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Komplexes Genie. Bereits zwischen 1910 und 1918 wurde Einstein zwanzigmal für den Nobelpreis vorgeschlagen. Den Preis erhielt er schließlich 1922 rückwirkend für das Jahr 1921, da damals die Juroren von seiner Physik überfordert waren.

© dpa

Nicht für die Relativitätstheorie, nicht vor 100 Jahren: Die verzwickte Geschichte des Nobelpreises 1921 für Albert Einstein

Ein Jubiläum, das keines ist. Ein Laureat, der nicht kommt. Ein deutsch-eidgenössischer Streit - und ein Genie in einem verwilderten Garten in Spandau.

An dem Geige spielenden Physiker, der den Nobelpreis für das Jahr 1921 erhielt, kamen die Juroren in Stockholm nicht vorbei. Trotz seiner abstrakten Theorie, die von gekrümmten Lichtstrahlen und vom unterschiedlich schnellen Ticken bewegter Uhren handelte, war er so oft für den Nobelpreis vorgeschlagen worden wie kein anderer.

In London, New York und Paris jubelte man ihm zu. Das allgemeine Publikum und das Gros der Fachkollegen sahen in ihm einen Fixstern erster Größe am Forscherhimmel: Albert Einstein.

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In dieser Woche werden die Nobelpreisträger des Jahres 2021 verliehen. Doch gerade Einsteins Beispiel zeigt, dass gerade die höchste wissenschaftliche Auszeichnung für viele der Beteiligten auch höchst problematisch sein kann.

Erwarteter Preis

Einstein „musste“ den Nobelpreis erhalten. Allerdings konnte sich das Nobel-Komitee nicht dazu durchringen, ihn für seine Relativitätstheorie auszuzeichnen. Zur feierlichen Preisverleihung nach Stockholm fuhr er nicht, und auch die Freude über das hohe Preisgeld hielt sich in Grenzen. Schon Jahre zuvor hatte Einstein seiner geschiedenen Frau Mileva Maric den vollen Betrag nämlich notariell übereignet. Mit dem Nobelpreis hatte er fest gerechnet – nicht aber damit, dass er sich mit der höchsten Ehrung eine zweite, unliebsame Staatsbürgerschaft einhandeln würde: Plötzlich bestand man in Berlin darauf, er sei kein Schweizer, sondern Preuße.

Während des Ersten Weltkriegs hätte mancher Preuße den überzeugten Pazifisten und Demokraten jüdischer Herkunft gerne in die Alpenrepublik verbannt. Max Planck und andere deutsche Forscher wussten um sein Genie. Planck tat alles dafür, „den neuen Kopernikus“ in Berlin zu halten.

1921 und doch nicht 1921

Einsteins wachsende Berühmtheit lässt sich an der Zahl seiner Nominierungen für den Nobelpreis ablesen. Auf der Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten holte das Nobel-Komitee traditionell den Rat internationaler Koryphäen ein. Bereits zwischen 1910 und 1918 wurde Einstein zwanzigmal für den Preis vorgeschlagen, vor allem von deutschen Physikern.

In den Jahren 1919 bis 1922 sprachen sich dann 44 Wissenschaftler für ihn aus. Seine Fürsprecher kamen nun vorrangig aus Frankreich, den Niederlanden oder Großbritannien. Zum Vergleich: Auf die Physik-Nobelpreisträger der Jahre 1919, Johannes Stark, und 1920, Charles Édouard Guillaume, entfiel im Jahr ihrer Auszeichnung jeweils nur eine einzige Nominierung. Einstein wurde der Preis schließlich 1922 rückwirkend für das Jahr 1921 zuerkannt, in welchem die Sitzung der mit seiner Physik überforderten Juroren ohne Ergebnis geblieben war.

Nobelpreis 2020 im Live-Stream: Verfolgen Sie hier die Vergabe des Medizinnobelpreises
Eine Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel ist im Nobel Museum zu sehen.

© Kay Nietfeld/dpa

Den großen internationalen Zuspruch hatte Einstein nicht zuletzt dem britischen Astrophysiker Arthur Stanley Eddington zu verdanken. Mit Rückendeckung der Universität Cambridge hatte Eddington mitten im Krieg eine Forschungsexpedition vorbereitet. Zwei Teams sollten, mit Teleskopen und fotografischen Platten ausgerüstet, zur Beobachtung der nächsten Sonnenfinsternis nach Brasilien und in den Golf von Guinea reisen.

