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Optimiert. Der Large Hadron Collider LHC in Genf wurde gewartet und geht nun wieder an den Start.

© Reuters/Pierre Albouy

Neustart des Large Hadron Colliders: „Das Higgs stellt uns vor einige Probleme“

Seit heute Mittag ist der stärkste Teilchenbeschleuniger der Welt wieder online. Cern-Forschungsdirektor Joachim Mnich über neue Pläne mit dem Ring bei Genf.

Seit heute, 22. April 2022, um kurz nach Mittag Ortszeit, ist der Large Hadron Collider am Kernforschungszentrum Cern bei Genf wieder voll in Betrieb. „Zwei Protonenstrahlen zirkulierten mit ihrer Injektionsenergie von 450 Milliarden Elektronenvolt in entgegengesetzten Richtungen um den 27 Kilometer langen Ring des Large Hadron Collider“ teilte das Zentrum mit. Was die Forschenden jetzt vorhaben, darüber haben wir mit dem Direktor für Forschung und Computing am Cern, Joachim Mnich, gesprochen.

Herr Mnich, der Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider – kurz LHC – wird nach dreijähriger Wartungspause derzeit wieder hochgefahren. Was haben Sie und Ihre Kollegen in dieser Zeit gemacht?
 

Wir haben viele Teile erneuert, um den LHC noch leistungsfähiger zu machen. Das betrifft einerseits die erste Beschleunigerstufe, den sogenannten Injektor, aus dem die Protonen dann in den Ringtunnel geleitet werden. Aber auch die Detektoren wurden verbessert, um mehr Kollisionen aufzeichnen und auswerten zu können. Der LHCb-Detektor zum Beispiel wird künftig eine fünffach höhere Datenrate verkraften.

Wozu der Aufwand? Das Higgs-Teilchen wurde vor zehn Jahre entdeckt, bislang ist kein Ziel in Sicht, was in der breiten Öffentlichkeit wirklich packend erscheint. Man könnte meinen, Sie stochern im Nebel.

Die Entdeckung des Higgs-Bosons war etwas ganz Besonderes. So etwas kann man nicht jedes Jahr erwarten. Wissenschaft ist eine lange Reise, wo auch jedes kleinere Resultat ein Schritt nach vorn ist. Was das Higgs angeht, haben wir in den vergangenen zehn Jahren sehr viel darüber gelernt. Wir haben seine Eigenschaften studiert, verglichen mit dem, was wir erwarten, und wir sind damit noch lange nicht fertig.

Was wollen sie noch über das Higgs-Teilchen wissen?

Es stellt uns vor einige Probleme. Warum, fragen wir uns, ist es so leicht? Eigentlich müsste es um viele Größenordnungen schwerer sein. Damit es so leicht sein kann, gibt es einerseits in der zugrundeliegenden Theorie eine magische Kürzung, wo man zwei riesige Zahlen, die über viele Stellen gleich sind, streicht. Oder es gibt einen verborgenen Mechanismus, den wir noch nicht kennen, der dazu führt, dass es so leicht ist. Das Higgs könnte auch ein Tor sein, um in Richtung Supersymmetrie zu schauen. Dort gäbe es minimal fünf verschiedene Higgs-Teilchen. Wir fragen also: Gibt es nur exakt ein Higgs-Boson oder mehrere? In diesem Fall würden die Eigenschaften des entdeckten Higgs-Bosons leicht von den Erwartungen abweichen.

Joachim Mnich ist seit 2021 Direktor für Forschung und Computing am Europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf. Zuvor war er unter anderem Forschungsdirektor am Desy Hamburg.
Joachim Mnich ist seit 2021 Direktor für Forschung und Computing am Europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf. Zuvor war er unter anderem Forschungsdirektor am Desy Hamburg.

© Marta Mayer/Desy

Sie werden doch nicht nur dem Higgs nachspüren, oder?

Natürlich nicht. Es gibt drei weitere Schwerpunkte. Erstens hoffen wir auf neue Erkenntnisse zur Dunklen Materie. Die uns bekannten Teilchen machen nur fünf Prozent des sichtbaren Universums aus, was ist der Rest? Zweitens geht es um Antimaterie. Was wir heute kennen ist ja nur ein klitzekleiner Rest, der nach dem Urknall übriggeblieben ist. Ungefähr ein Teilchen in zehn Milliarden, alles Übrige ist durch die Vernichtung von Antimaterie und Materie verschwunden. Wir wüssten zu gern, warum das so ist. Eine Möglichkeit: Irgendjemand hat eine kleine Prise mehr Materie hinzugefügt. Oder es gibt einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass Materie und Antimaterie nicht exakt spiegelbildlich sind. Das soll mit LHCb erforscht werden.

