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Diese elektronenmikroskopische Aufnahme eines Hepatitis-C-Virus wurde im Jahr 2016 als erstes Bild des Erregers von Forschenden des französischen Nationalen Instituts für Gesundheit und medizinische Forschung (Inserm) veröffentlicht.

© BMJ/British Society of Gastroenterology 2016

Nobelpreis für Hepatitis-Forschung: Auch eine Stellvertreter-Ehrung

Im Jahr von Sars-CoV-2 ein Preis für jahrzehntelange virologische Arbeit: Die Botschaft ist nicht besonders subtil. Aber richtig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Richard Friebe

Der Medizin-Nobelpreis geht 2020 an drei Virologen. Aber er hat nichts mit Sars-CoV-2 zu tun. Zumindest nicht vordergründig.

Man bleibt sich damit in Stockholm in der Devise treu, den letzten Willen des Preisstifters Alfred Nobel konsequent zu ignorieren. Der hatte verfügt, jeweils die größten Leistungen zu würdigen, die „im vergangenen Jahr“ erbracht wurden.

Man kann sich zwar über die Definition von „vergangenes Jahr“ streiten. Nobel selbst wusste nicht, dass seine Preise im Oktober verkündet und jeweils am 10. Dezember vergeben werden. Der 10. Dezember ist sein Todestag. Aber die Forschung zu Hepatitis C, die jetzt prämiert wird, hat auch nicht 2019 stattgefunden, sondern vor Jahrzehnten.

Das Gremium am Karolinska-Institut schreibt aber auch eine andere Tradition der Preise fort: die Auszeichnungen in mehr oder minder subtiler Art hin und wieder auch zum Teil stellvertretend zu vergeben. In diesem Jahr für Virologen und die Erforschung und Therapie einer infektiösen Krankheit, die Millionen betrifft und die tödlich ausgehen kann. Im Jahr von Covid-19 fällt es schwer, die Botschaft dahinter nicht zu erkennen.

Der Nobelpreis geht an Virus-Forscher - solche, bei denen man schon weiß, dass und wie ihre Arbeit geholfen hat, einem Erreger zumindest zum Teil den Schrecken zu nehmen.

Vergangene Versäumnisse

In früheren Jahren waren solche Stellvertreter-Preise aus Stockholm und Oslo - in allen Kategorien - teilweise eher traurige Dokumente eines dann doch zu langen Wartens. Denn einige derer, die die Ehre verdient gehabt hätten, waren dann oft bereits verstorben. 2018 etwa wäre der Niederländer Pim Stemmer in Chemie ein Kandidat gewesen, der aber 2013 einer schweren Krankheit erlegen war.

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Auch den Literatur-Preis für den schwedischen Poeten Thomas Transtömer 2011 werteten nicht wenige Experten als einen, der sonst möglicherweise an seine dänische Dichter-Kollegin Inger Christenden gegangen wäre, die aber 2009 verstorben war.

Beim Friedensnobelpreis für den Dalai Lama 1989 sagte der Sprecher des Komitees sogar offiziell, dass dieser die Auszeichnung auch in Erinnerung an Mahatma Gandhi bekomme. 1948, in Gandhis Todesjahr, hatte das Komitee gar keinen Preis vergeben - „aus Mangel an geeigneten Kandidaten“.

Von der Grundlagenforschung zur Anwendung

Die Entscheidung für den Medizinpreis dieses Jahr ist gut. Sie ehrt Forscher, die völlig unabhängig von der derzeitigen Situation jahrzehntelang preiswürdig an ihrem virologischen Thema gearbeitet haben. Sie ehrt zwar nicht alle Forscherinnen und Forscher, die für den Preis infrage gekommen wären, aber musste auch keinen zwingenden Kandidaten übergehen, weil er oder sie schon verstorben wäre.

Sie ehrt auch Forscher, deren Grundlagenforschung in Wortsinne die Grundlage der Rettung ungezählter Leben und der Vermeidung unbezifferbaren Leides war und ist. Allein die Tatsache, dass diese Arbeiten es letztlich auch ermöglichten zu garantieren, dass Blutkonserven Hepatitis-C-frei sind, hat Millionen vor Krankheit und Tod bewahrt. Dazu kommen die mittlerweile verfügbaren Therapien.

Gute Forschung braucht Zeit

Die Auszeichnung impliziert auch, dass Forschung nie abgeschlossen ist. Die Herausforderungen von Hepatitis-C als weltweite Gesundheitsgefahr sind trotz aller Erfolge weiterhin enorm. Und eine Impfung ist nach wie vor nicht verfügbar.

Der Preis dieses Jahr ist damit eben auch ein wenig versteckter Hinweis darauf, dass gute medizinische Forschung ihre Zeit braucht und nicht beliebig beschleunigt werden kann.

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