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Richtfest für das neue BIH-Gebäude auf dem Charité-Campus in Mitte war im Juli, hier Berlins Regierender Müller und Bundesforschungsministerin Karliczek vor einer Animation des Baus. Das BIH ist ein Prestigeprojekt von Bund und Land.

©  Bernd v. Jutrczenka/dpa

Neue Therapien aus Berlin: „Wir brauchen die, die inhaltlich getrieben sind“

BIH-Chef Christopher Baum spricht im Interview über Berlin als Medizinmetropole und das heikle Testen neuer Therapien an Patienten.

Herr Baum, unlängst hat Emmanuelle Charpentier den Nobelpreis erhalten. Sie forscht in Berlin, davor war sie in Braunschweig. Was wenige wissen: Sie waren 2012 maßgeblich involviert, Charpentier nach Deutschland zu holen. Wie lief das ab?
Schon damals konnten alle sehen, welche enorme Bedeutung ihre Forschung haben wird – und dass es ein Riesending wäre, wenn man sie nach Deutschland holen könnte. Sie hatte viele andere Angebote. Ich war persönlich involviert, weil ich selbst aus dem Gentherapiebereich komme, und so den Kontakt zu einigen Personen in Braunschweig und Hannover herstellen konnte.

Sie kannten sie seit Jahren, deshalb kam sie nach Deutschland. So einfach ist das?
Natürlich nicht. Andere haben noch viel mehr dazu beigetragen. Man braucht eine gute Aufnahmekultur und muss ein gutes Umfeld bieten. Frau Charpentier ist eine exzellente Wissenschaftlerin, die hundert Prozent von den Inhalten dominiert ist. Ihr liegt die Wissenschaft am Herzen und nicht so sehr die Frage: Wie viele Ressourcen bekomme ich?

Sie kommt aus der Bakterien-Genetik und hat grundlegende Mechanismen der Immunabwehr erforscht. Es ging uns also sehr darum, dass sie für diese wissenschaftlichen Fragestellungen ein geeignetes Umfeld findet. Sie hat natürlich mit CRISPR eine Entdeckung gemacht, die eine enorme translationale Bedeutung hat und haben wird. Und dennoch war klar, dass sie wesentlich an ihren ursprünglichen Fragestellungen interessiert bleiben würde. Mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig hatten wir eine ideale Konstellation für sie, in Deutschland zu starten.

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Nach jahrelangen Interimslösungen wurde der Lübecker Mediziner Christopher Baum im Oktober Chef des Berlin Institute of Health.
Nach jahrelangen Interimslösungen wurde der Lübecker Mediziner Christopher Baum im Oktober Chef des Berlin Institute of Health.

© imago/localpic

Kommen wir zum Berlin Institute for Health (BIH), dessen Chef Sie seit Anfang Oktober sind. Bisher hatte man das Gefühl, das BIH konzentriere sich bei der Rekrutierung auf Nachwuchsforscherinnen und -forscher. Braucht man nicht auch Stars wie eben Charpentier, wo man ein Zeichen setzen kann: Diese Person haben wir jetzt abgeworben.
Man braucht beides. Der Aufbau des wissenschaftlichen Nachwuchses ist eine Stärke von Berlin und insbesondere des BIH. Aber wir brauchen daneben natürlich auch Spitzenköpfe, die die internationale Vernetzung bringen und in der Lage sind zu erkennen, was in zehn Jahren relevant sein wird, worauf wir uns ausrichten müssen. Aber auch hier hat das BIH natürlich einiges an Rekrutierungen vorzuweisen.

