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Eine Neandertaler-Familie in modellhaften Darstellung in einem Museum.

© Nicola Solic/Reuters

Paläontologie: Was die Milchzähne der Neandertaler-Kinder verraten

Über Neandertaler ist einiges bekannt, über ihre Babys aber kaum. Zwei Zähne ändern das jetzt – zumindest ein bisschen.

Harte Winter, milde Sommer. Und Blei. Wie vor 250 000 Jahren Umwelt und Klima das Leben von Neandertalern im Süden des heutigen Frankreich beeinflusst haben, dafür hat ein Team um Tanya Smith von der Griffith University im australischen Brisbane jetzt Hinweise gefunden. Die Winter seien damals an der Mündung des aus dem Zentralmassiv kommenden Flusses Payre in die untere Rhone sehr kalt gewesen. Zähne von zwei Neandertaler-Kindern, die damals dort lebten, sind Quelle dieser Information. Die Untersuchungen, veröffentlicht im Magazin „Science Advances“, erbrachten noch mehr Hinweise auf jene Zeit, unter anderem Belastungen mit einem Umweltgift.

Die Forscher stützen sich auf exakte Analysen des Schmelzes zweier Milchzähne. Diese datierten sie anhand kleiner Steine, die in der gleichen Schicht lagen, mit der Thermolumineszenz-Methode. Diese Steinwerkzeug-Splitter fielen demnach vor etwa 250 000 Jahren in das von den Neandertalern dort genutzte Feuer.

Wachstumsringe im Zahnschmelz

Der Schmelz der Zähne ergab Hinweise auf das Klima jener Zeit. Er wächst jeden Tag um eine winzig dünne Schicht. So entstehen Wachstumsringe. Mit sehr feinen Methoden war es möglich, wochengenau in die Zähne zu blicken. Die Forscher interessierte dabei zunächst der eingelagerte Sauerstoff, der in zwei unterschiedlich schweren Varianten als Sauerstoff-16 und Sauerstoff-18 vorkommt. Bei höheren Temperaturen verdunstet relativ viel Wasser – und der leichtere Sauerstoff-16 stärker. Daher stieg der Gehalt des schwereren Sauerstoff-18-Isotops im nicht verdunsteten Wasser, von dem die Neandertaler tranken. Im Winter ist die Situation umgekehrt: Wenig Wasser verdunstet und der Anteil an Sauerstoff-18 ist niedriger.

Da ein Teil dieser Isotope im wachsenden Zahnschmelz eingebaut wird, können die Forscher bestimmen, wie viel Sauerstoff-18 in den einzelnen Schichten steckt: „Wir können aus dem Zahnschmelz also ablesen, wie lange damals die Sommer und Winter dauerten, und die relativen Temperaturen schätzen“, erklärt Smith. Verglichen mit einem 5400 Jahre alten Zahn von Homo sapiens, der vom gleichen Fundort stammt, bestätigten die Zähne der Neandertaler (Homo neanderthalensis), dass es vor 250 000 Jahren im Winter deutlich kälter war. Und die jahreszeitlichen Temperaturunterschiede waren erheblich größer. Die Sommer vor 250 000 Jahren fielen also offenbar relativ mild aus.

In der kältesten Periode eines Winters finden die Forscher in beiden Zähnen Unterbrechungen des Schmelzwachstums von einer oder zwei Wochen. Eine weitere solche Wachstumsstörung in einem der beiden Zähne fiel in den Herbst. Ähnliches beobachten die Forscher in den Wachstumsringen der Zähne von Rhesusaffen zu Zeiten, in denen sie schwer erkrankt waren. Anscheinend hatten also die Neandertaler-Kinder im kalten Winter schwere Krankheiten durchgemacht.

