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Grabung nahe Gizeh (Archivbild).

© REUTERS/Mohamed Abd El Ghany

Pandemierestriktionen bedrohen die Wissenschaft: Feldforschung ist durch Corona zum Erliegen gekommen

Wissenschaftsfreiheit in Gefahr: Feldforschungen sind wegen Corona kaum möglich, Mächtige nutzen den Lockdown für Restriktionen. Ein Gastbeitrag.

Ilyas Sailba ist Mitarbeiter am Global Public Policy Institute und am Wissenschaftszentrum Berlin. Er forscht zu Demokratisierungsprozessen, Protestbewegungen und Menschenrechtsverletzungen.

Die Covid-19-Pandemie hat Universitäten und Wissenschaftler:innen zu schmerzhaften Anpassungen gezwungen. Forscher:innen aus einer Vielzahl von Disziplinen, deren Methoden zur Datensammlung auf Feldforschungsaufenthalten beruhen, konnten ihre geplanten Aufenthalte nicht antreten.

Sie sahen sich gezwungen, ihre Datenerhebungsmethoden oder sogar ihre Forschungsthemen anzupassen. So bremst die Pandemie Forschende aus. Die Immobilität wirkt sich negativ auf die Produktion von Wissen in vielen Forschungsgebieten aus.

Während in hochentwickelten Staaten ein Großteil der universitären Lehre, internationaler Wissenschaftskongresse inzwischen im Onlinezeitalter angekommen sind, kann eine archäologische Ausgrabung in Oberägypten, eine geografische Probenentnahme auf den Galapagosinseln oder eine ethnographische Studie der Protestbewegung in Belarus nicht online durchgeführt werden.

Viele geplante Studien können nicht durchgeführt werden

Feldforschungsbasierte Datenerhebung kommt durch die Pandemie quasi zum Erliegen. Das trifft insbesondere für Forschende, deren Forschungsobjekte oder -subjekte sich im Ausland befinden. Es trifft aber auch Wissenschaftler:innen, die aufgrund von Einschränkungen ihren Wohnort nicht verlassen dürfen oder Dienstreisen generell aufgrund des Infektionsgeschehens nicht antreten können.

Viele geplante Studien konnten dadurch nicht durchgeführt werden. Die Verluste für die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung, vor allem in Disziplinen, in denen Datenerhebungen Feldforschungsaufenthalte voraussetzen, sind kaum aufzuholen. Nicht durchgeführte Datenerhebungen können nicht einfach zwei Jahre später nachgeholt werden.

Als Wissenschaftler:innen in besonders beeinträchtigten Disziplinen haben wir eine Verantwortung, gemeinsam darüber zu reflektieren, welche Konsequenzen die pandemiebedingte Immobilität von Wissenschaft auf wissenschaftliche Debatten hat. Wir müssen uns die Frage stellen, welche Stimmen und Perspektiven dadurch mehr zu Wort kommen, welche weniger und welche Forschung durch die Einschränkungen besonders beeinträchtigt ist.

Zugang zu Informationen kann einfacher kontrolliert werden

Auch wenn wir uns neuer Methoden und neuen Kooperationen bedienen, um weiterhin Datenerhebungen und -messungen durchzuführen, muss uns klar sein, dass der Zugang zu Informationen, ob online oder durch Partner, vor Ort deutlich einfacher kontrolliert werden kann. Dieser Umstand kommt nicht zuletzt all denen zugute, die kein Interesse daran haben, dass Daten und Informationen über bestimmte Entwicklungen verfügbar sind. Bei Forschungsvorhaben, etwa zu Umweltverschmutzung, Ungleichheit oder Menschenrechtsverletzungen, versuchen Regierungen oder Firmen seit jeher Wissenschaftler:innen den Zugang zu relevanten Informationen zu erschweren.

Der Autor: Ilyas Saliba ist Mitarbeiter am Global Public Policy Institute und am Wissenschaftszentrum Berlin.
Der Autor: Ilyas Saliba ist Mitarbeiter am Global Public Policy Institute und am Wissenschaftszentrum Berlin.

© privat

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Durch die Pandemie erledigt sich das nun fast von selbst. Unliebsame Wissenschaft findet entweder ohnehin nicht mehr statt oder wird basierend auf pandemiebedingten Beschränkungen verhindert.

Beunruhigend stimmen Fälle, in denen Regierungen und Behörden die Pandemie als Vorwand für weitgehende Zugangsbeschränkungen für Forschende instrumentalisieren. So greifen staatliche Stellen im Zuge der Pandemie verstärkt in die Bewegungsfreiheit von Forschenden ein, indem sie ihnen etwa den Zugang zu bestimmten Orten zu verwehren. Die chinesische Regierung verzögerte die Einreise von Expert:innen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Untersuchung der Ursprünge des SARS-CoV2-Virus und gewährte auch nicht den vollen Zugriff auf Daten.

Nationale Regierungen schließen Forschende aus

Die Gefahr, dass nationale Regierungen oder lokale Autoritäten Wissenschaftler:innen – aus vorgeschobenen Gründen – den Zugang zu von Umweltverschmutzung betroffenen Regionen oder von Protesten aufgewühlten Landesteilen verwehren, ist nicht zwar nicht neu, aber hat sich durch die Pandemie verschärft.

Die Konsequenzen der Pandemie für Feldforschung gehen daher weit über die rein wissenschaftliche Wissensproduktion hinaus. Denn die durch Feldforschung gewonnen Daten und Erkenntnisse tragen zu politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Debatten und Entscheidungen bei. Gleichzeitig ist durch die Abwesenheit von Feldforschung auch die Wissenschaftsfreiheit bedroht . Forschende, deren Datenerhebungen auf Feldaufenthalten beruht, brauchen mehr denn je Flexibilität und die Unterstützung ihrer Vorgesetzten. Der bereits seit einigen Jahren zu beobachtende Trend zur Versicherheitlichung von Feldforschung durch interne Auflagen und externe Einschränkungen wird voraussichtlich weiter und schneller voranschreiten.

Politisch unliebsame Feldforschung

Bei aller Notwendigkeit von Transparenz und Vorsicht dürfen Universitäten und ihre Gremien nicht zu einem weiteren Blockierer von Feldforschungsvorhaben werden, sondern müssen gemeinsam mit Wissenschaftler:innen versuchen, auch schwierige Forschung möglich und möglichst sicher zu machen. Insbesondere dort, wo politisch unliebsame Feldforschung ohnehin von Behörden vor Ort behindert oder verhindert wird, benötigen Forschende die Unterstützung ihrer Institutionen und Regierungen.

Feldforschung war schon immer mit Risiken behaftet, aber sie ist unabdingbar für den wissenschaftlichen Fortschritt. Wir brauchen Feldforschung für die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung, für gesellschaftliche Debatten und politische Entscheidungsfindung – in Zeiten einer Pandemie mehr denn je.

Ilyas Saliba

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