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97.210 Menschen haben die Petition "SIGNforMECFS" unterzeichnet.

© privat

Petition zu ME/CFS im Bundestag: „Heute hört uns der Deutsche Bundestag unmittelbar zu“

Carmen Scheibenbogen und Daniel Loy klärten am Montag im Bundestag über die Erkrankung auf, unter der 300.000 Menschen in Deutschland leiden.

Im Frühjahr 2006 reist Daniel Loy nach Berlin. Er nimmt an einer Veranstaltung der Studienstiftung des deutschen Volkes teil und infiziert sich währenddessen mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV). Nach seiner Reise wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. Jahrelang ist er krank, trotz zahlreicher Arztbesuche weiß keiner, was ihm fehlt.

2018, nach einer drastischen Zustandsverschlechterung, bekommt er zwölf Jahre nach seiner EBV-Infektion die Diagnose: ME/CFS. „Seitdem habe ich fast alles verloren, was mein Leben zuvor ausgemacht hat“, sagt Loy am Montag. Er erzählt seine Geschichte per Videoschalte in den Bundestag.

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ME/CFS (Myalgische Enzephalomeyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom) ist eine schwere chronische Krankheit, die meist durch eine Virusinfektion ausgelöst wird und zu extremer Erschöpfung und ständigen Schmerzen führt. Doch vielen Ärzten und Pflegekräften ist das Krankheitsbild bis heute kaum ein Begriff. Es mangelt an Forschung und Aufklärung und infolgedessen wird ME/CFS oft nicht erkannt und falsch behandelt. Oder gar belächelt.

Mitte November 2021 startete Daniel Loy gemeinsam mit drei weiteren Erkrankten die Petition „SIGNforMECFS“ und forderte die Versorgung, Forschung und politische Unterstützung für ME/CFS-Betroffene. Ziel war es, mit Hilfe von 50.000 Unterschriften eine öffentliche Anhörung im Deutschen Bundestag zu bekommen.

Anhörung zu ME/CFS im Bundestag

Letztendlich unterzeichneten fast doppelt so viele Menschen die Petition. 97.210 Unterschriften – stellvertretend für die circa 300.000 Erkrankten in Deutschland. Durch Long Covid, was ebenfalls Auslöser für die Krankheit sein kann, dürfte die Dunkelziffer aber mittlerweile weitaus höher sein.

Am Montagmittag fand die einstündige Anhörung unter Leitung der Vorsitzenden Martina Stamm-Fibich (SPD) statt, die bereits vor zwei Jahren gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und der Patientenorganisation #MillionsMissing das erste Fachgespräch zu ME/CFS im Bundestag veranstaltet hatte.

Carmen Scheibenbogen.
Carmen Scheibenbogen.

© Foto: Simone Baar / Charité

Daniel Loy berichtete davon, dass er nach Stellung der Diagnose optimistisch gewesen sei und an eine Lösung glaubte. „In unserem Land wird doch ernsthaft versucht, allen schwerkranken Menschen zu helfen?! …so dachte ich.“

Was Loy jedoch seitdem über den Umgang mit der Erkrankung gelernt hat, habe seinen „Optimismus mit großem Entsetzen weichen lassen“. Als Jurist sei er es gewohnt, Aussagen auf ihre Plausibilität zu prüfen. „Hätte mir jemand diese tatsächlichen Zustände in Sachen ME/CFS vor meiner eigenen Erkrankung geschildert… ich hätte das nicht geglaubt!“

Mehr Forschung für ME/CFS nötig

Carmen Scheibenbogen, Leiterin des Fatigue-Zentrums der Berliner Charité, behandelt seit vielen Jahren ME/CFS-Erkrankte. Bei der Anhörung betonte sie den geringen Wissensstand, der noch immer bei dem Krankheitsbild vorliege.

Es habe bereits klinische Studien gegeben, jedoch „bislang ohne jegliche Unterstützung, weder von der pharmazeutischen Industrie noch von Drittmittelgebern“. Dies sei bei weitem nicht ausreichend und „es bedarf dringend Unterstützung, dass klinische Studien auf diesem Weg fortgesetzt werden können“, so Scheibenbogen.

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Auch Loy betonte immer wieder die mangelnde Versorgungslage: „Ich hätte nicht geglaubt, dass es eine Krankheit gibt, die so gravierend ist, dass man am schweren Ende des Spektrums nicht nur dauerhaft bettlägerig, sondern auf künstliche Ernährung angewiesen [und] zu Kommunikation nicht mehr in der Lage ist.“ Selbst geringste Sinnesreize wie Licht oder Berührungen seien dann nicht mehr zu ertragen.

Mangelnde Unterstützung bei ME/CFS

Bis heute seien laut Loy keine Behandlungsansätze zugänglich und auch keine Versorgungsstrukturen vorhanden. Sabine Dittmar (SPD), parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit, äußerte sich ebenfalls zur Versorgungssituation.

Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung hätten demnach Anspruch „auf eine angemessene medizinische Versorgung entsprechend dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Und zwar die Versorgung, die notwendig und die auch zweckmäßig ist“, so Dittmar.

[Lesen Sie dazu auch auf tagesspiegel.de: Marina Weisband lebt mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom - „Die häufigste Todesursache der Krankheit ist Suizid“ (T+)]

Carmen Scheibenbogen stimmte zu, dass die Strukturen und Versorgungskonzepte grundsätzlich da seien. Die Realität und die Umsetzung würden jedoch anders aussehen: „Das Problem ist oft, dass sie [die Patienten] von vielen Ärzten eben gar keine Behandlung bekommen, weil die Ärzte diese Erkrankung nicht kennen. Und natürlich gibt es Grundprinzipien in der Versorgung, die allen Patienten angeboten werden und die auch viel Not lindern könnten, aber auch das funktioniert bislang nicht.“

Sensibilisierung von Ärzten in Bezug auf ME/CFS

Es würde nicht ausreichen, auf die Selbstversorgung zu hoffen. „Es braucht Unterstützung, auch und insbesondere von Seiten der Politik, für eine Anschubfinanzierung, sowohl was die Versorgungsstrukturen als auch die Forschung angeht“, so Scheibenbogen.

Für Daniel Loy und 300.000 weitere ME/CFS-Patienten sei diese Anhörung ein ganz besonderes Ereignis. 16 Jahre nach seiner Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus und einem langen Leidensweg mit der anschließenden ME/CFS-Erkrankung betonte er am Montag: „In der Vergangenheit wurde in Medizin und Gesellschaft meist, wenn überhaupt, nur über die ME/CFS-Betroffenen gesprochen, nicht aber mit uns. Heute dagegen hört uns der Deutsche Bundestag unmittelbar zu.“

Und auch Carmen Scheibenbogen betonte zum Ende hin, dass es wahrscheinlich gar nicht viel brauche, um Ärzte zu sensibilisieren: „Es muss am Ende einfach mal von Herrn Lauterbach gesagt werden: Das ist ein Riesenproblem!“ Dann wäre vielleicht eine Bereitschaft da, so Scheibenbogen. „Aber solange die Mehrheit der Ärzte denkt, das ist keine ernstzunehmende Erkrankung oder es ist eine psychosomatische Erkrankung, wird sich nichts ändern und es reicht nicht aus, wenn ich das sage.“

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