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Freies Lesen. Studierende, Forscher, Bibliotheken greifen kostenlos auf Artikel zu: Das ist Ziel der Open-Access-Bewegung. Stattdessen zahlen die Autoren fürs Publizieren.

©  Mike Wolff

Open Access in der Wissenschaft: Fair Trade für Forscher

Billiger, aber auch besser? Im Kampf um den freien Zugang zu Forschungsergebnissen wehren sich Wissenschaftler mit eigenen Journalen gegen Großverlage. Doch unter den Open-Access-Magazinen gibt es auch Betrüger.

Die Mathematiker haben die Sache jetzt selbst in die Hand genommen. An der Elite-Universität Cambridge verkündeten kürzlich 39 renommierte Wissenschaftler, dass sie zwei neue Zeitschriften gegründet haben: das Forum of Mathematics, Pi, und das Forum of Mathematics, Sigma. Pi und Sigma veröffentlichen einerseits nur Artikel, die hochkarätige Forscher vorher begutachtet haben. Andererseits, und das ist das Besondere, sind diese Open-Access-Journale kostenlos. Wissenschaftler, Studenten, Bibliotheken – alle dürfen auf die Artikel zugreifen.

In den ersten drei Jahren müssen sich nicht einmal die Autoren an den Unkosten beteiligen, das übernimmt die Cambridge University Press. Später werden Wissenschaftler, die ihre Aufsätze in Pi und Sigma veröffentlichen dürfen, Geld mitbringen müssen. Der Preis soll aber nur den realen Herstellungskosten entsprechen.

Als goldener Weg („Gold Open Access“) wird dieses neue Publikationsmodell bezeichnet, bei dem nicht mehr die Leser, sondern die Urheber die Kosten tragen. 9 000 Open-Access-Journale gibt es mittlerweile weltweit, ständig kommen neue hinzu. Etliche davon arbeiten verlagsunabhängig. Ihre Botschaft an die Wissenschaftsverlage ist deutlich: Was ihr könnt, können wir auch! Sogar billiger, besser und fairer.

Jahrzehntelang konnten renditeorientierte Großverlage wie Springer, Elsevier und Wiley-Blackwell für Fachzeitschriftenabonnements viel Geld verlangen, obwohl die Wissenschaftler selbst keine Honorare bekamen. Das wollen die Neugründer anders machen. Deshalb schließen sich einzelne Wissenschaftler, Wissenschaftsorganisationen oder Fachverbände zusammen, gründen – wie die europäischen Geowissenschaftler – ein ganzes Bündel von Open-Access-Zeitschriften oder etablieren neue Titel wie PeerJ oder eLife. Das Ziel ist das gleiche: Forschung frei zugänglich zu machen.

Auch viele wissenschaftliche Traditionsverlage sind auf den goldenen Zug aufgesprungen: weil die Nachfrage groß ist und sich damit durchaus Geld verdienen lässt. Die Autoren zahlen dann bei Erscheinen eines Buchs oder eines Artikels einen bestimmten Betrag an den Verlag, damit der Text später frei im Internet verfügbar ist. Die Preise variieren stark, von knapp 100 bis zu mehreren tausend Dollar pro Text. In der wissenschaftlichen Community ist diese Form des Open Access deshalb nicht unumstritten. Denn ein Teil der Forschungsmittel muss für die Veröffentlichung abgezweigt werden.

Abgesehen davon hat das neue Geschäftsmodell bereits etliche Betrüger angelockt. „Fast täglich bekomme ich E-Mails von Journalen, von denen ich noch nie gehört habe“, erzählt der Berliner Mathematikprofessor und Leiter des Konrad-Zuse-Zentrums Martin Grötschel. Manche erfinden klingende Titel, schmücken sich mit falschen Herausgeberlisten oder programmieren sogar schicke Webseiten. „Da ist ein neuer Geschäftszweig entstanden, mit dem sich Geld verdienen lässt“, sagt Grötschel. „Der Open-Access-Gedanke wird dabei leider verwässert.“ Doch es gibt Gegenwehr: Der amerikanische Bibliothekar Jeffrey Beall listet auf seinem Blog „Scholarly Open Access“ unseriöse Zeitschriften auf. 2012 sei deren Anzahl geradezu explodiert, sagte er kürzlich gegenüber dem Magazin Nature.

Wer für die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse nicht selbst zahlen will oder kann, dem bleibt der sogenannte „grüne Weg“. Bei „Green Open Access“ werden Artikel, die zunächst in klassischen Fachzeitschriften erschienen sind, von ihren Urhebern nach Ablauf einer Frist im Internet veröffentlicht. Die Wissenschaftler stellen ihre Texte dann auf ihre eigene Website oder laden sie auf zentrale Dokumentenserver, sogenannten Repositories, hoch. In Deutschland verfügen mittlerweile zahlreiche Institute und Bibliotheken über solche Datenbanken. Auch hier zahlt der Leser nichts.