Licht und Finsternis

Einstein hatte vorhergesagt, dass Lichtstrahlen, die von den Sternen zu uns gelangen, in Gravitationsfeldern wie dem der Sonne vom Kurs abgelenkt würden. Die Finsternis im Mai 1919 bot die Gelegenheit, diese These zu prüfen. Denn während der Verdunklung würden die hellsten Sterne in der Nähe der Sonne sichtbar werden, sodass man ihre Positionen festhalten konnte. Der Vergleich mit Aufnahmen desselben Sternenfeldes bei Nacht könnte es dann ermöglichen, die von Einstein prognostizierte geringfügige Verschiebung der Sterne am Himmel zu messen.

Zwar war die Witterung den Forschungsreisenden nicht gewogen. Trotzdem betrachtete Eddington die Ergebnisse als entscheidende Stütze der Allgemeinen Relativitätstheorie. Als derjenige, der Newtons Weltbild aus den Angeln gehoben hatte, geriet Einstein über Nacht ins internationale Rampenlicht. Nach Lobeshymnen in der „London Times“ und der „New York Times“ feierte ihn auch die deutsche Presse als „neue Größe der Weltgeschichte“ und ein „Stück deutscher Valuta“. Die besiegten Deutschen, in der Forschung boykottiert, konnten sich wieder als Sieger fühlen.

Anti-Einstein, Antisemitismus

Den überschwänglichen Rühmungen folgten Missgunst und Anfeindungen auf dem Fuße. Fachliche Kritik an der Relativitätstheorie hatte es von Beginn an gegeben, etwa von dem Berliner Physiker Ernst Gehrcke, der geradezu obsessiv Zeitungsartikel und Aufsätze über Einstein sammelte. Es sollten Tausende werden.

Gehrckes Einfluss reichte bis nach Schweden. 1920 etwa nahm der Chemiker Svante Arrhenius Gehrckes Einwände gegen die Relativitätstheorie in sein Nobel-Gutachten auf. Anders als erwartet, erhielt nicht Einstein den Preis, sondern der französisch-schweizerische Physiker Charles Édouard Guillaume. In Stockholm favorisierte man handfeste Experimente, Präzisionsmessungen wie die von Guillaume. Dessen jüngerer Großcousin, Édouard Guillaume, war übrigens ein ehemaliger Kollege Einsteins am Patentamt in Bern und ebenfalls langjähriger Kritiker der Relativitätstheorie.

Mit einer Anti-Einstein-Veranstaltung in der Berliner Philharmonie, wo auch Gehrcke vortrug, erreichte die Kampagne im August 1920 eine neue Qualität. Am Eingang wurden antisemitische Hetzblätter verteilt. Einige Fachkollegen machten nun gemeinsame Sache mit den Rechten.

Ein Augenarzt scheitert

Besonders einflussreich: Philipp Lenard, der als hervorragender Experimentator 1905 den Physik-Nobelpreis erhalten hatte. Zunächst bezeichnete er die Allgemeine Relativitätstheorie als unanschaulich und „in höchstem Maße anfechtbar“, später kanzelte er sie als „jüdischen Weltbluff“ und „Judenbetrug“ ab. Lenard, schon im Krieg strammer Nationalist, pflegte engen Kontakt zu rechtsradikalen Kreisen, ähnlich wie der Physiker Johannes Stark, den Lenard 1919 schon zum dritten Mal und diesmal erfolgreich für den Nobelpreis vorgeschlagen hatte. Das noble Duo sollte sich im Mai 1924 im Aufruf „Hitlergeist und Wissenschaft“ öffentlich zum Programm der NSDAP bekennen und fortan eine „arische Physik“ anstreben.

Während Lenard von 1921 an dreimal Gehrcke für den Physik-Nobelpreis vorschlug, in diesem Fall vergeblich, geriet das Komitee angesichts der vielen Befürworter Einsteins unter Druck. Dem schwedischen Augenarzt und Medizin-Nobelpreisträger Allvar Gullstrand fiel 1921 die heikle Aufgabe zu, ein aussagekräftiges Gutachten zur Relativitätstheorie zu erstellen. Das glückte ihm weder in besagtem noch – nachdem die Verleihung des Preises für 1921 ausgesetzt worden war – im folgenden Jahr.

Kein Nobelpreis für die Relativitätstheorie

Führende Forscher setzten sich inzwischen lautstark für ihren Kollegen ein. „Bedenken Sie einen Augenblick, wie die Öffentlichkeit in 50 Jahren urteilen wird, wenn der Name Einstein nicht auf der Liste der Preisträger erscheint“, mahnte der Franzose Marcel Brillouin. Im Nobel-Komitee einigte man sich schließlich darauf, Einstein nicht für die Relativitätstheorie auszuzeichnen, seine aus heutiger Sicht größte wissenschaftliche Leistung, sondern für seine Arbeiten zum fotoelektrischen Effekt.

