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Bei komplizierten Operationen wenden sich Patienten besser an spezialisierte Zentren, die solche Eingriffe regelmäßig durchführen.

© Angelika Warmuth/dpa

Operations-Mindestmengen in Berliner Kliniken: Weniger Behandlungen bedeuten mehr Gefahr

Wenn Kliniken die Mindestzahlen für komplizierte Eingriffe nicht erfüllen, ist das mehr als eine Formalie. Sie gefährden damit Menschenleben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan Detert

Haben Sie das schon mal gemacht? Das fragt man vielleicht den Medizinstudenten, wenn es beim Blutabnehmen nicht klappt, aber den Chirurgen, der einen an der Speiseröhre operieren wird? Eher nicht. Dabei sollten Patienten genau das tun. Denn viel zu oft fehlt es dem Team an der nötigen Erfahrung, eine Knieprothese einzusetzen oder das Krebsgeschwür an der Speiseröhre herauszuschneiden.

Mindestmengen sollen das verhindern. Ein Krankenhaus darf die Knie-OP nur dann abrechnen, wenn es 50 solcher Eingriffe im Jahr durchführt. Das ist nicht viel. Große Häuser schaffen das oft problemlos. An kleineren kann das schnell zum Problem werden. Dann darf die Klinik die Behandlung nicht mehr anbieten – eigentlich. Denn seit der Einführung der Mindestmengen vor 15 Jahren gibt es zahlreiche Schlupflöcher, und die werden von den Krankenhäusern fleißig genutzt.

Sei es, wenn ein erfahrener Chirurg von einer großen Uniklinik an ein kleines Haus auf dem Land wechselt und weiterhin seine technisch komplizierte Operation anbieten möchte. Oder wenn eine Gesundheitsbehörde festlegt, dass ein kleines Krankenhaus dreimal im Jahr einen schwierigen Eingriff durchführen soll, nur damit der Patient nicht in die nächste Großstadt fahren muss.

Im ersten Fall wird oft vergessen, dass eine OP keine One-Man-Show ist, sondern ein komplexes Zusammenspiel von Fachkräften unterschiedlicher Disziplinen, das eine gut ausgestattete Klinik und eine ausgeklügelte Krankenhaus-Organisation voraussetzt.

Im zweiten Fall ist es schlichtweg fahrlässig, den Bürgern nicht zuzumuten, sich für seine Gesundheit ins Auto oder den Zug zu setzen. Immerhin geht es hierbei nicht um eine Blinddarm-OP.

Mindeststandards retten Leben

Die Mindestmengen sollen letztendlich verhindern, dass Patienten schwerwiegende Komplikationen erleiden und im schlimmsten Fall daran versterben. Und sie sind tatsächlich nur das, was der Name sagt: eine untere Grenze. Ergebnisse aus Studien zeigen, dass sie oftmals noch viel höher liegen müssten. Diese Untergrenze nicht einzuhalten, gefährdet Leben. Die Konsequenz muss also sein, dass eine Klinik, die nicht das nötige Mindestmaß an Erfahrung vorweisen kann, eine Operation nicht mehr anbieten darf.

Um die Vorgaben einzuhalten, wird kein Weg daran vorbeiführen, spezialisierte Zentren zu gründen und bestehende weiter auszubauen. Bei den Organtransplantationen ist das längst der Fall. Für alle anderen Operationen sollte dies ebenfalls zur Selbstverständlichkeit werden.

Unsere Nachbarn machen vor, wie es geht

In den Niederlanden hat man es geschafft, durch die Einhaltung der Mindestzahl von zehn Operationen pro Jahr die Sterblichkeit nach Bauchspeicheldrüsen-Eingriffen zu halbieren, von zehn auf fünf Prozent. Das sind zehn Patienten, die nicht sterben. In Deutschland wären es fünfmal mehr. Würden Mindestmengen so angewendet, wie es das Gesetz vorsieht, könnten hunderte Menschenleben gerettet werden. Und wie schafft man das?

Vor drei Jahren hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina vorgeschlagen, der deutschen Krankenhaus-Landschaft eine Radikalkur zu verpassen. 1.600 Krankenhäuser wollte sie auf 330 reduzieren. Auf eine Viertelmillion Einwohner käme dann ein Krankenhaus.

Der Vorschlag sorgte für viel Diskussion: Nicht vermittelbar, nicht umsetzbar. Dabei ist das Modell schon Realität – bei unseren dänischen Nachbarn. Trotzdem, wirklich geändert hat sich seitdem nichts. Das zeigen auch die aktuellen Zahlen zu den Mindestmengen.

Damit Patienten in Zukunft nicht ihren Chirurgen vor der OP fragen müssen, ob er den Eingriff schon ausreichend geübt hat, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, nicht nur über eine Umstrukturierung zu diskutieren, sondern sie auch in Angriff zu nehmen.

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