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Durchgewirbelt: Meeresströmungen im Nordatlantik bilden ein komplexes Muster. Als Folge der aktuellen Erwärmung verliert ein Antrieb, der Temperaturunterschied zwischen Pol und Äquator, derzeit messbar an Kraft.

© Nasa

Nobelpreis für Physik geht auch an einen Deutschen: Die Klimaversteher

Mal Eis und Sturm, mal Hitze und Windstille. Und morgen ist es schon wieder anders. Dennoch finden Forscher Muster im Chaos und entwickeln Klimamodelle.

Gemessen am Tempo gesellschaftlicher Debatten, ist der Physiknobelpreis eher behäbig. Aktuelle Ereignisse spielen bei der Vergabe selten eine Rolle. Anders in diesem Jahr. Das Komitee lenkt mit der höchsten Ehrung im Fach Physik den Blick auf den fortschreitenden Klimawandel und die Erkenntnis, dass dieser eindeutig auf Treibhausgasemissionen der Menschheit zurückzuführen ist. Sie ist damit auch ein politisches Statement.

„Es ist es ermutigend zu sehen, dass der Physiknobelpreis die Arbeit von Wissenschaftlern würdigt, die so viel zu unserem Verständnis des Klimawandels beigetragen haben“, sagt der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC Hoesung Lee. Syukuro Manabe und Klaus Hasselmann haben auch als Autoren zu früheren Berichten des IPCC beigetragen.

Syukuro Manabe, Klaus Hasselmann und Giorgio Parisi bekommen den Preis „für ihre bahnbrechend Beiträge für unser Verständnis komplexer physikalischer Systeme“. Wetter und Klima sind das unbedingt. Die Parameter sind schnell zusammengetragen: Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Wind, dazu noch Wolken und Sonnenschein.

Und doch ist es eine Wissenschaft für sich, das Zusammenspiel dieser Parameter zu verstehen und Prognosen zu erstellen, wie das Wetter in den nächsten Tagen sein wird, oder in den nächsten Jahrzehnten, wenn die Emissionen weiter steigen.

Klaus Hasselmann wurde am Dienstag am Max Planck Institut in Hamburg von vielen Kolleginnen und Kollegen beglückwünscht.
Klaus Hasselmann wurde am Dienstag am Max Planck Institut in Hamburg von vielen Kolleginnen und Kollegen beglückwünscht.

© REUTERS/Fabian Bimmer

Heutige Modelle können das gut – bemessen an ihrer Fähigkeit die bekannte Klimavergangenheit abzubilden. Doch in den Anfangszeiten der Modellierung waren zum einen die Computer fürchterlich langsam und zum anderen die Algorithmen wenig ausgefeilt. Das war aber nicht unbedingt eine Schwäche. „Du musst die Dinge vereinfachen“, lautete das Credo Manabes. „Du kannst es nicht mit der Komplexität der Natur aufnehmen; bereits in einem einzelnen Regentropfen steckt so viel Physik, dass es niemals möglich sein wird, alles zu berechnen.“

Das Komplexe vereinfachen

Manabe gelang das Vereinfachen sehr gut. Bereits in den 1960er Jahren entwickelte er, damals für den US-Wetterdienst tätig, Computermodelle, die Klimaänderungen abbilden konnten. Als erster Wissenschaftler erforschte er, wie die Strahlungsbilanz der Erde – wieviel Sonnenstrahlung bei uns ankommt und wieviel wieder ins Weltall abgegeben wird – und senkrechte Luftbewegungen in der Erdatmosphäre zusammenwirken.

[Lesen Sie hier ein Kurzporträt von Klaus Hasselmann, Physik-Nobelpreisträger 2021]

Mitte der 1970er Jahre verwendete der Forscher ein einfaches Computermodell für eine grundlegende Klimaprojektion. Er berechnete, dass die durchschnittliche Temperatur an der Erdoberfläche um 2,4 Grad Celsius steigt, wenn der Kohlendioxid-Gehalt der Erdatmosphäre von 280 ppm (Teile pro Million Teile) auf 560 ppm verdoppelt wird. Diese als Klimasensitivität bezeichnete Kennzahl ist der Richtwert für die Wirkung freigesetzter Treibhausgase auf das Klima der Erde.

Spätere Modellrechnungen ergaben höhere Werte von 3,5 bis 3,9 Grad Celsius. Bemerkenswert ist, wie richtig Manabe schon so früh lag. Die Spanne der erwarteten Werte wurde in den folgenden Jahrzehnten breiter, je mehr Faktoren im komplexen Klimasystem erkannt und einberechnet wurden. Erst mit dem jüngsten Bericht des Weltklimarats sind drei Grad Celsius als zentrale Schätzung und eine wahrscheinliche Spanne von 2,5 bis vier Grad Celsius als Stand der Forschung akzeptiert. Manabe ist Wegbereiter dieser Erkenntnis.

Auf dem Weg zur Verdopplung des Kohlendioxidgehaltes der Atmosphäre ist die Menschheit weit fortgeschritten. Er liegt heute bei über 410 ppm – der höchste Wert seit 800 000 Jahren.

