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Neurobiologie: Schlafmangel verursacht falsche Erinnerungen

Koffein fördert jedoch das genaue Erinnern.

Wissenschaftlern aus Deutschland und der Schweiz zufolge erhöhen schlaflose Nächte die Chance, falsche Erinnerungen zu formen. Doch wie bei vielerlei Aspekten des Lebens scheint Kaffee den Tag retten zu können.

Obwohl Neurowissenschaftler wissen, dass Erinnerungen während des Schlafs verstärkt werden können, ist unklar, ob falsche Erinnerungen geformt werden, wenn wir schlummern oder ob sie gefestigt werden, wenn wir gebeten werden, die Informationen am folgenden Morgen abzurufen.

Um dies herauszufinden baten Susanne Diekelmann und ihre Kollegen der Arbeitsgruppe um Jan Born an der Universität Lübeck Freiwillige Listen mit Worten zu lernen, wobei jede Liste mit einem bestimmten Thema in Verbindung stand. Zum Beispiel waren die Worte "weiß", "dunkel", "Katze" und "Nacht" gegeben - die alle mit dem Wort "schwarz" in Verbindung gebracht werden können - doch "schwarz" selbst stand nicht auf der Liste.

Die Wissenschaftler testeten anschließend die Erinnerungen ihrer Probanden entweder nach einer durchschlafenen oder einer durchwachten Nacht. Sie zeigten ihnen die Wörterliste, auf der sie ein paar Begriffe hinzugefügt hatten, erneut und baten sie, sich zu erinnern, welche Worte auf der ursprünglichen Liste gestanden hatten. Die Gruppe, die ohne Schlaf hatte auskommen müssen, gab mehr falsche Antworten als die Gruppe, die geschlafen hatte. "Viele Probanden sagten ‚ja, diese - falschen - Worte sind uns vorher schon gezeigt worden', und sie waren sich dessen absolut sicher", sagt Diekelmann. "Manchmal waren sie davon sogar überzeugter als bei den richtigen Worten."

Diekelmann nimmt an, dass es nicht der Schlafentzug als solcher ist, der das Entstehen falscher Erinnerungen verursacht, sondern der Vorgang des Abrufens. Als die Forscher eine Gruppe eine Nacht lang wach hielt, sie den Schlaf in der folgenden Nacht nachholen ließ und sie dann testete, produzierten die Probanden dieselbe Anzahl falscher Erinnerungen wie diejenigen, die keinen Schlafentzug hinter sich hatten. In der Vergangenheit "war es schwierig, zwischen Müdigkeitseffekten und Gedächtnisbildung zu unterscheiden", sagt Brian McCabe, Lernforscher an der University of Cambridge in Großbritannien. Diese Studie scheint jedoch zu bestätigen, dass falsche Erinnerungen tatsächlich im Moment des Abrufens entstehen.

Diekelmanns Team berichtete am 13. Juli auf dem Federation of European Neuroscience Societies Forum in Genf über seine Ergebnisse.

Kaffeezeit

Die Wissenschaftler gingen noch einen Schritt weiter. Wenn falsche Erinnerungen während des Abrufens entstehen, würde dann eine Dosis Koffein die Auswirkungen des Schlafmangels mildern? Sie entzogen zwei weiteren Gruppen Freiwilligen den Schlaf und gaben ihnen am Morgen, eine Stunde, bevor sie ihr Gedächtnis untersuchten, entweder Koffein oder ein Plazebo.

Die Gruppe, die Koffein erhielt, hatte 10% weniger falsche Erinnerungen als diejenigen, die keins bekamen, ein Effekt, den McCabe als "erstaunlich" bezeichnet. Das Team nimmt an, dass dieser Effekt auftritt, weil Koffein bekanntermaßen den präfrontalen Kortex beeinflusst, eine Hirnregion, die durch Schlafmangel beeinträchtigt wird - und eine Region, sagt Diekelmann, von der man bereits wusste, dass sie daran beteiligt ist zwischen tatsächlich geschehenen und lediglich gedachten Dingen zu unterscheiden.

Diekelmann weist darauf hin, dass das Verständnis von der Entstehung falscher Erinnerungen in Situationen, in denen exakte Erinnerungen notwendig sind, wesentlich ist, zum Beispiel bei Augenzeugenaussagen vor Gericht. McCabe stimmt zwar zu, warnt jedoch, dass die Arbeit nichts darüber aussagt, ob die Qualität des Schlafs eine Rolle spielt oder andere Fehlerquellen - zum Beispiel ein Wort korrekt zu erinnern, es jedoch der falschen Liste zuzuordnen - wahrscheinlicher sind.

Dieser Artikel wurde erstmals am 14.7.2008 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/news.2008.953. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Kerri Smith

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