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Die Zahl der Schmetterlinge ist stark zurückgegangen.

© Sebastian Gabsch

Ökologischer Kollaps: Was das Verschwinden der Insekten für uns bedeutet

Fachleute warnen vor einem katastrophalen Kollaps der Ökosysteme, Bürger wollen Insekten besser geschützt sehen. Ein Überblick über Problem und Lösungsansätze.

Fast die Hälfte der Insektenarten weltweit nehmen zahlenmäßig massiv ab. Dies geht aus einer neuen Studie hervor, die in der Fachzeitschrift „Biological Conservation“ veröffentlicht wurde. Die Verfasser warnen vor einem „katastrophalen Kollaps der natürlichen Ökosysteme“. In Bayern fand jetzt der Antrag auf ein Volksbegehren zum Insektenschutz massive Unterstützung in der Bevölkerung. Diese Initiative zielt auf Änderungen in der Naturschutzgesetzgebung ab. Doch wie groß ist das Problem tatsächlich - und was kann man tun?

Wie weit ist das Insektensterben schon fortgeschritten?

„Sterben“ ist eigentlich der falsche Begriff. Das Problem liegt darin, dass die Tiere darin gehindert sind, sich im bislang normalen Maße fortzupflanzen und erwachsen zu werden. Die Ursachen sind nicht bis ins letzte geklärt. Klar ist aber, dass der Verlust von Lebensräumen ebenso eine Rolle spielt wie Insektenvertilgungsmittel und andere Chemikalien sowie Krankheiten, die sich durch den globalen Handel verbreiten.

Tatsächlich gibt es fast überall auf der Welt messbare Rückgänge bei der Zahl der Insekten einerseits und bei Insektenarten andererseits. Der aktuellen Studie zufolge nimmt die Biomasse der Insekten derzeit jährlich um 2,5 Prozent ab.

Hierzulande für alle - oder zumindest für alle Autofahrerinnen und Autofahrer - im Wortsinne erfahrbar, ist der Rückgang durch das sogenannte „Windschutzscheibenphänomen“: Viel weniger Insekten als noch vor einigen Jahren finden ihr Ende an Kühlergrill und Frontscheibe von Kraftfahrzeugen.

Kritisiert wurde bisher immer, dass methodisch solide Studien zum tatsächlichen Ausmaß des Insektensterbens fehlen würden. Bezeichnend ist, dass eine der wichtigsten und meistzitierten Untersuchungen von Freizeitforschern stammt. Jene „Krefelder Studie“ fand - vor allem, aber nicht nur in naturnahen Gebieten nahe der Stadt am Niederrhein - teils dramatische Rückgänge einzelner Arten.

Am 7. und 8. November vergangenen Jahres trafen sich Insektenkundler in Bonn auf einer vom Bundesamt für Naturschutz organisierten Konferenz. Starke Rückgänge sind ihnen zufolge in allen bislang untersuchten Insektengruppen der Hautflügler, Fliegen, Käfer und Schmetterlinge in Schutzgebieten zu verzeichnen. Köcherfliegen, deren Larven sich im Wasser aus Erde, Holz, Steinchen und Sand teils skurrile Behausungen bauen, waren traurige Spitzenreiter. Bei 96 Prozent ihrer Arten stellten die Experten deutliche Rückgänge fest.

Welche Folgen hat das für Mensch und Umwelt?

Insekten sind nicht nur Bestäuber, also für die Fortpflanzung unzähliger Pflanzenarten unerlässlich. Sie spielen auch im Nahrungsnetz insgesamt eine überragende Rolle. So braucht etwa der überwiegende Teil der Vogelarten für sich oder zumindest für den Nachwuchs Protein von Insekten und Insektenlarven.

Es ist also nicht überraschend, dass parallel zum Insektenrückgang in den vergangenen Jahren auch die Zahl der Vogel-Brutpaare in Deutschland deutlich gesunken ist. Insgesamt werden ökologische Gleichgewichte massiv beeinträchtigt, was auch auf den ersten Blick widersinnig erscheinende Folgen haben kann: So kann es etwa zu Stechmückenplagen – also sogar einem Überangebot bestimmter Insekten - kommen, weil aufgrund des generellen Insektenmangels Schwalben oder Mauersegler sich nicht ausreichend fortpflanzen und dann auch nicht ausreichend Mücken vertilgen können. Auch zahlreiche andere Tiergruppen ernähren sich zumindest teilweise von Insekten und deren Larven – von Wespen und Libellen über Fische und Lurche bis hin zu vielen Säugetieren.