Solche Ansätze wie das BIH hat es auch in anderen Städten immer wieder gegeben. Man nehme das Beispiel Singapur. Die haben viel Geld in die Hand genommen für die Biomedizin und große Namen in die Stadt geholt, Labore aufgebaut. Unser Eindruck ist, dass das nicht sehr nachhaltig war. Was ist Ihre Einschätzung? Kann Berlin aus diesem Modell lernen?
Man muss aufpassen, welche Typen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler man gewinnt. Bekommt man die wirklich inhaltlich Getriebenen und bietet denen ein ideales Umfeld, dann ist das nachhaltig. Kommen die Menschen nur wegen der Ressourcen, werden sie dagegen nach einiger Zeit an den nächstbesten Standort gehen, der noch bessere Ressourcen bietet.

Die Mission des BIH lautet Translation, also die Übersetzung von Grundlagenforschung in die Therapie von Patienten. Nun ist Translation ein Schlagwort, das viele im Mund führen. Können Sie Beispiele nennen, wo das am BIH bereits besser als anderswo klappt?
Das kann ich am besten am Bereich der digitalisierten Medizin erklären. Das BIH hat dort ein sehr kluges System entwickelt, es gibt „Digital Labs“, in denen Leute zusammenkommen und ihre Projektideen gemeinsam weiterentwickeln können. Die ersten Ausgründungen sind gerade erfolgt, weitere werden jetzt vorbereitet.

Diese Herangehensweise findet schon Anklang in anderen Bundesländern. Wir müssen ein Ökosystem schaffen, in dem Forschenden Menschen an die Seite gestellt werden, die mögliche Potenziale der Anwendung mitdenken, erschließen und ihnen erklären. Wenn jemand zum Beispiel Emmanuelle Charpentier vor zehn Jahren dahingehend beraten hätte, hätte sie vielleicht Patentstreitigkeiten um ihre Erfindungen vermeiden können.

Einerseits soll das BIH in die Charité integriert werden, andererseits so selbständig wie möglich bleiben. Im Charité-Vorstand sind Sie fürs BIH mit zuständig, für die Forschung ist aber auch der Dekan der Charité zuständig. Wie kann das gelingen?
Das setzt voraus, dass man sich sehr genau über die jeweiligen Zuständigkeiten abstimmt. Da bringe ich aus meiner Vita den Vorteil mit, dass ich lange genug in der Rolle des Dekans war und die Aufgaben kenne. Ich habe genug zu tun mit dem BIH, ich werde nicht in die Geschäfte des Dekans der Charité einsteigen.

Auch mit dem MDC gibt es Vereinbarungen – eine „privilegierte Partnerschaft“. Heißt das, dass nicht unbedingt wissenschaftliche Exzellenz, sondern solche Klauseln darüber entscheiden, wer in ein wissenschaftliches Projekt eingebunden wird?
Ich sehe darin den Auftrag, dass wir uns inhaltlich und strategisch immer eng mit dem MDC abstimmen und dass wir gemeinsame Schaffensräume bilden. Auch physisch. Das Käthe-Beutler-Haus von BIH und MDC in Buch, das bald eröffnet werden soll, ist klug geplant. Ich kann mir auch vorstellen, dass es in Zukunft eine MDC-Niederlassung in einem der Charité-Campi gibt, in dem auch das BIH eine Rolle spielt.

Macht es Sinn, das BIH zu einer eigenen Marke aufzubauen, wenn die Charité doch schon eine eigene Marke ist?
Das BIH ist auch schon eine eigene Marke – wenn natürlich auch nicht vergleichbar mit der Marke Charité. Ich denke, dass wir die Marke BIH am besten in Konnotation mit der Charité weiterentwickeln. Es muss deutlich werden, dass wir ein Teil der Charité sind, umgekehrt sollte sich die Charité durchaus auch mit der Marke BIH schmücken. Das wird eine gewisse Marketing-Kunst erfordern.

Der Bund hat bereits sein Interesse bekundet, dass das BIH sowohl für Berlin als auch national und international ausstrahlt. Den Auftrag nehmen wir gern an. Aber die Marke Berlin zieht natürlich auch, und zusammen mit der Charité ist das ein großer Vorteil für die Positionierung des BIH.

