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Pendler an einer U-Bahn-Station in London

© Niklas Halle'n/AFP

Offenbar nur mit Zweitimpfung beherrschbar: Angst vor der Delta-Variante – ein Wettlauf gegen die Zeit?

Experten beobachten die Ausbreitung der Delta-Variante des Virus in Großbritannien mit Sorge. Erst eine vollständige Impfung soll vor ihr schützen.

Die Zahl der Ansteckungen mit dem Coronavirus Sars-Cov-2 hat in Deutschland in dieser Woche den niedrigsten Wert seit acht Monaten erreicht. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete eine 7-Tage-Inzidenz von etwa 21 Fällen. Doch die Delta-Variante des Virus könnte die positive Entwicklung gefährden.

Die Variante B.1.617.2 wurde zuerst im indischen Bundesstaat Maharashtra gefunden und verbreitet sich dort und in anderen indischen Bundestaaten.

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Nach Angaben des britischen Gesundheitsministers Matt Hancock verdrängt die Delta-Variante in Großbritannien derzeit die zuerst dort nachgewiesene Alpha-Variante. Die Fallzahlen verdoppeln sich etwa alle acht Tage und 60 bis 70 Prozent der Sars-Cov-2-Positiven sind dort mittlerweile mit Delta infiziert. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg von Werten um 20 auf derzeit etwa 46 Ansteckungen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche. Die Anzahl der Krankenhauseinweisungen mit Covid-19 nimmt ähnlich schnell zu wie im vergangenen Herbst. Die Daten zeigen ein rund 2,5-fache erhöhtes Risiko für einen Klinikaufenthalt.

In Deutschland ist bislang keine starke Zunahme zu erkennen. Nach Angaben des RKI hat sich ihr Anteil am Infektionsgeschehen in der vergangenen Woche bei etwa zwei Prozent stabilisiert.

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Die Variante trägt ein verändertes Spike-Protein, mit dem sie bei der Infektion an menschliche Zellen andockt. Die Mutationen, die dafür verantwortlich sind, werden mit einer verminderten Wirksamkeit der Immunantwort und einer leichteren Übertragbarkeit in Verbindung gebracht. Sie sei mindestens 40 Prozent ansteckender, sagte Hancock. Zudem kann sie häufiger zu schwereren Covid-19-Erkrankungen führen. Vorläufige Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass derzeit verfügbare Impfungen weniger vor einer Infektion schützen als bei der Alpha-Variante.

Darauf deuten Labordaten des britischen Francis Crick Institute und des National Institute for Health Research, die im Fachjournal „Lancet“ veröffentlicht wurden. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass ältere Menschen weniger Antikörper haben und dass die Spiegel im Laufe der Zeit abnehmen. Die Forschenden plädieren dafür, den Dosisabstand zwischen den zwei Impfungen mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech zu verringern, da nach der ersten Dosis nicht so hohe Antikörperspiegel gegen die Delta-Variante erzeugt werden wie gegen die Alpha-Variante.

Wirksamer Schutz nach bekanntem Rezept

Die bislang nicht begutachteten Ergebnisse eines französischen Forschungsteams deuten darauf hin, dass die Fähigkeit zur Immunflucht der Variante ihre Verbreitung begünstigt. Die Forscher:innen haben untersucht, wie empfindlich B.1.617.2 auf künstliche und natürliche Antikörper reagiert. Die Empfindlichkeit lag in den Experimenten zwischen denen der Alpha- und der zuerst in Südafrika nachgewiesenen Beta-Variante. Antikörper aus dem Blut von Genesenen und von Geimpften, die den Pfizer/Biontech-Impfstoff erhalten hatten, waren drei- bis sechsfach weniger potent gegen Delta als gegen Alpha. Blutseren von Personen, die erst eine Dosis des AstraZeneca-Impfstoffs erhalten hatten, hemmten B.1.617.2 kaum.

In Deutschland haben mittlerweile mehr als 45 Prozent der Menschen mindestens eine Impfdosis erhalten. Man müsse aufpassen, dass die Menschen künftig nicht nachlässig würden und sich zum Beispiel die Zweitimpfung nicht mehr abholten, sagte Christian Drosten, Leiter der Virologie der Berliner Charité, am Dienstag im Podcast „Coronavirus-Update“ von NDR-Info. Eine Studie zeige keine Erhöhung der Infektionsrate durch Delta bei vollständig immunisierten Krankenhaus-Mitarbeiter:innen.

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Drosten rechnet damit, dass Delta auch in Deutschland bis Herbst „das Feld dominieren“ wird. Das Virus habe einen Fitnessvorteil bei Personen, die bisher nur einmal geimpft wurden. Daher sei so wichtig dafür zu sorgen, dass bis Herbst möglichst viele Erwachsene komplett geimpft sind. „Dann werden wir keine großen Probleme haben.“

Offen sei allerdings die Frage der Kinder. In Großbritannien ist laut Drosten in den geöffneten Schulen eine starke Zunahme an Ausbrüchen der Delta-Variante zu beobachten. Teilweise sei das familiäre Umfeld bisher nur einmal geimpft, hinzu komme die höhere Grundübertragbarkeit von Delta, was zu größeren Ausbrüche in den Klassen führe.

Die Variante sei nur mit zwei Dosen Impfstoff gut beherrschbar, twitterte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Es sei ein Glück, dass sie erst spät in Deutschland angekommen ist. „Ziel muss es sein, sie bis zur Herdenimmunität zu verhindern“, so Lauterbach weiter.

Gesundheitsexpertin Devi Sridhar von der Universität Edinburgh twitterte, dass die Strategie zur Beendigung der Pandemie die gleiche geblieben sei, wie schon im vergangenen Jahr: „Holt Euch zwei Impfstoffdosen, testet Euch regelmäßig, lüftet Räume, vermeidet Menschenansammlungen, geht nach draußen und genießt den Sonnenschein!“ (mit dpa)

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