Klima ist Wetter im Durchschnitt der Jahrzehnte und Jahrtausende

„Ein Nobelpreis für die zuverlässige Vorhersage der Erderwärmung ist eine großartige Nachricht für alle Klimaforscher“, sagte Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung dem Tagesspiegel. Doch lieber als das Eintreten ihrer Prognosen würden Klimaforscher es erleben, dass die Politik endlich danach handeln würde. Rahmstorf erinnert an Sherwood Rowland, der 1995 für die Entdeckung des Ozonlochs den Nobelpreis erhielt und damals sagte: „Was nutzt es eine Wissenschaft zu entwickeln, die in der Lage ist Vorhersagen zu treffen, wenn wir am Ende nur bereit sind herumzustehen und zu warten, bis sie eintreffen?“

Syukuro Manabe von der Princeton University in den USA hat die Grundlagen für die Modellierung des Erdklimas und damit des Klimawandels gelegt.
Syukuro Manabe von der Princeton University in den USA hat die Grundlagen für die Modellierung des Erdklimas und damit des Klimawandels gelegt.

© Seth Wenig/AP/dpa

Die Klimamodellierung zeigt immer deutlicher, wie sich der steigende CO2-Gehalt auf das Erdklima auswirken wird. Großen Anteil daran hat der ebenfalls ausgezeichnete Klaus Hasselmann. Er verknüpfte Wetter und Klima, die auf den ersten Blick schwer zusammenpassen. Das Wetter ist der aktuelle Zustand der Atmosphäre, mit 15 Grad und Nieselregen in Berlin oder 28 Grad und Wolken in Singapur. Schon in einer halben Stunde kann sich das spürbar ändern, erst recht über Tage und Wochen. Große Luftmassen können buchstäblich „anderes Wetter“ bringen mit Temperaturstürzen und Gewittergüssen. Klima hingegen ist der langjährige Durchschnitt aller Wetterparamenter über 20 oder 30 Jahre.

Eine häufige Frage an Klimaforscher lautet daher: Wie wollt ihr langfristige Aussagen treffen, wenn es schon unmöglich ist, über mehr als zwei Wochen das Wetter vorherzusagen? Trotz aller Daten von Satelliten und Messstationen, komplexer Algorithmen und dem Wissen, dass kleine Abweichungen einzelner Parameter zu erheblich anderen Resultaten führen?

Fluten, wie sie an der Ahr in Rheinland-Pfalz seit Jahrhunderten nicht vorkamen, werden im Klimawandel häufiger werden. Wo genau sie auftreten werden, können jedoch die besten Modellierungen nicht vorhersagen.
Fluten, wie sie an der Ahr in Rheinland-Pfalz seit Jahrhunderten nicht vorkamen, werden im Klimawandel häufiger werden. Wo genau sie auftreten werden, können jedoch die besten Modellierungen nicht vorhersagen.

© Boris Roessler/dpa

Auf den Hund gekommen

Die Antwort ist untrennbar mit Klaus Hasselmann verbunden. Um 1980 zeigte er, dass das unstete Wetter als ein sich „schnell änderndes Rauschen“ beschrieben und sehr wohl in Klimamodelle integriert werden kann. Dazu stelle man sich einen Spaziergang mit Hund vor. Das Tier springt aufgeregt um die Beine, flitzt vor und zurück, springt zur Seite. Seine Spur mit den abrupten Änderungen gleicht dem Wetter. Sie vorherzusagen ist schwierig. Aber den Kurs und die Geschwindigkeit seines Herrchens – sinnbildlich für das Klima – kann man erkennen und relativ sicher sagen, in welche Richtung er sich künftig bewegen wird. Diese „random walk“-Theorie ist maßgeblich für Hasselmanns Arbeiten.

Der Italienische Physiker Giorgio Parisi feiert am Dienstag seinen Nobelpreis.
Der Italienische Physiker Giorgio Parisi feiert am Dienstag seinen Nobelpreis.

© dpa/Zuma/La Presse/Cecilia Fabianoa

Indem er Modelle, Beobachtungen und Erwartungen aus der Theorie zusammenbrachte, konnte er auch die Fingerabdrücke des Menschen im Klimasystem sichtbar machen. Hier hinterlässt etwa die Sonnenaktivität eindeutige Spuren oder der Vulkanismus. Seit Jahrzehnten ist die Temperaturentwicklung der Erde aber nicht mehr ohne die menschlichen Aktivitäten zu erklären, die große Mengen Treibhausgase freisetzen. „Wir können nicht mehr sagen, wir hätten es nicht gewusst“, teilt das Nobelpreiskomitee mit. „Die Klimamodelle sind eindeutig.“

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Der dritte Preisträger, Giorgio Parisi, hat eher wenig mit Klimaforschung zu tun. Beim Nobelpreis für die Erforschung komplexer Systeme darf er nach Ansicht des Gremiums nicht fehlen.

In den 1970er Jahren forschte er an Spinglas. Der Name geht zurück auf den Spin: ein magnetisches Moment, das etwa Eisenatome haben. Man kann sich diese vorstellen wie winzige Kompassnadeln. Im Idealfall sind alle gleich ausgerichtet. Es gibt aber auch chaotische Anordnungen, wo die Nadeln in alle erdenklichen Richtungen weisen. So ungeordnet wie die Atome in einem Glas, daher „Spinglas“.

Parisi entdeckte verborgene Muster in solchen ungeordneten Materialien. Er trug damit entscheidend zur Theorie komplexer Systeme bei, begründet die Jury. Dies erlaube es, verschiedenste scheinbar zufällige Materialien und Prozesse zu verstehen und zu beschreiben, in der Physik sowie in Biologie, Neurowissenschaften und Maschinellem Lernen.

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