

Manche Vermutung hält einer genaueren Analyse dann doch nicht stand. So wie der vermeintliche Tornado, der am Sonntagabend in Minden gewütet haben soll. Nach Auskunft des Deutschen Wetterdiensts handelte es sich „nur“ um Fallwinde, die mit einem Unwetter verknüpft waren. Ihre Wirkung war verheerend, fünf Häuser wurden wegen Einsturzgefahr geräumt. Ein Tornado war es trotzdem nicht.

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