Unterdessen war Einstein in die politischen Verfolgungen einer desillusionierten Nachkriegsgesellschaft hineingeraten. Einige seiner alten Mitstreiter für internationale Völkerverständigung waren dem Terror von rechts bereits zum Opfer gefallen. Er selbst hatte sich Bedrohungen durch wiederholte Auslandsreisen entzogen.

Die Gartenlaube

1922 drängte ihn Außenminister Walther Rathenau zu einer Reise nach Paris, von der sich beide eine Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen erhofften. Spätestens nach der Ermordung Rathenaus im Juni 1922 erhielt Einstein dann von mehreren Seiten ernstzunehmende Warnungen, dass man auch ihm nach dem Leben trachtete. Fortan mied er öffentliche Auftritte und Fachtagungen. Zwischenzeitlich tauchte er in Kiel unter, später in einer Laube in einer Kleingartensiedlung an der Havel: seinem „Spandauer Schloss“. Da er den Garten verwildern ließ, rückte ihm die Bezirksverwaltung schon nach wenigen Wochen auf die Pelle.

Dieses Bild ist der erste direkte visuelle Nachweis eines schwarzen Lochs. Das besonders massereiche Exemplar steckt im Zentrum der Galaxie Messier 87 und wurde mit dem Event Horizon Telescope (EHT) aufgenommen, einem Netzwerk von acht bodengebundenen, über den ganzen Globus verteilten Radioteleskopen.
Dieses Bild ist der erste direkte visuelle Nachweis eines schwarzen Lochs. Das besonders massereiche Exemplar steckt im Zentrum der Galaxie Messier 87 und wurde mit dem Event Horizon Telescope (EHT) aufgenommen, einem Netzwerk von acht bodengebundenen, über den ganzen Globus verteilten Radioteleskopen.

© EHT-Kollaboration

„Hier sind erregte Zeiten seit dem abscheulichen Mord an Rathenau“, schrieb er seinem Freund Maurice Solovine im Juli 1922. „Ich werde auch immer gewarnt, habe mein Kolleg aufgegeben und bin offiziell abwesend, aber in Wahrheit doch hier. Der Antisemitismus ist sehr groß.“

Ungeachtet aller Geheimhaltungspflichten gab ihm Svante Arrhenius als Vorsitzender des zuständigen Gremiums im September zu verstehen, dass man ihn im Dezember in Stockholm erwarte. Einstein hatte andere Pläne. Zusammen mit seiner zweiten Frau Elsa wollte er Japan kennenlernen und die vertraglich vereinbarte Vortragsreise nicht verschieben. Als im November 1922 die Nobelpreisträger bekanntgegeben wurden, genossen sie bereits die asiatische Gastfreundschaft.

Mein Einstein, Dein Einstein

So kam es, dass der schweizerische Gesandte den Preis für ihn bei der Zeremonie in Stockholm entgegennehmen wollte. Der deutsche Gesandte indes reklamierte forsch, Einstein sei Deutscher – und setzte sich damit durch, obschon Einstein bei der Annahme seines Rufs nach Berlin die Forderung, preußischer Staatsangehöriger zu werden, strikt abgelehnt hatte. Seinerzeit hatte er zur Bedingung gemacht, dass bezüglich seiner Staatsangehörigkeit „keinerlei Änderung“ vorgenommen werden dürfe. Das unvermeidliche juristische Nachspiel, ob er nun Schweizer sei oder Preuße und Deutscher, zog sich über Jahre hin. Schließlich gab Einstein nach und nahm neben der schweizerischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft an. Einige Jahre später sollte er Deutschland für immer den Rücken kehren.

Das satte Preisgeld von 120 000 schwedischen Kronen floss direkt in die Schweiz. Drei Häuser wurden davon in Zürich gekauft, die Einsteins geschiedener Frau Mileva Maric und den beiden gemeinsamen Söhnen ein regelmäßiges Einkommen sicherten. Selbst dies wird heute gelegentlich gegen Einstein gewendet. Die Behauptung, als studierte Physikerin habe sie maßgeblichen Anteil an seinen Forschungen gehabt und er habe ihr das Geld deshalb überwiesen, hält einer Prüfung jedoch nicht stand.

Der Nobelpreis hat seinen Nimbus als höchste wissenschaftliche Auszeichnung behalten. Er allein macht allerdings niemanden unsterblich. Wer kennt heute noch Charles Édouard Guillaume, den Überraschungspreisträger von 1920? Für Einsteins Ruhm spielte der Preis keine Rolle. Eher verhielt es sich umgekehrt: Die schwedische Akademie tat gut daran, sich mit seinem Namen schmücken.

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