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Die 21 Knochen des am besten erhaltenen Teilskeletts eines männlichen Danuvius guggenmosi wurden in einem Bachlauf der Tongrube „Hammerschmiede“ im Unterallgäu entdeckt.

© Christoph Jäckle/Nature/dpa

Nur Affen im Allgäu: Stammt der Mensch in Wahrheit aus Deutschland?

Aufrecht stehen zu können, das ist für einen Affen durchaus bemerkenswert. Allein, zum Menschsein reicht es nicht. Ein Kommentar.

Die „Wiege der Menschheit“ – stand sie gar nicht in Afrika, sondern in Europa, gar im Allgäu? Diese Frage geistert in diesen Tagen durch die Medien, seit das Fachmagazin „Nature“ den Fund der Überreste einer Affenart bekannt gegeben hatte, die vor 12 Millionen Jahren gelebt und offenbar zum aufrechten Gang befähigt war. Also mindestens fünf Millionen Jahre bevor in Afrika die ersten Affen auf zwei Beinen wankten.

Panikrocker Udo Lindenberg, nach dem die Tübinger Forscherin Madelaine Böhme eines der von ihr entdeckten Affenfossile benannt hatte, zeigte sich begeistert: „Ich war schon immer ein Freund des aufrechten Gangs“, sagte der Sänger dem Radiosender „Gong“.

Patriotische Töne über die Heimholung der Menscheitswiege nach Deutschland waren von dem Liedermacher indes nicht zu hören. Und das ist gut so, denn wissenschaftlich ist das bestenfalls eine steile Hypothese, für die bislang nicht viel spricht, auch nicht die genaue Untersuchung der Knochen aus der Tongrube „Hammerschmiede“ bei Pforzen.

Denn bei der Frage nach dem Ursprung der Menschheit geht es nicht allein um Orte und Zeitpunkte in der Evolution, an denen sich die Merkmale ausprägten, die letztlich zu Homo sapiens führten. Vielmehr wirft die Frage das Problem auf, was unter „Menschsein“ im Kontext der Menschwerdung zu verstehen ist: Was macht einen Affen zum Menschen? Und wie sehr machen wir uns zum Affen, wenn wir eine zwölf Millionen Jahre alte Art nur deshalb in unsere Ahnenreihe einordnen, weil sie ab und an mal senkrecht stehen konnte?

Der aufrechte Gang – eine wacklige Angelegenheit

Ohne Frage ist der aufrechte Gang eine wichtige Komponente in der menschlichen Evolution. Die Fortbewegung auf zwei Beinen befreite die Hände – die Grundvoraussetzung, um etwa Werkzeuge herstellen und benutzen und die Kreativität eines stetig wachsenden Gehirns auch umsetzen zu können.

Womöglich war das aufrechte Gehen und Rennen und die Fähigkeit zu energiesparenden Langstreckenläufen sogar ein wichtiger Überlebensvorteil. Etwa um Beutetiere zu Tode hetzen zu können – so eine Theorie des Evolutionsbiologen Daniel Liebermann von der Harvard University.

Auf jeden Fall muss es einen bedeutenden, Überlebensvorteile verschaffenden Grund gegeben haben für den umfassenden Umbau des Skeletts, der für aufrechtes Gehen nötig ist. Die Wirbelsäule, bei Vierbeinern relativ gerade, muss in der aufrechten Position eine S-Form einnehmen, um Stöße abzufangen.

Das Becken muss schaufelförmiger werden, um die nun darüber liegenden Eingeweide aufzufangen. Und die Knochen in Beinen und Füßen müssen mehr Gewicht tragen und statt ans Ästegreifen und Hangeln ans Stehen und Laufen angepasst sein. Einen Teil dieser Umbauten hatte „Udo“, wissenschaftlich Danuvius guggenmosi genannt, tatsächlich vollzogen. Zwar hatte er noch einen Fuß, der zugreifen und sich an Ästen festhalten konnte, doch das senkrecht darüber stehende Schienbein ermöglichte wenigstens zeitweilige Zweibeinigkeit.

Das ist erstaunlich, weil die Entwicklung des aufrechten Gangs bisher bestenfalls vor sechs bis sieben Millionen Jahren datiert und in Afrika lokalisiert wird, obwohl die Funde von Sahelanthropus tchadensis, der zu dieser Zeit in der Sahelzone gelebt hatte, eher als dürftig zu bezeichnen sind.

Wirklich gute Belege für aufrechtes Laufen finden sich erst bei Ardipithecinen vor 4,4 Millionen Jahren und eindeutige bei den etwa drei Millionen Jahre alten Australopithecinen – darunter das „Lucy“-Exemplar, das nach dem Beatles-Song „Lucy in the Sky with Diamonds“ benannt ist. Diese Spezies lebte in Afrika und zu einer Zeit, die der bisherigen Terminierung der Menschwerdung – vor etwa zwei Millionen Jahren – deutlich näher ist.

Ob "Udo" mit Udo in einer Abstammungslinie steht, ist offen

Könnten die Nachfahren von „Udo“ aus Europa nach Afrika ausgewandert sein und den aufrechten Gang mitgebracht haben? Gab es in den Jahrmillionen zwischen „Udo“ und „Lucy“ ein Kontinente überspannendes Kontinuum von zumindest zeitweise aufrecht gehenden Affen-Spezies, von denen dann die eine oder andere in Afrika zur Entwicklung von Homo erectus, dem ersten aufrecht gehenden Homininen führte, dem Vorfahr von Homo sapiens?

Denkbar ist das. Allein, die Belege dafür fehlen. Und solange wäre es vermessen, die Wiege der Menschheit im Allgäu zu verorten. Zumal der aufrechte Gang allein eben nicht zum Menschsein ausreicht. So deutet die Rekonstruktion des Schädels von „Udo“ nicht auf besondere Hirnleistungen hin. Auch Hinweise, dass Danuvius guggenmosi Werkzeuge benutzt hätte, sind nicht gefunden worden. Für Mutmaßungen, „Udo“ stünde in einer Abstammungslinie mit Udo, gibt es also keinen Anlass.

Eines aber zeigt der Fund im Allgäu überdeutlich: Die Anthropologie braucht mehr Zurückhaltung. Das Bild der Menschwerdung zu rekonstruieren, ist ein Puzzle aus Tausenden von Teilen, von denen Forscher bisher vielleicht eine Handvoll gefunden haben. Wer immer meint, anhand dessen den Stammbaum von Homo sapiens erkennen zu können, erhebt sich über die Fakten.

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