Zweieinhalb Jahre von der Mutter gestillt

Auch der Gehalt an Barium veränderte sich. Das lässt weitere Rückschlüsse auf das Leben der Kleinkinder zu: Solange der Nachwuchs gestillt wird, nehmen Babys relativ viel Barium mit der Muttermilch auf und bauen vergleichsweise große Mengen in den Zahnschmelz ein. Vor der Geburt und nach dem Abstillen liegen diese Werte deutlich niedriger. Bei einem der Neandertaler-Kinder konnten Smith und ihre Kollegen anhand der Barium-Konzentrationen und der Sauerstoff-18-Werte der gleichen Zahnschmelzschicht bestimmen, dass der kleine Neandertaler zum ersten Mal im Frühjahr gestillt – also in dieser Zeit geboren wurde. Zweieinhalb Jahre später wurde das Kind abgestillt. „Ähnlich lange stillen noch heute die Mütter der letzten noch als Jäger und Sammler lebenden Menschengruppen im Süden Afrikas ihre Kinder“, sagt Smith.

Bei den nächsten Verwandten des Menschen – Bonobos im Regenwald Zentralafrikas – ist unbekannt, wann sie abstillen. „Wir beobachten im Kongo bei unserer Freilandforschung zwar, dass die Bonobo-Kinder sehr lange an ihrer Mutter hängen, wissen aber nicht, ob sie in dieser Zeit noch gestillt werden“, erklärt Gottfried Hohmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Derzeit untersuchen die Forscher Kotproben der Tiere und bestimmen darin den Gehalt an Stickstoff-15. Dieses schwerere Isotop reichert sich in tierischem Gewebe – und auch in der Muttermilch – an. Sobald Bonobos sich selber ihre Nahrung suchen, fressen sie überwiegend Pflanzen und der Stickstoff-15-Anteil im Kot sollte sinken. Für 2019 rechnen Hohmann und seine Kollegen damit, Ergebnisse veröffentlichen zu können.

Hohen Bleimengen ausgesetzt

Tanya Smiths Team vermutet auch, dass Neandertaler-Frauen Nachwuchs zumindest zu jener Zeit bevorzugt im Frühling zur Welt brachten. Allerdings lässt die geringe Stichprobenzahl – zwei Neandertaler-Babys – einen auch nur einigermaßen sicheren solchen Rückschluss nicht zu. Mehr ähnliche Befunde wären dafür nötig. Bei heutigen Menschen sind Geburten relativ gleichmäßig über das Jahr verteilt. Das gilt auch für Bonobos und Schimpansen. „Diese Tiere leben im tropischen Afrika, wo die Unterschiede im Jahreslauf deutlich geringer als in Europa sind“, sagt Hohmann. Die Tiere scheinen ihre Geburten aber abzustimmen. „Wir beobachten zwei Gruppen von Bonobos, in denen rund ein Drittel innerhalb weniger Wochen Nachwuchs hatten“, erklärt Gottfried Hohmann. Wie das gesteuert wird, sei aber unklar. In einer anderen, älteren Studie bei Menschen in Gambia fanden andere Forscher dagegen Hinweise auf mögliche Mechanismen: Gibt es reichlich zu essen, wurden Frauen dort ein wenig kräftiger. Ihr Hormonhaushalt stellte sich um, was die Wahrscheinlichkeit für eine Empfängnis erhöht. Vielleicht war es bei den Neandertalern ähnlich, die im Sommer relativ viel Essbares fanden, sodass neun Monate später besonders häufig Kinder geboren wurden. Vielleicht hatten solche Kinder – auch ähnlich wie in einer Studie in Gambia beobachtet – aber auch nur bessere Chancen, zu überleben.

Viel einfacher können Tanya Smith und ihre Kollegen einen anderen zusätzlichen Befund aus dem Zahnschmelz der Kinder erklären. Im tiefsten Winter und ein Jahr später im Spätwinter waren diese hohen Bleimengen ausgesetzt. Keine 25 Kilometer vom Fundort der Zähne entfernt gibt es heute noch zwei Bleiminen. Es sei „gut möglich“, sagt Smith, „dass die kleinen Neandertaler dort kontaminierte Pflanzen aßen“. Auch Rauch von bleibelastetem Holz könne die Ursache gewesen sein.

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