Und der dritte Schwerpunkt?

Der Betrifft die Gravitation. Die Kraft, die jeder von uns auf der Erde zuerst erfährt, lässt sich mit der Quantenphysik nicht erklären. Es gibt verschiedene Theorien, wie das zu lösen wäre, beispielsweise die Stringtheorie. Wir versuchen Hinweise darauf zu finden, welcher Ansatz wirklich funktioniert. Vielleicht gelingt das schon bei den Energien, die der LHC erzeugt, oder später bei einem möglichen Nachfolger.

Sie meinen den Future Circular Colider, kurz FCC: Ein 100 Kilometer langer Ringbeschleuniger am Cern, für den derzeit eine Machbarkeitsstudie läuft. Kritiker sagen, statt der teuren Riesenmaschine sollte die Miniaturisierung vorangetrieben werden, um kleiner und billiger zu bauen. Was entgegnen Sie?

Natürlich forschen wir daran, wie wir auch Beschleuniger in kleinerem Format bauen können, aber das steht noch sehr weit am Anfang. Ob eine vergleichbare Anlage in den nächsten drei Jahrzehnten einsatzfähig wäre, ist nicht gesichert. Ob diese wirklich kostengünstiger ist, ebenso wenig.

Also kommen wir um die geschätzt 20 Milliarden Euro kaum herum?

Selbstverständlich ist das eine Menge Geld, die schon heute am LHC investiert wird und auch für den FCC, wenn er kommt. Aber es ist eine Infrastruktur, die von rund 13 000 Forschern aus 50 Ländern genutzt wird und das über lange Zeit. Das LHC-Programm etwa reicht noch zwei Jahrzehnte in die Zukunft. Das Cern-Budget beträgt rund 1,2 Milliarden Schweizer Franken, das ist ungefähr das Budget einer mittelgroßen europäischen Universität oder umgerechnet auf jeden Bürger in unseren Mitgliedsländern eine Tasse Kaffee im Jahr. Ich finde das nicht zu viel.

China will auch einen 100-Kilometer-Beschleuniger bauen, der soll schon Mitte der 2030er-Jahre fertig sein, deutlich früher als der FCC. Ist es auch ein politischer Wille, so eine Großforschungsanlage in Europa zu halten?

Sicher. Wir kennen die Pläne für den chinesischen CEPC – Circular Electron Positron Collider–, ob die Zeitplanung realistisch ist, ist eine andere Frage. Klar ist: Das Cern ist das führende Labor für diese Wissenschaft und die Beschleunigertechnologie auf der Welt. Wenn wir diese Führungsposition nicht aufgeben wollen, müssen wir auch entsprechende Investitionen tätigen.

Ist es nicht besser, sich an der chinesischen Anlage zu beteiligen, um Geld zu sparen und trotzdem auf dem Gebiet weiter forschen zu können?

Wollen wir das? Nur ein Beispiel: Wir entwickeln für leistungsfähige Magnete Hochtemperatursupraleiter, durch die 100 000 Ampere durchgehen. Die müssen nicht mehr mit flüssigem Helium auf zwei Kelvin heruntergekühlt werden, wie wir das jetzt beim LHC tun, sondern nur auf 20 Kelvin. Das erfordert zum einen viel weniger Energie zum Kühlen und zum anderen geht das auch mit Wasserstoff. Es wäre eine Überlegung wert, diese Technologie zu nutzen, um gleichzeitig Strom und Wasserstoff zu transportieren, zum Beispiel von großen Windenergiegebieten im Norden nach Süddeutschland. Ich könnte noch vieles aufzählen, Detektortechnologien zum Beispiel, die heute in der Medizin für Positronen-Emissions-Tomografie genutzt werden. Aus meiner Sicht braucht es beides, mehr angewandte Forschung für die Probleme von heute, aber auch fundamentale, neugiergetriebene Forschung.

Haben Sie einen Lieblingsort am Cern?

Außerhalb von Pandemiezeiten ist das ganz klar die Kantine. Man sitzt beim Essen und ein babylonisches Sprachgewirr ist um einen herum, da lässt sich der internationale Charakter am besten erfahren. Ich habe bereits in den Neunzigerjahren viel Zeit am Cern verbracht und erinnere mich an viele Abende, wo ich mit Kollegen abends beim Bier da saß und wir haben gemeinsam überlegt, wie Probleme zu lösen sind, die am Tage auftauchten. 

Und dann sind wir mit neuen Ideen ins Bett gegangen, die wir dann am nächsten Tag ausprobieren wollten, um weiter zu kommen. Dieses Gefühl war und ist ganz besonders.

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