Translation bedeutet ja auch, dass man irgendwann eine neue Therapieidee am Menschen testen muss. Wieviel Mut und auch Risikobereitschaft erfordert das?
Wer neue Therapien am Menschen testet, braucht weder Mut noch Risikobereitschaft, sondern muss bereit sein, sämtliche Risiken so weit wie möglich durch Voruntersuchungen auszuräumen bzw. zu minimieren, etwa durch langsame Dosissteigerungen. Erst dann darf ein Test am Menschen stattfinden. Die Risikobereitschaft sehe ich hier also weniger bei den Forschenden als bei den Patienten. Die befinden sich häufig in einer Situation, in der nur noch experimentelle Therapien helfen könnten.

Man muss dafür sorgen, dass die Patientenaufklärung so gestaltet ist, dass die Patientinnen und Patienten genau abschätzen können, wie groß der mögliche Nutzen der neuen Therapie gegenüber dem möglichen Schaden ist, gerade dann, wenn man innovative Therapien testet. Und dass man auch ehrlich angibt, was man nicht weiß. Das ist die große Kunst der Translation. Das ist auch Thema für das QUEST-Center am BIH, in dem man sich darüber Gedanken macht, wie man Patienten-Einverständniserklärungen so aufsetzt, dass sie auch wirklich verstanden werden.

Das klappt nicht immer. Während Ihrer Zeit an der MHH hat der zeitweise auch in Hannover tätige Arzt Paolo Macchiarini beispielsweise unausgereifte Stammzelltherapien an Patienten in „Heilversuchen“ ausprobiert, wonach fast alle gestorben sind. Das Karolinska-Institut in Schweden hat ihn mittlerweile, nach Feststellung wissenschaftlichen Fehlverhaltens, entlassen, in Italien wurde er wegen Dokumentenfälschung und Amtsmissbrauch verurteilt. Was haben Sie aus diesem Vorfall gelernt für den Translationsauftrag des BIH?
Wissenschaft wird von Menschen gemacht. Mitunter auch von Menschen, die sich selbst überschätzen und nicht primär wissenschaftlich motivierte Ziele verfolgen. Etwa Nimbus, Geld, Einfluss. Da müssen wir aufpassen. Daher bin ich ein strikter Verfechter der Patientenorientierung im Wertesystem. Therapieentwicklung heißt, dass sich Menschen Risiken aussetzen. Umso wichtiger ist es, dass wir alles sehr gründlich vorbereiten, bevor Patienten behandelt werden.

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Es sind Ethikkommissionen und Regulationsbehörden, die darüber entscheiden, ob neue Therapien erstmals an Menschen getestet werden dürfen. Jetzt, wo es um die Zulassung von Impfstoffen oder Wirkstoffen gegen Covid-19, wird großer Druck von politischer Seite auf diese Institutionen ausgeübt, erkennbar etwa in den USA. Wie beobachten Sie diese Entwicklung?
Zumindest in Deutschland und in Europa sind die Behörden sehr stark wissenschaftsgeleitet, sie schauen sehr genau hin, wie die wissenschaftlichen Grundlagen neuer Entwicklungen aussehen. Da können wir gut darauf vertrauen, dass die Risikobewertung bei uns sehr kompetent erfolgt. Das ist vielleicht nicht immer in jedem Land so, es gibt mitunter wohl auch politische Interessen, die dann – gerade während einer solchen Pandemie – Entscheidungen mitgestalten. Aber wir haben hier eine gute Gewaltentrennung und das sollte auch so bleiben. Die Risiko-Nutzen-Abwägung muss immer auf der Basis des Individuums getroffen werden und nicht auf Basis der Gesellschaft.

Christopher Baum (58) ist Vorstandsvorsitzender des Berlin Institute of Health. Davor war er im Vorstand des Uniklinikums Schleswig-Holstein und Präsident der MH Hannover.

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