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Zwölf Schwarz-Weiß-Porträtfotos historischer Persönlichkeiten sind in einer Zweierreihe an einer Wand angebracht.

© Philipp Plum/HU

Neues Narrativ der Universitätsgeschichte: „Chemiker, Kriegsverbrecher und Nobelpreisträger“

Ehrung auch für Bürgerrechtler und Widerständlerinnen: Die Humboldt-Universität erneuert ihre Ahnengalerie und kommentiert nicht nur Fritz Haber kritisch.

Lilo Herrmann, eine Studentin mit Baby auf dem Arm, und Jurek Becker, der Schriftsteller vor seinem Bücherregal, in einer Reihe mit Friedrich Schleiermacher und Gottfried Wilhelm Friedrich Hegel? Die neue Porträt-Ausstellung der Humboldt-Universität will irritieren - mit einem neuen Bild von Exzellenz.

Vorerst 43 Porträts von Männern und Frauen, von denen die Universität geprägt wurde, sollen wegführen vom klassischen Gruppenbild der „alten weißen Männer“, wie HU-Historikerin Gabriele Metzler sagt. Die neue Galerie ersetzt die 29 Porträts der Nobelpreisträger der Universität im 20. Jahrhundert, die bislang vor dem Sitzungssaal des Akademischen Senats im Hauptgebäude Unter den Linden 6 gezeigt wurde.

Gezeigt werden jetzt auch Personen, die sich als Identifikationsfiguren auch für eine junge Generation von Studierenden anbieten, sagt Metzler, Vorsitzende der Historischen Kommission der HU, die vor zwei Jahren vom Präsidium mit der Überarbeitung der Galerie betraut wurde.

Ein Anstoß war, dass Studierende 2013 das Porträt des Biochemikers und Nobelpreisträgers von 1939, Adolf Butenandt, „entführt“ hatten. Butenandt war NSDAP-Mitglied, soll an rassistischen Forschungen beteiligt gewesen sein und versuchte nach 1945, die Verstrickung von Wissenschaftlern in die NS-Verbrechen zu verharmlosen.

Zunächst sah die HU die Entfernung des Bildes als „Diebstahl“, doch dann blieb an seiner Stelle nur noch ein leerer Rahmen hängen. Und das Nachdenken über eine zeitgemäße Präsentation der Ahnengalerie begann.

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„Liselotte („Lilo“) Herrmann war Studentin der Biologie an der Berliner Universität, kommunistische Aktivistin, die wegen ihres Widerstands gegen das NS-Regime 1938 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde.“ Diese Erklärung findet sich über einen QR-Code unter dem Bild der jungen Frau mit ihrem kleinen Sohn auf dem Arm.

Peter Frensch und Gabriele Metzler stehen vor einer Wand der neuen Porträt-Galerie.
Gabriele Metzler, Vorsitzende der Historischen Kommission der HU, zeigt HU-Interimspräsident Peter Frensch ihr Lieblingsmotiv - Lise Meitner und Otto Hahn im Labor.

© Burchard/Tsp

Widerständig war auch Jurek Becker, der als jüdisches Kind den Holocaust überlebt hatte, und an der Humboldt-Universität Philosophie studieren wollte. Doch als kritischer Kopf kam er an der SED-treuen Kaderhochschule nicht klar und wurde 1960 auf Druck der studentischen SED-Grundorganisation relegiert.

Unerwartete Nachbarschaften in der neuen Galerie

Warum die nicht chronologische Hängung der Bilder, die Lilo Hermann und Jurek Becker neben die Gründerväter der Universität Schleiermacher und Hegel stellt? Historikerin Metzler sagt, solche „unerwarteten Nachbarschaften“ seien „enorm reizvoll“. Die Mischung sei der Historischen Kommission wichtig. Denn das Verständnis der Uni, „wofür die Humboldt-Universität steht und stehen will“, gehe heute weit über hervorragende wissenschaftliche Leistungen hinaus.

Nun solle es auch um Verantwortung für die Wissenschaft, Engagement für die Gesellschaft, Zivilcourage und Widerstand gehen. Dafür stehen Porträts und Biografien wie die von W.E.B. du Bois, der 1892-94 in Berlin Geschichte studierte und in den USA zu einem der einflussreichsten Vordenker der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde.

Zu den ebenso als „Aktivist:innen“ Geehrten gehören Magnus Hirschfeld, Arzt und Mitbegründer der Sexualwissenschaft und Kämpfer für die Rechte der Homosexuellen, sowie Regine Hildebrandt, Biologin, Sozialpolitikerin und engagierte Vertreterin ostdeutscher Interessen in der Nachwendezeit.

Mitarbeiter:innen der Universität befestigen Porträtbilder hinter Glas an einer Wand.
Neu installiert wurden bislang 43 Porträts, in den kommenden Jahren sollen es bis zu 60 werden.

© Philipp Plum/HU

Manchmal verweisen schon die Kurzbeschreibungen unter den Bildern darauf, dass weiterhin kontroverse Persönlichkeiten herausgehoben werden. Wie bei Fritz Haber, der als „Chemiker, Kriegsverbrecher und Nobelpreisträger“ vorgestellt wird, weil er im Ersten Weltkrieg unter anderem maßgeblich an der Giftgas-Entwicklung beteiligt war.

Diskutiert wird etwa noch über Erwin Schrödinger

Bei anderen, etwa bei Erwin Schrödinger, erschließt es sich erst durch die ausführlicheren Biografien hinter dem QR-Code und auf der Homepage der HU, dass über ihren Platz in der Galerie noch diskutiert wird.

Die Menschen, die die Humboldt-Universität nun ihren Angehörigen als Identifikationsfiguren anbietet, darunter etwa auch Heinrich Heine und Alice Salomon, können und sollen die gesellschaftliche, aber auch universitäre Ausgrenzung von Frauen, Jüd:innen, People of Colour und Dissident:innen nicht ungeschehen machen. Aber sie können sie in diesem neuen Erinnerungsort der Universität miteinander und mit denen, die sie betrachten, in Beziehung setzen.

Die bewusst lebendig gewählten Bilder, darunter auch ein großformatiges Gruppenbild im Berliner Wohnzimmer Albert Einsteins, Frauen und Männer im Labor und vor der Hörsaaltafel oder mit ihren Rädern vor der Uni, stehen für ein neues Narrativ der Universitätsgeschichte.

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