Insekten spielen auch eine wichtige Rolle im Stoffkreislauf. Viele von ihnen nutzen tote tierische und pflanzliche Biomasse als Nahrung, tragen also dazu bei, dass die Böden fruchtbar bleiben und helfen, Abfall zu beseitigen. Zudem sind Mitglieder dieser Tierklasse in vielen Gegenden der Welt auch ein wichtiger und im Vergleich zu etwa Rind und Schwein ökologisch und ökonomisch sinnvoller Proteinlieferant für Menschen.

Welche Rolle spielt die Landwirtschaft?

Eine der Ironien im Kontext des Insektensterbens ist, dass genau der Bereich der Wirtschaft, der sie am meisten braucht - die Landwirtschaft – wahrscheinlich die Hauptschuld trägt. Intensiver Ackerbau und Viehzucht minimieren die Artenvielfalt auf riesigen Flächen schon allein deshalb, weil dort nur wenige Pflanzenarten wachsen, und diese den meisten Insekten keine Nahrung bieten. Zudem häufen sich die Hinweise, dass moderne Agrochemie Mitglieder dieser Tiergruppe stark schädigen kann.

Dabei sind Insekten für die Landwirtschaft wichtig als Bestäuber, auch wenn es viele Feldfrüchte wie etwa Kartoffeln gibt, die - wenn es nicht um Züchtung geht - ohne sie auskommen. Tatsächlich sind mittlerweile in vielen Gegenden die natürlich vorkommenden Bestäuber – das können Honigbienen, Wildbienen, Käfer, Schmetterlinge, Nachtfalter und auch noch Angehörige anderer Untergruppen sein – so rar geworden, dass die Landwirte teils massiv nachhelfen müssen.

In den USA etwa ist das der Blütezeit folgende landesweite Herumkarren von Millionen Völkern Honigbienen, etwa zu kalifonischen Mandelplantagen, ein Milliardengeschäft. In Südamerika bestäuben die Bauern ihre Maracuja-Pflanzen mittlerweile oft per Hand, weil die Holzbienen, die dies normalerweise übernehmen, fehlen. In Deutschland haben ein paar Insektenexperten, für die es in der Forschung keine Jobs gab (siehe unten), sich mit der Vermehrung von Wildbienen lukrative Existenzen aufgebaut. Sie verkaufen Kokons mit Larven dieser sehr effektiven Bestäuber vor allem an Obstbauern. Die Bedeutung der Insekten für die Landwirtschaft geht aber weit über die Bestäubung hinaus. Viele Arten sind etwa natürliche Feinde von Schädlingen oder tragen zur Lockerung und Nährstoffanreicherung des Bodens bei.

Was kann man tun?

Am Anfang von wirkungsvollen Maßnahmen gegen das Insektensterben muss mehr gezielte Forschung stehen. Denn bislang sind wichtige Fragen ungeklärt. Dazu gehören die, wie genau bestimmte Chemikalien auf Insekten wirken, oder auch, warum das Insektensterben offensichtlich auch vor Gebieten nicht haltmacht, die Schutzstatus genießen.

Schon hier gibt es ein großes Problem, denn Insektenforschung und Insektenökologie wurde weltweit und speziell in Deutschland an Universitäten in den vergangenen Jahrzehnten stark eingeschränkt. Das führt auch dazu, dass auch die Insektenexperten „aussterben“. Politische Förderung der Ausbildung von Fachleuten und Zusicherung von beruflichen Perspektiven für diese wäre ein wichtiger Faktor.

Um dem entgegen zu arbeiten, unternehme ich selbst etwas gegen das Artensterben - pflanze nur noch Grünzeug, das [...] als Futterpflanze oder Lebensraum in Frage kommt. Eigentlich ist es einfach: Wenn sich die Vielen hier nur etwas engagierten, könnten wir Großes für die Umwelt erreichen.

schreibt NutzerIn Manni2

Ansonsten gilt als sicher, dass trotz der Verluste auch in naturnahen Gebieten Schutz und Ausweitung von Lebensräumen wichtig sein werden. Zudem sollte der Einsatz bestimmter Chemikalien in der Landwirtschaft stärker reguliert werden. Auch hier ist aber noch viel Forschung notwendig, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Eine landwirtschaftliche Praxis, die mit weniger oder ohne Pestizide auskommt, an lokale Gegebenheiten angepasst ist und trotzdem die notwendigen Erträge bringt, muss das Ziel sein. Generelle Verbote aller verdächtigen Insektizide und anderen Pestizide ist nicht sinnvoll, da dies zu massiven Ernteausfällen und vor allem in ärmeren Ländern zu unzumutbaren Lebensmittelpreisen - und damit Hunger - führen könnte.

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