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Physiotherapie und gezieltes Training sind für Bechterew-Patienten unerlässlich.

© dapd

Neue Therapien: Schmerzmittel können Bechterew stoppen

Beim Rheumatologen-Kongress diskutierten Experten jetzt neue Erkenntnisse zur Bechterew-Krankheit: Die Diagnose kann heute früher gestellt werden, und bekannte Schmerzmittel können das Knochen-Leiden offenbar aufhalten.

Der 34-Jährige ging zum Arzt, weil er sich langsam Sorgen machte: Seit über einem halben Jahr plagten ihn Schmerzen im Kreuz und in der Hüfte. Er wollte sich nicht länger damit trösten, dass Rückenschmerzen eine verbreitete Plage sind. Denn die, unter denen er litt, schienen von anderer Art zu sein. Er wachte fast jede Nacht davon auf, musste aufstehen und durch die Wohnung gehen, damit es etwas besser wurde. Vor drei Monaten war ein rotes Auge dazugekommen, dann Beschwerden an der linken Ferse. Die Diagnose: ankylosierende Spondylitis, eine Entzündung von Wirbelkörpern, die in gekrümmter Stellung versteifen können.

Hierzulande ist die Krankheit eher unter dem Namen „Morbus Bechterew“ bekannt, der auf den russischen Neurologen Wladimir Michailowitsch Bechterew (1857 bis 1927) zurückgeht. Unter den rund 340 000 Betroffenen sind viele Jüngere. Denn das Leiden, das zu den rheumatischen Erkrankungen zählt, beginnt fast immer vor dem 45. Lebensjahr, oft deutlich vor dem 30. Geburtstag. Doch im Schnitt dauert es fünf bis sieben Jahre, bis die Diagnose gestellt ist. Bei Frauen dauert es meist länger, denn bisher wurde die Krankheit eher als Männerleiden betrachtet. Zu Unrecht, wie große Datensammlungen inzwischen zeigen. Allerdings nimmt sie bei Männern häufiger einen schweren Verlauf. „Eine frühe Diagnose ist wichtig, um schnell mit der geeigneten Therapie zu beginnen“, sagte jetzt Jürgen Braun, Leiter des Rheumazentrums Ruhrgebiet in Herne, auf dem Rheumatologen-Kongress in Bochum.

Um die krankhaften Veränderungen der Wirbelsäule zu erkennen, seien Röntgenaufnahmen sowie Untersuchungen mittels Magnetresonanztomografie (MRT) notwendig, erläuterten die Experten. Aber auch erhöhte Entzündungswerte im Blut und ein Genfaktor namens HLA-B27 (Humanes Leukozyten-Antigen B27) liefern Hinweise. „Er ist bei 70 bis 80 Prozent der Betroffenen positiv, allerdings tragen auch in der gesunden Bevölkerung viele Menschen dieses genetische Merkmal“, sagte die Bechterew-Spezialistin Uta Kiltz, ebenfalls vom Rheumazentrum Ruhrgebiet. Typisch für die entzündlichen Erkrankungen der Wirbelsäule ist außerdem, dass sie in einigen Fällen mit einer Schuppenflechte der Haut oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn einhergehen.

In Zukunft könnten Ärzte eine weitere Informationsquelle nutzen, um die Krankheit frühzeitig zu erkennen. Es handelt sich um bestimmte Eiweiße, die für den Knochenstoffwechsel bedeutsam sind. Sie könnten in absehbarer Zeit als Biomarker fungieren, die eine bessere Prognose erlauben, hoffen die Forscher. Eine große französische Untersuchung, in der das Schicksal von über 700 Patienten über Jahrzehnte verfolgt werden soll, zeigt bereits jetzt, nach zwei Jahren, dass Raucher stärker betroffen sind. „Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für Veränderungen am Knochen erhöht, sie leiden früher unter Einschränkungen“, sagte Maxime Dougados vom Hôpital Cochin in Paris.

Welche Schmerzmittel den Erkrankten helfen.

Um Morbus Bechterew zu behandeln, setzen Ärzte vor allem auf die gängigen entzündungshemmenden Schmerzmittel wie Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen oder auf ein Mittel aus der Gruppe der sogenannten Coxibe. Damit lassen sich die Schmerzen oft wirkungsvoll eindämmen. Die Mittel werden unter dem Sammelnamen Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) zusammengefasst. Eine neue Studie, die ebenfalls beim Kongress vorgestellt wurde, zeigt nun: Die Medikamente können mehr. „NSAR hemmen auch die Knochenbildung in der Wirbelsäule“, berichtete Joachim Sieper, Leiter der Rheumatologie am Campus Benjamin Franklin der Berliner Charité.

Er war an einer Studie beteiligt, bei der der Zustand von 164 Patienten über zwei Jahre verfolgt wurde. Dabei zeigte sich, dass bei Studienteilnehmern mit ankylosierender Spondylitis, die täglich mindestens die Hälfte der empfohlenen Höchstdosis von einem der Mittel eingenommen hatten, keine weiteren Versteifungen und Verknöcherungen an der Wirbelsäule auftraten. „Profitiert haben vor allem Patienten, bei denen der Entzündungsmarker C-reaktives Protein (CRP) deutlich erhöht war und die schon Knochenneubildungen zwischen den Wirbelkörpern hatten“, berichtete Sieper.

Wie die NSAR es schaffen, die Bildung dieser knöchernen Auswüchse zu verhindern, ist noch nicht bis ins letzte Detail geklärt. Die Wirkstoffe haben ihren Angriffspunkt wohl sehr früh im Entzündungsprozess, mutmaßt der Mediziner. Möglicherweise hemmen sie auch direkt bestimmte Zellen im Knochen, sogenannte Osteoblasten, die für die Knochenneubildung verantwortlich sind.

Sicher scheint aber zu sein, dass die NSAR wirken, und zwar abhängig von der Dosierung. Damit die Mittel den verhängnisvollen Verlauf bis hin zur gekrümmten, knotigen „Bambusstab-Wirbelsäule“ bremsen können, ist es entscheidend, sie trotz möglicher Nebenwirkungen auch in den Phasen einzunehmen, in denen die Schmerzen erträglich sind. Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Betroffenen das nicht tut – vor allem, wenn ihnen auch andere Rheumamedikamente wie etwa die modernen TNF-Alpha-Blocker verordnet wurden.

Mit der Medikamenteneinnahme ist es aber keinesfalls getan. Entscheidend für den Erfolg sind auch gezielte Physiotherapie und ein regelmäßiges persönliches Sportprogramm. Selbst ohne Schmerzen ist es schwer, das konsequent durchzuhalten. Der Umgang mit Morbus Bechterew ist alles andere als einfach. In den international gültigen Empfehlungen zur Behandlung sind aus gutem Grund Patientenschulung und Selbsthilfegruppen enthalten.

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