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Regenwürmer im Boden beeinflussen auch die Flora und Fauna auf der Oberfläche.

© V. Gutekunst

Nützlich nur im richtigen Ökosystem: Fremde Regenwürmer verdrängen Insektenarten

Vor Kolumbus gab es in Kanada keine Regenwürmer. Doch jetzt machen aus Europa eingeschleppte den Insekten und anderen Arten des Waldes das Überleben schwer.

In vielen Teilen der Welt gehören Regenwürmer zu den wichtigsten Bodenbewohnern. Denn beim Durchwühlen der Erde verdauen die zu den Ringelwürmern gehördenden Lumbricidae Pflanzenreste und verteilen mit ihren Ausscheidungen wichtige Nährstoffe, von denen viele Pflanzen- und Tierarten profitieren.

Das gilt aber nicht für jene Teile Nordamerikas, die lange Zeit von Eis bedeckt waren, denn dort fehlten Regenwürmer lange Zeit, bis Europäer sie wieder einschleppten. Doch das Gewühle der Importwürmer erweist sich dort alles andere als nützlich, sondern gefährdet bestimmte Pflanzen- und sogar Insektenarten, haben Forscherinnen und Forscher jetzt entdeckt.

Auch ein Nützling kann - am falschen Ort - zum Schädling werden

In Europa wühlen sich pro Quadratmeter etwa 150 Regenwürmer durch den Boden. Jeder einzelne frisst dabei etwa das Doppelte seines eigenen Gewichts an Erde und Pflanzenresten, Tag für Tag. Übrig bleibt ein aufgelockerter Boden voller Wurmkot, der reich an lebenswichtigen stickstoff- und phosphorhaltigen Nährstoffen ist, die Pflanzen über ihre Wurzeln aufnehmen können.

Als in den Eiszeiten der letzten drei Millionen Jahre die nördlichen Regionen Europas und Nordamerikas unter einem Eispanzer verschwanden, verschwanden dort auch die natürlichen Bodenverbesserer. In Europa kamen sie mit Hilfe des Menschen rasch zurück: „Die ersten Bauern brachten wohl mit ihren Pflanzen neue Regenwürmer in die Böden des einst vom Eis bedeckten nördlichen Mitteleuropas zurück“, sagt Stefan Scheu, Boden-Ökologe an der Universität in Göttingen.

In den nördlichen Regionen Nordamerikas jedoch lebten die Menschen bis zur Ankunft der ersten Europäer als Jäger und Sammler, weshalb die vom Eis befreiten Gebiete dort frei von Regenwürmern blieben. Stattdessen übernahmen Springschwänze und andere Organismen das Zerkleinern von Laub und sonstigen pflanzlichen oder tierischen Überbleibseln und das Verteilen dieser Nährstoffe im Boden. Ein fein aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel von Pflanzen- und Tierarten entwickelte sich.

Mit einem speziellen "Staubsauger" sammelt Biologe Malte Jochum Insekten und andere Tiere aus einem definierten Testareal ein, um die Auswirkungen eingeschleppter Regenwürmern aufs Ökosystem Kanadas zu studieren.
Mit einem speziellen "Staubsauger" sammelt Biologe Malte Jochum Insekten und andere Tiere aus einem definierten Testareal ein, um die Auswirkungen eingeschleppter Regenwürmern aufs Ökosystem Kanadas zu studieren.

© R. Zeiss

Als dann, eingeschleppt mit den Pflanzen der Europäer, die Regenwürmer wieder auftauchten, störten sie das empfindliche Ökosystem. So transportierte etwa deren Gewühle die Samen vieler Kräuter viel tiefer in den Boden als zuvor, so dass die Keimlinge, die jahrtausendelang nur kurze Wege zum Licht hatten, nicht mehr an die Oberfläche gelangen. Tatsächlich verschwanden nach der Invasion der Regenwürmer aus vielen Wäldern Nordamerikas die Kräuter im Unterwuchs.

18 Prozent weniger Arten in Gegenden Kanadas, wo Regenwürmer im Boden leben

Ob das auch die Insekten, Spinnen und andere über dem Boden leben Arten betrifft, haben die Biologen Malte Jochum und Nico Eisenhauer vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Universität Leipzig gemeinsam mit ihrem Team aus Deutschland und Kanada jetzt westlich von Calgary in einem Wald an den Hängen der Rocky Mountains untersucht.

In Gebieten mit sehr vielen Regenwürmern fingen sie 61 Prozent weniger Insekten und andere Gliederfüßer als in vergleichbaren Arealen ohne Ringelwürmer. Ihre Messungen ergaben 27 Prozent weniger Biomasse aus Insekten, Spinnen und Co. und 18 Prozent weniger Arten.

Die Ursachen dieser massiven Veränderungen will das Team noch genauer untersuchen. Da viele Insekten Pflanzenfresser sind und sich mitunter sogar auf einzelne Pflanzenarten spezialisieren, könnte das Verschwinden der Kräuter eine wichtige Rolle spielen, vermuten die Forschenden im Fachblatt „Biology Letters“. Da Regenwürmer Laub und anderes totes Pflanzenmaterial unter die Erde transportieren und es dort vertilgen, könnten sie auch auf dem Boden lebenden Käfern und Fliegenlarven die lebensnotwendige Nahrung entziehen. Aufgefallen ist den iDiv-Forschern jedenfalls, dass über den Regenwurm-Böden vor allem pflanzenfressende Arten verschwanden, während räuberische Insekten- und Spinnen-Spezies sogar zunahmen.

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