Ist die Ära der wissenschaftlichen Journale ohnehin vorbei?

Welche der beiden konkurrierenden Varianten, grün oder gold, sich in den kommenden Jahrzehnten weltweit durchsetzen wird, ist noch nicht entschieden. „Mittlerweile zeichnen sich in vielen westlichen Ländern politische Mehrheiten für das grüne Modell ab“, sagt der Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen. Er ist Sprecher des Aktionsbündnisses „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“, das sich unter anderem für ein gesetzlich verankertes Zweitverwertungsrecht für wissenschaftliche Autoren einsetzt. Bislang sind Forscher bei Online-Zweitveröffentlichungen auf die Duldung der Verlage angewiesen, an die sie die Nutzungsrechte abgetreten haben.

In Zukunft soll dieses Zweitverwertungsrecht gesetzlich festgeschrieben sein. Die Bundesregierung hat kürzlich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Allerdings soll das Recht lediglich für drittmittelfinanzierte Zeitschriftenaufsätze, nicht aber für reguläre Hochschulforschung und auch nicht für Artikel in Sammelbänden gelten. Außerdem soll es eine 12-monatige Sperrfrist nach der Erstveröffentlichung geben.

Dagegen hat sich heftiger Widerstand formiert. Wissenschaftsorganisationen und Bibliotheksverbände fordern ein Zweitveröffentlichungsrecht für sämtliche öffentlich geförderte Forschung und eine Schutzfrist von maximal sechs Monaten. Der Bundesrat hat beide Forderungen aufgegriffen und am Freitag einen entsprechenden Beschluss verabschiedet, verbunden mit einem Appell an die Bundesregierung, die Änderungen ebenfalls zu übernehmen.

Doch selbst, wenn das Gesetz in Kraft tritt, heißt das nicht, dass künftig alle wissenschaftlichen Aufsätze nach Ablauf der Sperrfrist online veröffentlicht werden. Rund 90 Prozent der in den letzten Jahren erschienenen wissenschaftlichen Aufsätze könnten auch jetzt schon – mit Erlaubnis der Verlage – kostenlos im Internet stehen, schätzt Kuhlen. Faktisch seien es aber nur 20 bis 30 Prozent. „Bei vielen Wissenschaftlern herrscht rechtliche Unsicherheit, andere interessieren sich einfach nicht für das Thema.“ Ob ein neuer Passus im Gesetz daran etwas ändern wird? Oder sollte es, wie in den USA und Großbritannien neuerdings, einen staatlich verordneten Zwang zu Open Access geben? Aber wäre der überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar?

In der von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften initiierten Arbeitsgruppe „Zukunft des wissenschaftlichen Kommunikationssystems“, der auch der Mathematiker Grötschel angehört, setzt man sich mit solchen Fragen auseinander. Bis 2014 will die Gruppe unter anderem über die mögliche Neugestaltung des Urheberrechts diskutieren. Am Ende sollen konkrete Handlungsempfehlungen an die Politik formuliert werden.

Womöglich wird die Arbeitsgruppe zu dem Schluss kommen, dass sich die Ära der wissenschaftlichen Journale ohnehin ihrem Ende zuneigt und die Zukunft einem ganz anderen Format, nämlich den Plattformen, gehört. Auch Rainer Kuhlen gründet gerade eine solche Plattform, European Information Science soll sie heißen. Die Website will mehr bieten als eine Sammlung von Aufsätzen. „Es soll Kommentarfunktionen geben, Foren, auf denen man sich austauschen kann, Features, die kollaboratives Arbeiten ermöglichen.“ Kosten sollen dabei weder für die Nutzer noch für die Urheber entstehen. „Die Plattform könnte langfristig von den nationalen Fachverbänden finanziert werden.“ Nicht mehr als 500 Euro soll der Jahresbeitrag pro Mitgliedsland kosten. Ein Schnäppchen, verglichen mit den bisherigen Preisen für Fachliteratur.

Anmerkung der Redaktion: Gegenüber der ersten Version vom 05. Mai haben wir folgendes korrigiert: Die Gründung der Mathematik-Magazine Pi und Sigma wurden nicht auf der Homepage der Universität Cambridge verkündet, sondern von Forschern an der Universität - in Kooperation mit Cambridge University Press. Wir danken Günter M. Ziegler (FU Berlin) für den Hinweis.

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